Waffe gegen Liberale

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Der Tatbestand der Apostasie, des Abfalls vom - islamischen - Glauben, wird von muslimischen Despoten nicht selten zum Machterhalt missbraucht.

Wenn jemand seinen (nicht-islamischen) Glauben in einer muslimischen Gesellschaft praktiziert, wird diese ihn nicht daran hindern oder auf ihn Druck ausüben, damit er zum Islam übertrete. Doch wenn eine Person einmal die Wahrheit (den Glauben an Allah) erkannt hat und sie dann zurückweist oder leugnet, dann unterhöhlt sie das gesamte Glaubensgerüst. Sie begeht damit ein derart schweres Vergehen, für das die Strafe nur der Tod sein kann." So erklärte jüngst ein angesehener islamischer Intellektueller, Shahnawaz Faruqui, die dramatischen Ereignisse um den 41-jährigen Afghanen Abdul Rahman, dem in seiner Heimat die Todesstrafe drohte, weil er vor fast zwei Jahrzehnten vom Islam zum Christentum übergetreten war.

Ausweg Geisteskrankheit

Das von dem liberalen Muslimen Karzai geführte, vom Westen an die Macht gehievte afghanische Regime löste den äußerst peinlichen Konflikt, indem es Abdul Rahman für geistig krank und damit auch nach islamischem Recht für prozessunfähig erklärte. Abdul Rahman ist frei und fand in Italien Asyl. Doch das Grundproblem bleibt ungelöst: die auch in anderen islamischen Ländern bestehende Diskrepanz zwischen einer Verfassung, die sich zu modernen, humanistischen Rechtsgrundsätzen bekennt, und dem islamischen Recht, der "Scharia".

Der verstorbene König Marokkos, Hassan, der als direkter Nachkomme des Propheten Mohammed auch religiöses Oberhaupt der islamischen Gemeinde seines Landes war, erklärte den Sachverhalt einmal gegenüber einer Menschenrechtsorganisation: "Falls ein Muslim sagt: ,Ich habe eine andere Religion angenommen', soll er vor eine Gruppe von Medizinern gebracht werden, damit diese feststellen, ob er noch voll bei Sinnen ist, bevor er zur Reue aufgerufen wird. Ruft man ihn dann zur Reue auf und er bekennt sich weiterhin zu einer anderen Religion als jener Allahs, soll er verurteilt werden."

Jeder Muslim weiß, Apostasie (Abfall vom - islamischen - Glauben) ist die schlimmste Sünde, die er begehen kann. Der Islam hat nach Aussagen muslimischer Theologen in dieser Frage biblische Traditionen übernommen, nach denen Nicht-Christen mit "ewiger Verdammnis" bestraft werden. In der Zeit der islamischen Kalifate (endgültig 1924 abgeschafft) galt Apostasie als Hochverrat am herrschenden System und wurde dementsprechend als Kapitalverbrechen mit der Todesstrafe geahndet.

Bis heute steht grundsätzlich auf Apostasie in Afghanistan der Tod, ebenso in Saudiarabien, Katar, Jemen, Iran, Sudan, Mauretanien und Pakistan. Mildere Strafen gelten in anderen Ländern, so etwa Annullierung einer Ehe mit einem Muslim, Entzug des Sorgerechts für die Kinder, Verlust des Eigentums und der Erbrechte.

Kein Koranverse aber verfügt explizit eine Strafe für Apostasie im Diesseits. Vielmehr ist Glaubensfreiheit grundsätzlich im heiligen Buch der Moslems anerkannt. Doch die Hadith (Überlieferungen der Aussagen und Taten Mohammeds) fordert eindeutig für jene, die sich vom Islam abkehren, den Tod. Unter islamischen Gelehrten herrscht keine Übereinstimmung. Während Konservative an der Todesstrafe nicht rütteln, lehnen sie liberalere Theologen ab. Sie weisen auch darauf hin, dass die Scharia keineswegs "göttliches Recht" ist, sondern vielmehr eine Sammlung von Rechtsmeinungen muslimischer Juristen aus dem Mittelalter.

Keine Religionsfreiheit

Auch wenn der Tatbestand der Apostasie nicht in den Strafgesetzen diverser islamischer Länder enthalten ist, bedeutet dies keineswegs, dass dort Religionsfreiheit besteht. In der Praxis hat meist das islamische Recht Geltung. So wurde 1985 der Reformtheologe Mahmud Muhammad Taha im Sudan wegen Apostasie gehenkt, obwohl das damalige Strafgesetz dieses Verbrechen gar nicht vorsah.

Doch der Vorwurf der Blasphemie oder Apostasie dient häufig auch als Mittel, islamische Reformer, wo immer in der Welt sie auftreten mögen, zum Schweigen zu bringen. Und er wird zunehmend von autokratischen Herrschern der islamischen Welt zu politischen Zwecken, als Instrument der Repression und zur Ausschaltung von politischen Gegnern oder Andersdenkenden eingesetzt.

Es ist eine höchst wirksame Waffe, denn bei Apostasie handelt es sich um ein komplexes Syndrom, das einen wunden Punkt islamischer Gesellschaften trifft, stets enorme Emotionen gegen vermutete Aktionen des Hochverrats, der Verschwörung, der Attacken gegen den Islam und die Ehre auslöst. Im Fall Afghanistans benutzten erzkonservative religiöse Gruppen die Affäre Abdul Rahman, des einstigen Mitarbeiters einer westlichen Hilfsorganisation, um ihrem Ärger über liberale Strömungen, über die Präsenz westlicher Truppen kundzutun und damit ihre Position im Land zu stärken.

"Nur" 300 Peitschenhiebe

Das Delikt der Apostasie erweist sich in muslimischen Gesellschaften für die Herrschenden als eine höchst effiziente Waffe zur Einschüchterung der Bevölkerung und zur eigenen Machterhaltung. Liberalere Kreise wagen gar nicht, dagegen anzukämpfen, weil sie riskieren würden, selbst als Apostaten verfolgt zu werden.

Mit dem Westen verbündete islamische Herrscher, wie jene Saudiarabiens, haben aufgrund internationalen Drucks allerdings seit 1992 niemanden mehr wegen Apostasie hingerichtet, sondern "nur" Urteile wie 300 Peitschenhiebe verhängt. Das ägyptische Regime hat sich unter starkem Druck der islamistischen Strömung dazu bereitgefunden, liberale Intellektuelle, wie die Frauenrechtlerin Nawal al Saadawi, wegen "Apostasie" zur Trennung von ihrem Ehegatten zu zwingen. Ein Verfahren wurde allerdings schließlich eingestellt. Doch der auch international anerkannte ägyptische Philosoph Nasr Hamid Abu Zaid wurde von der Kairoer Universität gefeuert und ins Exil gezwungen, weil er sich in seinen Werken für Reformideen, für Toleranz im Islam einsetzt.

Im Iran hat ein Richter den Universitätslektor Hashem Aghajari wegen "Apostasie" zum Tode verurteilt, weil er es gewagt hatte, Kritik an der herrschenden islamischen Geistlichkeit zu üben. Nach heftigen internationalen Protesten wurde er begnadigt. Und im Jemen, dem engen Verbündeten der USA im Anti-Terror-Krieg, läuft derzeit eine massive Kampagne, regime-kritische Journalisten durch Androhung eines Apostasie-Verfahrens zum Schweigen zu bringen.

Die größte Gefahr aber droht Menschen, die in islamischen Ländern als "Apostaten" gebrandmarkt werden, von fanatisierten Bürgern, die das Recht in ihre Hand nehmen, wogegen das um islamische Glaubwürdigkeit besorgte Regime nicht wagt, einzuschreiten. So hatte der Mordaufruf des iranischen Revolutionsführers Khomeini gegen den britisch-indischen Autor Salman Rushdie vor allem politische Motive (Aktion gegen den Westen). Doch der norwegische Verleger Rushdies wurde von einem fanatischen muslimischen Einzelbürger ermordet. Die vagen, verworrenen und ängstlichen Reaktionen diverser Herrscher islamischer Länder auf die heftige Protestwelle gegen die dänischen Karikaturen des Propheten Mohammed haben offenbar islamistische Kreise ermutigt, moderne, reformorientierte islamische Intellektuelle noch mehr einzuschüchtern.

So meldete sich Mitte April eine vermutlich in Ägypten stationierte Organisation "Unterstützer von Allahs Botschafter" im Internet zu Wort und kündigte die Ermordung von "Atheisten", "Polytheisten" und deren Anhängern an, sollten diese nicht Reue zeigen. Die Gruppe stellte eine Liste der Todeskandidaten und deren Angehörigen ins Internet. Das Kommunique wurde an mehr als 30 prominente politische und religiöse Reformer versandt. Viele davon leben im Westen.

Todesdrohungen

Zu den Prominentesten zählen der ägyptische Soziologe und Menschenrechtsaktivist Saad Eddin Ibrahim, der unter islamistischem Druck aus Ägypten in die USA geflüchtete islamische Geistliche Ahmad Subhy Monasour, der zahlreiche reformorientierte Werke veröffentlichte und sich u.a. gegen die Todesstrafe für Apostasie einsetzt. Zu den Bedrohten zählt auch Wafa Sultan, eine in Kalifornien lebende Psychiaterin, die bei zahlreichen Diskussionen in westlichen und arabischen Medien offen Kritik an reaktionären Versionen des Islam geübt hat.

Den Todesdrohungen ist der Hinweis angeschlossen, dass die Gruppe die Adressen der ausgewählten Opfer kennt, weiß wo deren Kinder zur Schule gehen und wann deren Frauen allein zu Hause verweilen. Islamische Reformer müssen seit langem mit Verbalattacken fanatischer Muslime leben, doch diesmal gehen die Drohungen, so meint Sultan in der arabischen Tageszeitung Asharq al Awsat, weiter: Sie unterschieden sich von jenen, die sie bisher erhalten hatte, da der Absender "nicht eine Einzelperson ist, sondern eine Gruppe und der Text persönliche Information über die Todeskandidaten enthält."

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