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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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FUNFUNDZWANZIG JAHRE sind es nun, sei Ignaz Seipel am 2. August 1932 die Augen fü immer schloß. Seine Augen haften den Unter gang des allen Reiches, die schwierigen An. fange des neuen Oesterreich und die Herauf kunft neuer Katastrophen gesehen. Sie brachen als Oesterreich in der permanenten Krise unsere; Zeit, mitten in eigenen Geburtswehen, an der Rand des Abgrunds geriet. Dem toten Gegnei hat damals, in der „Arbeiter-Zeitung“, Otte Bauer einen vielbeachteten Nachruf gewidmet Das war damals ein sehr persönlicher Ehrenak gewesen. Seine politische Verpflichtung haber erst spätere Zeiten erkannt, und erst die Ge- genwart beginnt sie einzulösen. Und beginn damit, das Werk des größten Staatsmanns: Oesterreichs in einer Zwischenzeit fortzuführer und den ursprünglichen Zielen zu nähern. E: war nämlich die persönliche und politische Tra- gödie Seipels, daß dieser Mann in seiner Zei scheitern mußte, weil sie, verwirrt durch Haß unc lange Schatten der Vergangenheit, sich einen großen Planen und wirklich schöpferischer poli' fi-scher Aufbauarbeit verschloß. Seipel war gerade weil er in strengster Selbsfverpflichfunc seiner Idee, einer an ewigen Normen orientierten Staatsordnung, verbunden war, kein Doktrinär. Er war bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die mitarbeiten wollten an der Sanierunc Oesterreichs und an der „Sanierung der Seelen" von deren Primat er nicht nur sprach, sonderr die ihm innerstes Anliegen war. Also versucht er, mit allen politischen Kräften der Zeit eir Auskommen zu treffen und war immer wach ausschauend, wo sich ein Lichfstreif am verdüsterten Horizont bot. Dieser christliche Realismus ist oft mißverstanden, ist ihm off verdach worden. Man hai ihn einen „Packler” genannt weil er das echte Bündnis mit den echten Partnern wollte, also das wahre „Kompromiß“: eine kleingläubige, tief unsichere Zeit vermochte darin nur ein Sich-Kompromitfieren zu sehen. — So traf Seipel innerlich in eine immer tiefere Einsamkeit ein, wenig verstanden von Freunden bekämpft bis in den Tod von vielen Feinden gefürchtet, in Angst und Ehrfurcht, von beiden Für die Gegenwart bedeutet das Gedächtnis, die Erinnerung an ihn, eine ernste Mahnung: diese hält, ungewollt und unbewußt, und deshalb um so objektiver sein Tagebuch fest, Nüchternste und klarste Selbstkritik und Innenschau eines christlichen Staatsmannes, der sich selbst und seine Versuchungen ebenso schonungslos durchschaut wie die Schwäche der Zeit, und dann beides, Volk, Nation, Zeit und eigenes Wirken und Wollen ergriffen in die Hände des Höchsten legt.

SIEGREICH IM KLEINKRIEG GEGEN DEN KLEINEN MANN: Die Preise für Gemüse, Obst, wichtigste Nahrungsmiffel, sind auf unseren Märkten in den beiden letzten Jahren teilweise um das drei- bis vierfache, zumindest um das Doppelte gestiegen. Kartoffel, die 1955 1.20 bis 1.40 S kosteten, kosten heute 2.20 bis 2.80 S. Kohl kostet statt 1.80 bis 2.50 S jetzt 6 bis 7 S! Erbsen, früher um 3 S zu haben, kosten 10 bis 14 S. — Außenstehende, die keine Familie haben oder diese Preiserhebung aus anderen Gründen nicht spüren, weisen mif maliziösem Lächeln darauf hin, daß die Hausfrauen ja selber mit Schuld seien: sie müßten ja nicht kaufen und hätten auch das demokrafische Mittel des Streiks, des Käuferstreiks zur Verfügung. Eine Bemerkung, die, off wiederholt, glatter Unsinn ist. Unsere Hausfrauen sind darauf angewiesen, die Grundnahrungsmitfel, und dazu gehören eben unsere „Erdäpfel”, und für die Kinder Obsf und Gemüse zu kaufen. Und sie können es sich auch nicht leisten, zeitlich und finanziell nicht, ins relativ nahe Burgenland zu fahren und dort die Marillen um 1.50 bis 2.50 S statt hier auf dem Markt um 5 bis 7 S zu kaufen. Unsere Politiker dürfen sich heute und morgen nicht wundern, wenn ihre politischen Parolen immer weniger Glauben finden: sie verlieren ihren Kredit täglich, knit jedem Kilogramm „Erdäpfel” und jedem Viertelkilogramm Obsf, das das Budget unserer Hausfrauen schwer belastet. Und das Gewissen aller Verantwortlichen ebenso belasten sollte.

DER „WELLENREITER" 1ST WIEDER OBEN. Immer wenn es im sowjetischen Kommunismus große Erschütterungen gibt, richten sich die Blicke neugierig auch auf Italien, um zu sehen, ob und wie weif Rückwirkungen in der stärksten kommunistischen Partei des Westens fesfzusfellen sind. Wie weit sie den Parfeichef Palmiro Togliatti betreffen, zweifellos eine der einflußreichsten Figuren des internationalen Kommunismus. Dieser Mann hat alle Veränderungen überdauert, gleichgültig, ob in Moskau Stalinisten oder „Reformisten”, Diktatur oder kollektive Führung herrschen., Togliatti hat se’bst behauptet: „Io sarö sempre Sulla cresta dell'onda — Ich werde immer auf dem Wellenkamm reifen.“ Das Geheimnis seiner Unerschüfferlichkeif liegt darin: höchsfenfwickelte Fähigkeit sich anzupassen, und Schmiegsamkeit nach außen, also Moskau gegenüber; rücksichtslose Disziplin innerhalb der eigenen Partei; niemals sein Schicksal an das eines andern zu binden. So wie Togliatti die jüngsten Ereignisse in der Sowjetunion kommentiert hat, scheint er sagen zu wollen: „L’ho sempre detto io — Ich habe es immer gesagt.’ Dabei kann er dieses Verdienst mit vollem Recht für sich in Anspruch nehmen. Er könnte es auch, wenn in Moskau nicht Chruschtschow, sondern die Stalinisten die Oberhand behalfen hätten. Denn Togliatti war Stalinist mit Stalin, er machte sich sofort die kühnen Thesen des 20. Parteikongresses zu eigen, schwenkte dann vorsichtig in die Linie der Neo- Stalinisten ein und erklärt jetzt mit großer Seelenruhe: „Die italienischen Kommunisten waren und bleiben ohne Vorbehalt für die politische Linie des, 20. Parteikongresses.’ Daß sich irgend etwas um ihn geändert hat, spürt man nur aus dem Bericht des Parteiorgans „Unifä aus Moskau, wo die Ereignisse der letzten Epu- rafion mit erstaunlicher Vorurteilslosigkeit dargestellt sind. Jedoch wäre es verfehlt, größere Rückwirkungen in der italienischen KP zu erwarten. Ein Togliatti nicht wohlwollender kommunistischer Abgeordneter hat bemerkt: „Die KPI ist heut dermaßen .klerikalisierf', daß absolut nichts geschehen wird." Eine elfköpfige Abordnung, mit dem Vizesekrefär Luigi Longo an der Spitze, begibt sich jetzt nach Moskau, um sich über den Stand der Dinge zu informieren. Von dem Ergebnis dieser Erkundungsfahrt wird abhängen, ob Togliatti eine neue Kehrtwendung für notwendig betrachtet.

SAUDIARABISCHER IMPERIALISMUS. Der Einsatz vop vier Venom-Düsenjägern der R. A. F. und ihrer Raketen gegen die Lehmziegelzitadelle von Nizwa scheint genügt zu haben, um die Gefolgschaft des revoltierenden Imams Ghaleb ben Ali einzuschüchfern und die Autorität des Sultans von Mascat und Oman zumindest bei der Mehrzahl seiner Vasallen wiederherzustel-

len. Damit dürfte die Gefahr, daß ein an sich kaum nennenswerter, lokaler Zwischenfall einen Großbrand auf der arabischen Halbinsel auslösen könnte, zunächst gebannt sein. Die Frage ist nur, auf wie lange. Es war dies nicht das erstemal, und es wird sicher nicht das letzte gewesen sein, daß dieser listenreiche und unermüdlich rührige Imam in Verabredung mif König Saud, und ausgerüstet mit saudiarabischen Maria-Theresien-Talern und Waffen amerikanischen Ursprungs, einen Vorstoß gegen den Sultan von Mascat und den Scheich von Abu Dhabi unternimmt, mif dem offenkundigen Ziel, das Gebiet um Buraimi, Wo ungemein ergiebige Oelvorkommen vermufef werden, unter die Oberhoheit Sauds zu bringen. Die Briten werden also weiter gezwungen sein, die Verpflichtungen, die sich aus ihrem Bündnis mif dem Sultan und aus den Schufzverfrägen mit den unter britischem Protektorat stehenden Scheichs der Waffensfillstandsküste ergeben, prompt zu erfüllen; denn jedes Zögern würde von diesen Fürsten als Beweis britischer Treulosigkeit oder Schwäche ausgelegf und zum Anlaß genommen werden, Anlehnung bei König Saud zu suchen, der damit der Verwirklichung seines Traumes von einem großarabischen Reich in seiner Hand, den gesamten Raum vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf umfassend, um ein gufes Sfück näher gekommen wäre. Es handel sich da also nicht einfach um eine Frage des britischen Prestiges, und auch nicht in erster Linie, wie vielfach angenommen werden, um Konkurrenzmanöver britischer und amerikanischer Oelinfer- essen; solche Rivalitäten spielen gewiß mif eine Rolle, aber worum es im Wesentlichen geht isf die Erhaltung der politischen Stabilität in einer Zone, in der jeder Umsturz eine unmittelbare Bedrohung des Weltfriedens nach sich ziehen müßte. Wenn sich die maßgebenden Männer in Washington und in London dieser Tatsache in gleichem Maße bewußt wären, sollte es ihnen nicht schwer fallen, den Weg zu der dringend notwendigen gemeinsamen Linie der angloamerikanischen Politik im Vorderen Orient zu finden.

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