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Islam-Erneuerung auch ohne Steine

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Vor fünf Jahren begann die „Re-Islamisierung“ im Iran. Saudi-Arabien versucht es anders, aber ähnlich totalitär. Andere Regime steuern einen Mittelkurs - Theologen auch.

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Vor fünf Jahren begann die „Re-Islamisierung“ im Iran. Saudi-Arabien versucht es anders, aber ähnlich totalitär. Andere Regime steuern einen Mittelkurs - Theologen auch.

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In Ägypten werden die vom ko- ranischen Strafrecht für Alkoholgenuß und Unkeuschheit vorgesehenen Peitschenhiebe den Bar- und Nachtklubbesuchern gleich in Form gesalzener Geldbußen auf die Rechnung addiert. Daneben haben sich die wenigen erklärt multireligiösen und weltlichen Muslimstaaten wie der Irak und die Türkei überraschend klar gegen den fundamentalistischen Sog gehalten.

Besonders hoffnungsvoll ist jedoch, daß namhafte islamische Theologen und Rechtslehrer ge-

gen den Unfug der sogenannten Re-Islamisierung auftreten und das ganze starre Uberlieferungsgefüge erstmals kritisch zu sichten beginnen. So weit war nicht einmal die heute abgetane Generation der Islam-Reformer um die Jahrhundertwende gegangen. Für einen Afaghani, Muhammad Ab- du oder Raschid Reda war es göttliches Gebot geblieben, daß eine Ehebrecherin gesteinigt werden muß. Ihre menschliche Änderung setzte bei der Durchführung an: Die Sünderin wurde einfach mit Kieselsteinen beworfen, um dem Gesetz Genüge zu tun.

Seit die Muslime aber wieder an den Buchstaben jeder Vorschrift kleben, ist dieser Ausweg verbaut. Größere Geister stellen daher so brutale „Gebote“ überhaupt in Frage — etwa die Todesstrafe für den Abfall vom Islam, wie sie bei den Schiiten und den strengen Wahhabiten auf der Arabischen Halbinsel vom Scharfrichter oder durch ein Erschießungskommando vollzogen wird, obwohl sowohl Iran wie Saudiarabien bei den Vereinten Nationen Lippenbekenntnisse zum Menschenrecht der Religionsfreiheit abgelegt haben.

In Pakistan, Tunesien und Ägypten steht auch schon wieder der Tod auf Glaubenswechsel, Atheismus und Materialismus. Seine Vollstreckung wird straffrei selbstberufenen „Rächern Allahs“ aus dem Verwandten- und Kollegenkreis überlassen.

Der angesehene Scheich Sobhi Saleh aus Libanon hat nun in diesem konkreten Fall nachgewiesen, daß nirgends im Koran das Leben eines Abgefallenen oder Freigeistes gefordert wird. Ins islamische Gesetz, die „Scharia“, ist diese Vorschrift von oströmischen Juristen mehr als hundert Jahre nach Muhammad eingebracht worden. Ihre Quelle ist keine göttliche Offenbarung, sondern die heiden- und ketzerfeindliche Gesetzgebung von Kaiser Theodosius.

Männer wie Sobhi Saleh stehen zur Stunde aber noch ziemlich allein und finden nur in akademischen Kreisen oder in den spirituell hochstehenden Derwisch- Bruderschaften Widerhall, zum Teil auch noch bei den Muslim- Brüdern, die man bei uns irrtümlich und zu Unrecht mit den neuen Radikalen in einen Topf wirft. Bei ihnen, die hauptsächlich in Ägypten und Syrien vertreten sind, handelt es sich um eine gerade sozial ausgesprochen fortschrittliche Reformbewegung des Islam. Bei der Wahl ihrer Methoden waren und sind die Muslim-Brüder allerdings genau so wenig zimperlich wie Chomeinis Wächter der Islamischen Revolution. Ihr Terror richtet sich jedoch ausschließlich gegen politische Widersacher.

Von uns verlachte oder mit Abscheu registrierte Äußerlichkeiten wirken als Zeichen und Siegel weltweiter Zusammengehörigkeit und Stärke. Schon im Mittel- alter haben islamische Soziologen wie Ibn Chaldun die machtpoliti-

sehe Stärke des Islam in der Gruppendynamik der sogenannten „Assabia“ erblickt, dem berauschenden Geist der Zusammengehörigkeit und einer daraus erwachsenden Stärke — ein Geist, den man seit 1979 besonders ausgeprägt bei den islamischen Freiheitskämpfern Afghanistans findet.

Dennoch gibt es eine Gruppe, von der die Re-Islamisierung zunächst ganz begeistert übernommen, inzwischen aber fast durch die Bank bereits wieder abgelegt wurde: die islamischen Frauen. Zunächst ging eine Welle der Wiederverschleierung um die islamische Welt. Gerade junge Mädchen und Studentinnen griffen nach

Tschador und Kopftuch, Sonnenbrillen und dunklen Handschuhen, um bis zu den Fingerspitzen verhüllt zu sein.

Dann aber sollten sie auf Weisung von oben unter Tuch und Decke bleiben, während ihre Nöte ungelöst blieben. Unter den Todesopfern der Ayatollah-Diktatur von Teheran finden sich seitdem auffallend viele Frauen, die jetzt den Schleier ebenso ostentativ wieder ablegen, wie sie seinerzeit nach ihm gegriffen haben. Und Ägyptens prominenteste Frauensprecherin, die ehemalige Sozialministerin Aescha Rateb, muß heute als Botschafterin in Bonn sitzen. Von einem „Islamischen Volksgericht“ in Kairo ist sie zur vogelfreien Hexe erklärt worden.

Für die islamischen Machthaber ist es natürlich einfacher und einträglicher, Schleier zu verteilen, als sozialen Wohnbau zu betreiben. Das gilt für fast alle Lebensbereiche, wo psychologische Ventile an die Stelle der Problembewältigung treten. Das war zunächst reine Selbsthilfe der Muslim-Massen und hat der Re-Isla- misierung zunächst den Anschein einer revolutionären Volksbewegung gegeben.

Wenn man von den schiitischen Volks-Mudschahedin und der Dschihad-Gruppe Ägyptens absieht, ist die Re-Islamisierung inzwischen jedoch zur hauptsächlichen Machtstütze für autoritäre Regime geworden.

Derzeit wird zumindest deutlich, daß ein Chomeini, Gaddafi, König Fahd, Mubarak oder Zia ul-Hak, religiös gesehen, gar nicht für den Islam, sondern nur für fanatische Zirkel stehen, die rein politisch an die Macht gekommen sind und jetzt die Religion des Propheten Muhammad für ihre Machterhaltung mißbrauchen.

Besonders kraß ist das bei den Saudis der Fall, die heute weltweit als Vorkämpfer eines reinen und strengen Islam auftreten. Doch zwischen ihrem Leben und der als Legitimitätsvorwand aufs Schild gehobenen Ideologie gähnt ein Abgrund. In Ägypten zum Beispiel darf auf saudiarabischen Druck während des Fastenmonats Ramadan kein Alkohol an Christen ausgeschenkt werden. Im selben Lokal, wo man als Nicht-Muslim nur gechlortes Nilwasser erhält, biegt sich der Nebentisch mit saudischen Sommerfrischlern unter Bier- und Whiskyflaschen.

In Libyen blieb von den ursprünglichen islamischen Anliegen Gaddafis nur die Fassade erhalten. Der Islam ist reines Machtinstrument und wird von dem „neuen Propheten“ in Tripolis ganz nach Bedarf umgedeutet. Die Militärexperten aus dem Ostblock und von Kuba erhalten nicht nur Wein und Schnaps in rauhen Mengen, sondern auch mit Gaddafis Visitkarte versehene Geschenkkörbe voll Speck und Schinken, obwohl die anderen Re-Islamisierer in erster Linie dem Schweinefleisch den heiligen Krieg erklärt haben.

Positiv ist Libyens heute größere Toleranz für Andersgläubige anzumerken. Nach dem Kirchensturm von 1970, der fast alle chri- atlichen Gotteshäuser des Landes der Reihe nach in Ziegenställe, Kinos und schließlich Moscheen verwandelt hat, wendet Gaddafi jetzt das Prinzip der Gegenseitigkeit an. Auf das endgültige Ja des Vatikan zur Moschee in Rom hat der libysche Bautenminister Omar Muntasser mit einer katholischen Kirchenlizenz in Tripolis reagiert.

Von den noch verhältnismäßig aufgeschlossenen Professoren am Kairoer Azhar oder im marokkanischen Fez wird bereits zwischen einer ernstgemeinten Re-Islami- sierung und der sogenannten „Is- lamia“ unterschieden, einem „Islamismus“ itn negativ-politischen Sinn.

Hinter ihren akademischen Formulierungen verbirgt sich die Einsicht, daß die Zukunft nur einem erneuerten und aufgewerteten Islam, der nicht als Herrscher, sondern als Partner anderer Religionen, Kulturen und Zivilisationen auftritt, gehören kann.

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