Lippenstift nur in Nord-Teheran

Werbung
Werbung
Werbung

Noch fühlen sich die wohlhabenden und westlich orientierten Iraner frei - doch sie trauen dem Frieden nicht. Und sie trauen ihrem Präsidenten nicht - genauso wenig wie die, die ihn gewählt haben, jetzt mit Ahmadinedschad zufrieden sind.

Holocaust?" Mohammed reißt die Augen auf. Das glatte Gesicht des Iraners aus dem Armenviertel Teherans verzieht sich zu einer einzigen Frage: "Was ist das? Ich stoße immer öfter auf dieses Wort, aber ich habe keine Vorstellung, was es bedeutet." Wie Millionen Iraner, quält auch den jungen Familienvater die Sorge um das tägliche Brot. Vom Holocaust-Karikaturenwettbewerb der Teheraner Zeitung Hamshahri hat er ebenso wenig gehört, wie von den Mohammed-Karikaturen eines dänischen Blattes. Die Sorge um die rasant steigenden Preise, die wachsende Armut, der tägliche Kampf um ein Fortkommen im Verkehrschaos der 14-Millionen-Metropole Teheran verschlingen seine ganze Energie. Da bleibt wenig Interesse für Themen der hohen Politik, auch wenn sie noch so explosiv sein mögen. Wie Mohammed ergeht es Millionen von Iranern in einem Land, das dank hoher Ölpreise in diesem Jahr Rekordeinnahmen von fast 40 Milliarden Dollar einstreicht, in dem aber das Pro-Kopf-Einkommen seit der islamischen Revolution 1979 um ein Drittel gesunken ist.

Allah für Präsidenten danken

Mohammed hat seine Hoffnung in Irans Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad gesetzt. Er hat ihn im Vorjahr gewählt, wie Millionen von Iranern der Arbeiterklasse der armen Unterschichten. Ahmadinedschads Versprechen von sozialer Gerechtigkeit, dem Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft haben ihm auch nicht wenige Stimmen in der aufgeklärten Mittelschicht des Landes eingetragen. "Alle meine Freunde haben ihn gewählt", bemerkt der marxistisch orientierte Intellektuelle Hassan: "Aufgrund seines Programms hätte ich es auch tun sollen. Nun sind wir alle bitter enttäuscht."

Der Präsident, der den Iran zu den einst von Revolutionsführer Khomeini verheißenen Idealen zurückführen will, versprach eine Umverteilung des Reichtums, der sich mehr und mehr in den Händen einer schmalen Schicht von Profiteuren des Regimes konzentriert. Er versprach populistische Maßnahmen wie Reduzierung der Studiengebühren oder Erhöhung der Gehälter öffentlich Bediensteter um zwanzig Prozent. Häufig sieht man Ahmadinedschad im staatlichen Fernsehen, wie er etwa ein Spital in ärmlichen Regionen des Landes eröffnet, während weinende Frauen Allah für diesen Präsidenten danken, der sich endlich ihrer Sorgen annimmt.

Minister verzichten auf Gehalt

Die Regierung verteilt an Bedürftige Öl, Reis und Zucker und blockiert Bemühungen, die enormen Subventionen für Benzin zu reduzieren. Sie fressen jährlich weit mehr als vier Milliarden Dollar. Ahmadinedschad erhöhte die Zuwendungen aus der "Sozialen Stiftung Imam Khomeinis" an rund eine Million arme Familien. "Er ist der einzige (Führer), der uns wirklich hilft", sagt eine Mutter von sechs Kindern im staatlichen Fernsehen. An einige Bedürftige wurden "Gleichberechtigungsaktien" im Wert von umgerechnet 500 Euro verteilt. Und die 35-Mitglieder zählende Regierung verzichtete auf das 13. Monatsgehalt (pro Kopf offiziell kaum mehr als 400 Euro). Und die Errichtung eines Fonds zur Hilfe für Jungvermählte wird gegenwärtig im Parlament blockiert.

Trostpflaster helfen wenig

Ahmadinedschad versprach auch eine Dezentralisierung der Verwaltung. Zu diesem Zweck zieht die Regierung fünf Tage im Monat hinaus ins Land, tagt in der einen oder anderen Provinz und verteilt - vom Fernsehen ausführlich dokumentiert - Gelder an Arme. Solche Maßnahmen stoßen nicht nur auf Kritik des Parlaments, das Ahmadinedschad vorwirft, Beträge zu verteilen, die nicht im Budget enthalten sind. Unabhängige Ökonomen wischen sie als "reine Täuschungsmanöver" vom Tisch. "Es sind komplizierte wirtschaftliche Prozesse, die die Misere der Bevölkerung verursachen. Sie können nur durch tief greifende und umfassende Reformen behoben werden. Trostpflaster helfen hier wenig", betont ein Wirtschaftsexperte, der - wie viele heute im Iran - lieber nicht zitiert werden will. Das Parlament diskutiert heftig über einen Budgetentwurf für das im März beginnende neue Finanzjahr, das doppelt so hohe Ausgaben vorsieht wie 2005/06. Doch Wirtschaftsexperten im Parlament warnen vor einer bedrohlichen Ankurbelung der Inflation (derzeit offiziell 16,8 Prozent, in Wahrheit aber schon jetzt weit höher).

"Alles Schaumschlägerei!"

Alles Schaumschlägerei. Mohammed aus Süd-Teheran bestätigt: Seit der Amtsübernahme Ahmadinedschads vergangenen August "hat sich unser Leben um nichts verbessert". Der junge Mann und seine Familie spüren nichts von den milden, so lautstark gepriesenen Gaben des Präsidenten: "Die Miete wird trotzdem teurer und wir wissen nicht, wie wir sie bezahlen sollen."

Die Arbeitslosigkeit, dank Projekten in der Ära Präsident Mohammed Khatamis (1997 bis 2005) etwas abgemildert, steigt wieder. Sie dürfte bei rund dreißig Prozent liegen. Von den dringend nötigen Strukturreformen spricht Ahmadinedschad nicht. Vielmehr, so klagen auch westliche Wirtschaftskreise in Teheran, "ist der Präsident drauf und dran, das Land in die wirtschaftliche Katastrophe zu führen". Der eskalierende Konflikt über die Entwicklung von Atomtechnologie, die zunehmend aggressive Außenpolitik, künstlich hochgeschaukelte Fragen wie Holocaust und Mohammed-Karikaturen belasten nun auch die Beziehungen zu dem so wichtigen Wirtschaftspartner Europa. "Der Außenhandel ist zusammengebrochen, die Absicherungskosten für Akkreditive haben sich verzehnfacht. Der Iran galt bei europäischen Handelspartnern immer als sicher", bemerkt eine westliche Bankenvertreterin. "Nun wird er als risikoreich eingestuft", denn ein bewaffneter Konflikt mit den usa oder Israel erscheint vielen in Teheran als reale Gefahr.

"Neureiche Blutsauger"

Derzeit werden keine neuen Projekte in Angriff genommen, die Schaffung von Arbeitsplätzen ist vertagt. Die Teheraner Börse, die nach der Wahl Ahmadinedschads zusammengebrochen war, verzeichnete wieder ein Minus von dreißig Prozent. Auch Iraner investieren nicht mehr. Milliarden Dollar strömen aus dem Land. Noch aber stopft die Regierung die Löcher, verteilt Trostpflaster mit dem Überschuss der Ölerträge.

Der Präsident spricht immer häufiger von den "Blutsaugern", von den "Neureichen" (Leute wie Ex-Präsident Ali Akbar Rafsandschani, die ihre Position genutzt hatten, um Millionen zu scheffeln, und deshalb vom Volk gehasst werden). Sie will Ahmadinedschad wohl zur Verantwortung ziehen, wenn offen zutage tritt, dass er seine sozialen Versprechungen nicht einzuhalten vermag.

Designerrock statt Schador

Der lautstark angekündigte Kampf gegen die Korruption blieb in Ansätzen stecken. Zu Beginn seiner Amtszeit, so erzählt man in Teheran, habe Ahmadinedschad die Verhaftung von vierzig Mitarbeitern des Ölministeriums wegen illegaler Bereicherung angeordnet. Doch eine effektive Entflechtung des Korruptionsnetzes scheitert am massiven Widerstand mächtiger Mitglieder des Establishments. So musste schon Khatami seine Versuche aufgeben, den "Bonjads", den riesigen Stiftungen, die bis zu fünfzig Prozent der Wirtschaft dominieren und sich jeder staatlichen Kontrolle entziehen, zu Leibe zu rücken. Ahmadinedschad hat sich dies erst gar nicht vorgenommen.

Im wohlhabenden Nord-Teheran herrscht oberflächlich entspannte Atmosphäre. In den Parks spazieren junge Iraner Händchen haltend mit ihren Freundinnen. Mädchen riskieren keine Sanktionen durch die Sittenpolizei, wenn sie sich in taillierten Mänteln auf die Straße wagen und ihr Haar erst vom Hinterkopf an mit einem durchscheinenden Tuch bedecken, die Lippen knallrot schminken und mitunter überhaupt nur ein kurzes farbenprächtiges Jäckchen tragen statt des vorgeschriebenen schwarzen Schadors oder dunklen, weiten "Manteaus".

"Wir sind frei wie früher!"

"Wir standen alle unter Schock, als Ahmadinedschad gewählt wurde", erzählt Ahmed, Architekturstudent an der Teheraner Universität. Fast jeden Abend trifft er sich hier, in einem kleinen Stehkaffee in Nord-Teheran mit Freunden und Freundinnen. Manchmal geht er auch ins Kino, oder zum Bowling. "Wir fürchteten, Ahmadinedschad mit seinen Parolen der Rückkehr zu den Werten der Revolution werde uns alle Freiheiten des täglichen Lebens rauben. Doch wir sind frei wie in den vergangenen Jahren der Khatami-Ära." Doch viele trauen dieser Freiheit nicht. Im Moment will der Präsident offenbar in seiner verschärften Konfrontation mit dem Westen das Volk vereint hinter sich scharen. "Aber wir fürchten, die (paramilitärischen) Bassij-Milizen können jederzeit zuschlagen, um uns unseren kleinen Freiraum zu rauben", meint Ahmed. In der Atomfrage jedoch sind sich die Iraner diverser politischer und ideologischer Richtung aber fast vollständig einig: Das Recht auf Atomtechnologie müsse ihnen zugestanden werden.

Mit Russland kooperieren

Einige Wochen lang haben sich die Medien und diverse Politiker mit der politischen Strategie Ahmadinedschads auseinander gesetzt. Oppositionelle und gemäßigtere Kräfte des Regimes kritisierten heftig den aggressiven außenpolitischen Kurs des Präsidenten und drängten nach Diplomatie und Dialog. "Wir müssen internationales Vertrauen schaffen", mahnt der stellvertretende Chef der oppositionellen islamisch-nationalen "Befreiungsbewegung" Mohammed Tavassoli in seinem bescheidenen Teheraner Büro. "Das braucht Zeit. Deshalb sollten wir zunächst die russischen Vorschläge, Uran für uns anzureichern, akzeptieren. Wir würden damit eine neue Atmosphäre schaffen. Konfrontation schadet nur unserem Land."

Totale Zensur zur Atomfrage

Doch die kritischen Stimmen verstummen mehr und mehr. Selbst der einst so mächtige Parlamentssprecher Mehdi Karrubi, nun Führer einer eigenen linksislamischen Partei, gesteht in einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter, dass er derzeit aus "taktischen Gründen" zur Atompolitik lieber schweige. Steht auch er unter Druck? Über die Medien hat das Regime bereits totale Zensur verhängt, über die Atomfrage darf nicht einmal diskutiert werden. Im Fernsehen treten nur Experten auf, die die Vorzüge der Atomenergie anpreisen. Niemand wagt es mehr, auf die langfristig katastrophalen Folgen dieser Konfrontationspolitik für die Wirtschaft, ja für die Stabilität des ganzen Landes hinzuweisen. "Ihr (der Westen) braucht uns mehr als wir euch", lautet der Grundtenor, der Ahmadinedschads Provokationskurs speist.

In die Seelen der Menschen hat dieser Kurs tiefe Ängste gesät: Angst vor den usa, die zu einem Militärschlag mit unabsehbaren Folgen entschlossen sind; Angst vor den Folgen weiterer Unberechenbarkeiten und Provokationen Ahmadinedschads gegenüber dem Ausland und Angst, dass dieser fanatische Präsident das iranische Volk noch stärker unter die Knute einer islamischen Diktatur mit faschistischen Zügen zwingt.

Die Autorin ist freie Journalistin.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung