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Chum und Teheran

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Am 30. März soll das iranische Volk seinen Willen kundtun, künftig in einer islamischen Republik zu leben. Am Ausgang dieser Abstimmung gibt es kaum einen Zweifel.

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Am 30. März soll das iranische Volk seinen Willen kundtun, künftig in einer islamischen Republik zu leben. Am Ausgang dieser Abstimmung gibt es kaum einen Zweifel.

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Die hochheilige Stadt Chum, ein schiitisches Rom, ist wie eine Fata Morgana. Nicht nur der sakrale, jedem Ungläubigen verwehrte Moschee-Bezirk, wo unter goldenen und blauenden Kuppeln vor dem Hintergrund der , Zagros-Schneeberge Fatma Maasumae, „die unbefleckte Schwester“ des Schiiten-Imam Reza aus dem frühen 9. Jahrhundert begraben liegt. Die Volksfrömmigkeit verwechselt sie gerne mit der gleichnamigen Prophetentochter, betet ihr zu Ehren einen regelrechten Rosenkränz blumiger Anrufungen. Dank dem Sarkophag ist Chum seit alters her ein vielbesuchter Wallfahrtsort! die vielleicht heiligste Stadt der Schia ist es aber auf Grund eines besonderen Gräbersegens geworden.

Wer sich zu Lebzeiten nicht zum Bußgang zur Unbefleckten aufgerafft hat und als alter Sünder vom Tod überrascht worden ist, kann doch noch bis in den siebenten Himmel „mit Mädchen schön wie Hyazinthen“ gelangen, wenn er sich nur am rechten Himmelstor beisetzen läßt. Für den einfachen Schiiten gibt es sieben solche Tore, vier davon im heutigen Irak, drei im Iran - Meschede Ardebil und eben Chum.

Vorbei sind allerdings die Tage und Gerüche der Todeskarawanen, die übers Jahr aufgesparte Leichen zu besonders festlichen Zeiten in kopfüber von den Kamelen hängenden

„Für sie ist der Schleier kein Zwang, sondern eine Selbstverständlichkeit, und sie wissen lustig damit zu kokettieren“

Holzsargen hierher schaukelten. Heute erledigen dieses Geschäft unauffällig und hygienisch die schwarzen Limousinen von Bestattungsunternehmen aus dem ganzen Land, denen man auf den Straßen nach der hochheiligen Stadt auf Schritt und Tritt begegnet.

Doch Chum hat nichts von dem Grauen einer Totenstadt, sondern die Beschaulichkeit eines gepflegten allpersischen Zentralfriedhofs. Alles hier ist Geschichte, Tradition, Artväterlichkeit. Der Gottesstaat der islamischen Republik, die Chumeini, der „Mann aus Chum“, seit der Februarrevolution mit Riesenschritten aufzurichten versucht, wäre wirklich angemessen, bliebe er auf diesen Winkel beschränkt. Zwischen Mullah-Seminaren, Obstgärten und Geschäften mit religiösen Andenken ist es nur selbstverständlich, daß Alkohol, Kartenspiel und andere Unsitt-lichkeiten verpönt sein müssen.

Hier trifft man erstaunlicherweise die fröhlichsten und gesündesten Menschen von ganz Iran. Die Mädchen sind hübsch, viel hübscher als drüben in Teheran. Für sie ist der Schleier kein Zwang, sondern eine Selbstverständlichkeit und sie wissen lustig damit zu kokettieren.

Kein Wunder, daß der in fast sechzehnjährigem Exil in Bursa, Nadschaf und Paris zum pedantischen Griesgram gewordene Chumeini hier schon in wenigen Tagen das Lachen wieder gelernt hat. Sein ebenerdiges Haus in der Schulstraße hinter der Moschee der Unbefleckten macht der heiligen Kuppel der Fatma, aber auch dem hochgelehrten und menschenfreundlichen, daheimgebliebenen Ayatollah von Chum, dem weniger radikalen Schariat Madari, Ruhm und Besucher streitig. Alle umliegenden Häuser sind sakraler Boden geworden, den man nur unbeschuht und auf Zehenspitzen betreten darf.

Ayatollah Ruholla Chumeini, der „Bild und Geist Allahs“ sein will, hat sich eine regelrechte Kurie geschaffen, in der das Arabisch der höheren Theologen und nicht das populäre Neu-Persisch zum guten Ton gehört. Irans Oberschüler werden künftig statt Englisch und Deutsch Arabisch zu lernen haben, als einzige europäische Fremdsprache hingegen Französisch, da sich Chumeini der Schützenhilfe der Grande Nation verbunden weiß. Nirgends in Chum fehlen Spruchbänder gegen den bösen Imperialistenboß Carter, die zionistisehen Jerusalem-Beschmutzer und selbst die schweizerischen „Banklumpen des Schah“. Frankreich und Giscard d'Estaing hingegen wird ebenso aufdringlich als Chumeinis Steigbügelhaltern Tribut gezollt. „Vive la France“ steht an Häufigkeit auf den Plakatwänden gleich hinter dem islamischen Kampfruf „Allahu Akbar“.

Was Chumeinis Mitarbeiter vom „Islamischen Komitee“, auf dem Fußboden hockend, Tee mit dem Würfelzucker im Mund schlürfend, dem Fremden erzählen, wirkt hier im patriarchalischen Rahmen recht überzeugend. Der Islamische Glaube müsse endlich wieder gelebt und damit auch politisch realisiert werden. Es sei ein Sakrileg, zu behaupten, daß alles Recht vom Volke ausgehe, sei doch Allah allein der höchste Gesetzgeber. Daher Islamtreue in allen Grundsatzfragen, die auch kein Parlamentsbeschluß umstoßen dürfe, und möglichst direkte Demokratie in allen dem Glauben gegenüber indifferenten wie vor allem praktischen Belangen.

Zum Unterschied von den rigorosen Sunniten saudiarabischer Prägung sind die Schiiten von Chum reformfreudig. Das wurzelt in ihrer Theologie von der „Badaa“, die selbst Gott zunehmende Erfahrung bei der Lenkung seiner Schöpfung und damit Revision früher einmal erlassener Offenbarungen und Sittengesetze zubilligt. Für Chumeini sind die spektakulären Handlungen des Weinflaschenzerschmetterns, Frau-enverschleierns und Sünderäuspeit-schens daher gar nicht seine letzte Weisheit.

„Unser Feind Nummer eins“, läßt er den prächtig beturbanten Vorsitzenden seines Revolutionskomitees sagen, „ist der atheistische Kommunismus“. Unterdessen zetert die vordergründige iranische Propaganda zur Zeit aber fast nur gegen Israel und die Amerikaner.

Der intelligente Mudschtahid, der Diplomtheologe in Chumeinis Umgebung, zeigt interne Weisungen an die islamischen Kader im ganzen Land vor, wo auf die Gefährlichkeit der Kommunisten und ihrer Tarnungen in der Tudeh-Volkspartei hingewiesen, das Ende ihrer vorübergehenden Duldung angekündigt und die Unterscheidung zwischen den kommunistischen, westlich-parlamentarischen, monarchischen und islamischen Regierungssystemen vorgenommen wird.

Dabei soll die frühislamische Theo-kratie des Schia-Gründers Imam Ali in moderner Weise erneuert werden, wobei auf kleine, überschaubare Ba-

„Schleier und Kopftücher sind aber harmlose Dinge, denkt man an die revolutionäre Schnell- und Blutjustiz des Iran“ sisgemeinden der größte Wert gelegt wird.

Chumeini und Libyens Gaddafi könnten einander die Hand reichen, stünde nicht zwischen ihnen das ungeklärte Schicksal des in Tripolis verschollenen libanesischen Schiitenführers Imam Sadr.

Was im lieblichen Chum faszinierend gewirkt hat, wird gleich fragwürdig, wenn man sich nach dreistündiger Fahrt durch steinige Wüsten den Teheraner Vorstädten mit ihren seit der Revolution fast nur noch feiernden Fabriken, zum Stillstand gekommenen Baustellen und drei Millionen Arbeitslosen nähert. Und mit den Frauen, die sich weder den Schleier noch die von Chumeini als Minimum geforderte Kopftracht aufzwingen lassen wollen. Für eine konservativ-iranische Frau gilt es nämlich als ehrloser, das Haupthaar zu zeigen, als selbst Busen oder gar das Gesäß zu entblößen. Studentinnen und Fabrikarbeiterinnen, die in Jeans und Pullovern in vorderster Front der Revolution gegen den Schah gekämpft haben, wollen sich um keinen Preis in die schwarzen, von der Schia geforderten Kutten stecken lassen. Sind diese doch selbst nach den Worten des von Chumeini eingesetzten liberal-islamischen Regierungschefs Basargan nichts als „Hüllen des Elends“, des Schmutzes und der Ungepflegtheit.

Allerdings hat Chumeini selbst in letzter Zeit etwas zurückgesteckt und zeigt sich den Frauen gegenüber toleranter. Seit kurzem mit einer Acht-zenjährigen verheiratet, scheint er weibliche Reize durchaus zu schätzen. So werden die demonstrierenden Frauen jetzt wenigstens nicht mehr von Schlägertrupps mit Messern und Beilen attackiert. Als „Vorstadthuren“ und „Ami-Dirnen“ müssen sich unverschleierte Frauen in der Öffentlichkeit aber nach wie vor beschimpfen lassen.

Schleier und Kopftücher sind aber harmlose Dinge, denkt man an die revolutionäre Schnell- und Blutjustiz des Iran. Wenigstens behält sich Chumeini neuerdings die Bestätigung der Urteile vor, und Sexualdelikte hat er überhaupt der Zuständigkeit der Revolutionstribunale entzogen, nachdem zahlreiche Homosexuelle hingerichtet und Liebespaare zu brutalen Prügelstrafen verurteilt worden waren.

Daß dies aber keine Wendung zugunsten einer Rechtsstaatlichkeit im westlichen Sinn bedeutet, zeigt der Fortschritt des Verfahrens gegen den langjährigen Premierminister des Schah, Hoveida. Zwar war von einer öffentlichen Verhandlung die Rede, Zutritt hatten aber nur rund 200 ge-

„Alle liberalen Kräfte des Iran setzen heute ihre letzten Hoffnungen auf den provisorischen Ministerpräsidenten Basargan, der seine Standfestigkeit in Sachen Menschlichkeit schon mehrmals bewiesen hat“ eichte islamische Jungrevolutionäre. Der Alt-Ministerpräsident mußte sich selbst verteidigen, Edgar Faure war am Wochenende noch immer nicht als Verteidiger zugelassen. In einem abgeschabten Anorak, eine Kartontafel mit der Aufschrift „Schahknecht“ vor der Brust, steht Hoveida vor dem Gericht. Dabei wurde sein eigenes Argument, er habe seine Hände weder mit Blut noch mit Korruptionsgeld beschmutzt, von der Anklageschrift indirekt bestätigt, denn auch in der Anklageschrift ist davon nicht die Rede, sondern von „Verbrechen“ wie Gottlosigkeit, Feindschaft gegenüber dem Volk Allahs, Tätigkeit für amerikanische und britische Interessen, Beteiligung an der „NATO-Verschwörung“ und Mitgliedschaft in der Teheraner Großloge. Hoveida hat etwas Zeit gewonnen, aber sein Kopf sitzt im Quasr-Gefängnis nach wie “vor äußerst locker.

Alle liberalen Kräfte des Iran setzen heute ihre letzten Hoffnungen auf den provisorischen Ministerpräsidenten Basargan, der seine Standfestigkeit in Sachen Menschlichkeit schon mehrmals bewiesen hat und den man als gläubigen, aber alles andere als fanatischen Mann kennt, und ' auf den alles andere als islamisch gläubigen Außenminister Sand-schabi von der „Nationalen Front“.

Das Idol der iranischen Jugend ist allerdings Chumeinis linker Mitläufer und marxistisch orientierter Wirtschaftstheoretiker Abu Hassan Bani-Sadr. Von der Regierung ebenso wie vom islamischen Zentralkomitee ausgeschlossen und nur mit einem Sitz im Aufsichtsrat der iranischen Zentralbank abgespeist, zieht der schlanke Intellektuelle mit Schnurrbart und Hornbrille von Fakultät zu Fakultät, von Fabrik zu Fabrik, und verkündet ruhig, fast zaghaft, seine explosive Botschaft: Einseitige Annullierung der iranischen Auslandsschulden in der Höhe von nahezu drei Milliarden Schweizer Franken, drastische Anhebung der Rohölpreise, generelle Verstaatlichung der iranischen Wirtschaft und .„harte Vergeltungsmaßnahmen“ gegen alle Länder, die, wie die USA und die Schweiz, Vermögenswerte des Schah nicht herausrücken wollen.

Der vitale Bani-Sadr gilt heute vielen Menschen im Iran als heimlicher Kronprinz der „beiden Alten“, Chumeini und Basargan. Er wirkt wie ein sympathischer Idealist, aber sein bescheidenes Auftreten darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er viel zu doktrinär denkt, um sein Volk in eine bessere Zukunft zu führen. Trotzdem könnte das Votum der Perser am 30. März „für eine islamische Republik“ langfristig wahrscheinlich ein Votum für Bani-Sadr bedeuten.

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