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Mit Koran und Sturmgewehr

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Zuerst wollte man nur die Schah-Diktatur beseitigen. Die Moschee wurde der einzige Zufluchtsort für die Opposition. Doch die erkämpfte Macht wollten die Mullahs mit niemandem teilen.

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Zuerst wollte man nur die Schah-Diktatur beseitigen. Die Moschee wurde der einzige Zufluchtsort für die Opposition. Doch die erkämpfte Macht wollten die Mullahs mit niemandem teilen.

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Als im Laufe des Jahres 1978 die Unruhen im Iran ausbrachen und sich ihre Ausdrucksform immer stärker an die religiöse Symbolik anlehnte, warnten kritische Beobachter vor der Entstehung des islamischen Gottesstaates und dessen unabsehbaren Folgen. Aber selbst die kritischeren Teile der Opposition — vor allem die liberalen und linksgerichteten — akzeptierten die Führerschaft des Ayatollah Ruhollah Chomeini in der Annahme, seinen Einfluß nach dem Weggang des Schahs wieder eindämmen zu können. Einer der am meisten gebrauchten Sätze dieser Zeit war wohl der, daß es „schlimmer als beim Schah nicht werden könne“.

So war die Revolution in Iran zunächst in aller Deutlichkeit auf die Beseitigung des Schah-Regimes gerichtet. Da es während des Schah-Regimes — und auch davor — allen gesellschaftlichen Kräften versagt war, sich offen politisch zu artikulieren, gab es auch entsprechend wenig konkrete Vorstellungen darüber, wie die Zukunft des Landes nach der Abschaffung der Dynastie aussehen soll. Die Auseinandersetzungen über die künftige Staatsform eskalierten schnell zu einem heftigen und brutalen Machtkampf.

Die Kräfte um Chomeini, die die Führung der antimonarchistischen Bewegung in der Hand hatten, verlangten eine konsequente Re-Islamisierung der ganzen Gesellschaft, während ein Großteil der übrigen Opposition eher einen Demokratisierungsprozeß im Auge hatte, ohne jedoch ein formuliertes Programm vorweisen zu können.

Heute, sieben Jahre nach der Beseitigung des Schah-Regimes, ist die Polarisierung schärfer denn je. Die unterschiedlichen Auffassungen in Fragen der Gesellschaftsordnung haben ihre Wurzeln sowohl in der konstitutionellen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts als auch in der sogenannten „Erdöl-Nationalisierungsbewegung“ des Mohammed Mossadegh in den frühen fünfziger Jahren. Abgesehen von diesen beiden Perioden offener politischer Auseinandersetzungen gab es keine weitere Phase in der iranischen Geschichte, in der die gesellschaftlichen Widersprüche von den sozialen und politischen Gruppierungen frei hätten diskutiert werden können.

Als sich 1978 und 1979 der gesellschaftliche Druck gleich einer Explosion entlud und zum gewünschten Erfolg führte, machte sich die fehlende Praxis eines kontinuierlichen Dialogs zwischen Staat und Opposition schmerzlich bemerkbar, führte dieser Mangel doch nach dem Sturz der Diktatur nur allzu schnell dazu, daß das Prinzip der Gewaltanwendung als Mittel zur Lösung politischer Probleme beibehalten wurde.

Der allgemeinen Begeisterung im sogenannten „Frühling der Freiheit“ folgte bald die Ernüchterung. Kaum war eine Diktatur beseitigt, wurde sie durch eine klerikale ersetzt.

Ein wichtiges Moment der gesamten Problematik ist die Tatsache, daß es möglich war, die ursprünglich politisch motivierte Protestbewegung in eine religiöse umzuwandeln.

Erstens, je mehr die politische Opposition in der Schah-Zeit die

Hoffnung verlor, am politischen Leben teilnehmen zu können, um so mehr wurden die Moscheen zum Versammlungsort der gesellschaftlichen Proteste.

Zweitens, es fehlte eindeutig eine säkularistische Bewegung mit einer starken und aktiven Führung.

Drittens, je mehr den politischen Kräften die Initiative der Bewegung entglitt, um so deutlicher drängten sich religiöse Parolen und Ideen in den Vordergrund.

Viertens, für große Teile der Bewegung war der Ayatollah Chomeini der Führer der Bewegung. Diese nützte er geschickt aus, um den politischen Inhalt in seinem Sinne zu beeinflussen. In der Euphorie des Sieges — unmittelbar nach dem Umsturz — wurde die islamische Republik als neue Staatsform zum Referendum gestellt. Damit war der erste wichtige Schritt für die Re-Islamisierung der Gesellschaft vollzogen. Nach Chomeinis Konzept sollte der Klerus — oder zumindest ein Teil von ihm — zum ersten Mal in der iranischen Geschichte die herrschende Klasse der Gesellschaft bilden.

Mit der Einsetzung der provisorischen Regierung, der Geiselnahme der US-Botschaftsangehörigen und dem Sturz des Staatspräsidenten Abol Hassan Bani Sadr durchlief der Iran die bisher drei wichtigsten Phasen seines jüngsten Umwälzungsprozesses.

Erstens gab es nach den Vorstellungen der Mullahs bei der Abstimmung (Referendum) nur zwei Alternativen: Monarchie oder Islamische Republik. Somit war von vornherein klar, daß die große Mehrheit einer Islamischen Republik ihre Stimme geben wür-

„Nach Chomeinis Konzept soll der Klerus die führende Klasse im Staat bilden“

de — und sei es auch nur um der Monarchie eine Absage zu erteilen. Was eine Islamische Republik inhaltlich bedeuten würde, darüber gab es bis zum Zeitpunkt der Wahlen keine konkreten Vorstellungen im Volk. Immer noch äußerte sich Chomeini nur zurückhaltend zu seinen eigenen Plänen. Angesichts der provisorischen

Regierung des Mehdi Bazargan, in der keine einzige Persönlichkeit der Geistlichkeit (Mullahs) vertreten war, glaubten die meisten Wähler, daß eine Islamische Republik eine ähnliche Staatsform sei wie eine Demokratie — nur eben mit einem islamischen Hintergrund.

Bald wurde aber klar, daß der Klerus keineswegs gewillt war, die erkämpften Freiheiten zu dulden. Er begann damit, alle andersdenkenden Organisationen zu diffamieren, und seine schärfsten Angriffe richteten sich gegen die demokratisch gesinnte Opposition, die damals noch über eine öffentliche Basis verfügte.

Um diese Zeit fielen auch die ersten Attacken gegen die Frauen. Zwar stießen Chomeinis Pläne zur Wiedervefschleierung auf massive Kritik im ganzen Land, so daß er sie wieder zurückziehen mußte, doch nur, um sie zu einem späteren Zeitpunkt umso strenger durchsetzen zu können.

Die zweite wichtige Phase begann mit der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran im November 1979. Durch diesen Coup wurde mit einem Schlag der Einfluß der liberalen, demokratisch gesinnten Kräfte drastisch verringert, und die Islamische Republikanische Partei (IRP), die bis dahin nur hinter den Kulissen aktiv war, trat nun plötzlich als stärkste politische Kraft auf.

Diese neue radikale Welle fegte die zivile Regierung Bazargan hinweg, und die militant antiamerikanische Atmosphäre entzog allen demokratischen Kräften den Boden. Auch der im September 1980 erfolgte Großangriff der Iraker festigte Chomeinis Position. Im Verlauf des Islamisie-rungsprozesses wandelte sich die Rolle Bani Sadrs, zuerst Präsident von Chomeinis Gnaden, immer mehr in die einer Oppositionsfigur. Ging er am Anfang seiner steilen Karriere durchaus mit den Vorstellungen des klerikalen Flügels konform, stellte sich nach und nach jedoch heraus, daß er die Radikalität des schiitischen Programms nicht weiter mitzutragen vermochte.

Obwohl sich Bani Sadr als Staatspräsident immer wieder auf Chomeini berief und ihn in seiner Auseinandersetzung mit den Radikalen von der Islamischen Republikanischen Partei (IRP) auf seine Seite zu ziehen versuchte, waren doch die meisten seiner Anhänger diejenigen, die in irgendeiner Weise mit dem Regime grundlegend unzufrieden waren. Chomeini selbst hatte anfangs für keinen der beiden Gegner Partei bezogen. Doch hinter den

„Viele glaubten, die Islamische Republik sei eine demokratische Einrichtung“

Kulissen bereitete er-zusammen mit den Aktivisten von der Islamischen Republikanischen Partei den Sturz Bani Sadrs vor.

Eine einzige Demonstration, die in Teheran gegen seine Absetzung stattfand, wurde blutig niedergeschlagen. Mit der Absetzung Bani Sadrs begann die dritte Phase der Machtkämpfe innerhalb der islamischen Führung. Das Regime, das jetzt die ungeteilte Macht innehatte, begann mit beispielloser Härte gegen alle vorzugehen, die sich — wenn auch nur geringfügig - seiner Weltanschauung widersetzten. Von nun an wagte sich zum Beispiel keine Frau mehr ohne vorgeschriebene Verschleierung auf die Straße.

Bezeichnend war das Verhalten Chomeinis während der Machtkämpfe innerhalb der Führung. Während der ersten Zeit hielt sich Ayatollah Chomeini aus den Auseinandersetzungen möglichst heraus, um seine Handlungsfreiheit stets zu wahren.

Er schürte geschickt die Angriffe, vor allem gegen das westliche Ausland, um seine Anhängerschaft immer bei der Stange zu halten. Hinzu kam noch ein Wichtiges: Von Anfang an berief sich Chomeini auf die Armen in der iranischen Gesellschaft, um so den Angriffen der Linken die Spitze zu nehmen.

Sein einziges Ziel war es von Anfang an, eine islamische Republik zu errichten, den Klerus an die Macht zu bringen und die Gesetze des Koran wiedereinzuführen. Chomeini hat dieses Ziel erreicht: Zum ersten Mal in der iranischen Geschichte verfügt der schiitische Klerus über die uneingeschränkte Macht im Staat.

Bisher erschienen zum Themenbereich politischer Islam Beiträge in der FURCHE 11 (1986) und 13 (1986).

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