Kein Hassprediger. Kein Fragezeichen.

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Scheich Adnan Ibrahim und die Verwirrung der Begriffe. Nachbetrachtung zu einer reichlich unpräzisen Debatte.

Es war eine Diskussion, die mit wohligem Gruseln einherging. Mit jener Art von Gruseln, die einen befällt, wenn man etwas entdeckt, das beweist, wie berechtigt lang gehegte Befürchtungen waren. Was man immer schon gewusst und gesagt hat: Nunmehr hat es ein willkommener Beweis zur Gewissheit erhoben. Auch wenn Idole stürzen, stellt sich ein Grauen ein, das manche keinesfalls missen möchten. Je höher die Fallhöhe, je lauter daher der Aufprall, desto wohliger gruselt's. Der des Dopings überführte Supersportler, der straffällig gewordene Moralapostel … Und nun der gemäßigte, liberale, dialogbereite Imam, der sich plötzlich zum Hassprediger mausert - mit Fragezeichen zwar, aber immerhin.

Der Imam der Schura-Moschee im zweiten Wiener Gemeindebezirk galt lange Zeit als "liberal", "gemäßigt" und "dialogbereit", bis Zitate aus Tonbandmitschriften seiner Predigten in Umlauf gebracht wurden. Da hieß es dann plötzlich, er sei ein Mann der doppelten Zunge, er rede in der Moschee anders als mit den Medien. Er rufe zum Dschihad und zum bewaffneten Aufruhr und sei somit ein "Hassprediger".

Ein attraktives Drama

Wie gesagt, die Lust, solchen Verdächtigung Glauben zu schenken, ist groß. Da lagen Beweise auf dem Tisch: Übersetzungen von Sätzen aus Predigten, die zwar, wie wohl zuzugeben war, aus dem Zusammenhang gerissen waren, andererseits aber vom Scheich als authentisch bestätigt worden waren. Wenn nun aber dort Sätze zu lesen sind wie: "Wir wünschen uns den Tod, das Martyrium für die Sache Allahs", scheint die Sache klar zu sein: Hier lässt sich einer vom Licht der Toleranz bescheinen und gibt dabei Töne von sich, die genau das beschriebene Gruseln auszulösen imstande sind. Der Sturz des Liberalen in den Geifer der Intoleranz: das ist ein attraktives Drama, und es gewinnt zusätzlich an Brisanz durch das Unterfutter der Islamophobie, die sich mit Lust jeden Muslimen zum potenziellen Gewalttäter umfantasiert.

Freilich, das Fragezeichen hinter dem "Hassprediger" ist auch ein Verweis auf die Hilflosigkeit der Journalisten, deren Arabisch - wie auch das meine - gerade ausreicht, um dem Übersetzer für seine Arbeit höflich "schukran" zu sagen. Der Versuch, Aussagen zu bewerten, deren Zusammenhang man nicht versteht, endet notgedrungen im Fragezeichen. Wir wissen nicht, was in den Moscheen gepredigt wird und sind folgerichtig bass erstaunt, wenn einige Sätze die Sprachbarriere überwinden. Das ist eine echte Problemanzeige: Einerseits spricht viel für die Forderung, es solle deutsch gepredigt werden. Andererseits wären gerade in Zeiten der tastenden Annäherung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen des Arabischen oder Türkischen mächtige Journalisten von großer Wichtigkeit. Dabei geht es nicht nur um die korrekte Übersetzung von Worten. Vom Arabischen geprägte Denk-und Redeweisen zu kennen, eine dem Koran nahe Bildsprache als solche zu identifizieren, überhaupt die in der Rede Gebildeter häufig verwendeten Koranzitate wahrzunehmen: diese Kunst ist im Diskurs der Kulturen nicht hoch genug einzuschätzen.

Wunde Nahostkonflikt

Ist Scheich Adnan Ibrahim nun ein Hassprediger? - Nein, das ist er keineswegs. Freilich ist es ebenso mehr als zweifelhaft, ob dem Imam die Vorstellungen, die sich mit den Wörtern "liberal" oder "gemäßigt" verbinden, gerecht werden. Ob man es hierzulande wahrhaben will oder nicht: Der Nahostkonflikt ist eine bleibende Wunde im Bewusstsein der Muslime. Über arabische TV-Sender erfahren sie ungleich mehr über die Situation in ihren Ländern als die nicht-arabische Öffentlichkeit. Beinahe täglich werden sie mit erschütternden Bildern konfrontiert. Es ist nachvollziehbar, was der Wiener Islamwissenschafter und Soziologe Mouhannad Khorchide bemerkt, dass es für einen Prediger in der Moschee wichtig sei, die Stimmungslage seiner Hörer zu treffen. Nur wer an ihnen nicht vorbeirede, könne dann auch seine eigentliche Botschaft an Frau und Mann bringen. Vor allem für einen Reformer sei es mitunter schwierig, die Mitte zwischen der Erwartungshaltung seiner Hörer und seinen eigenen Visionen zu finden. Genau das aber ist Scheich Adnan für Khorchide: ein Reformer. Zweifellos sind manche überspitzte Formulierungen und für Außenstehende befremdliche Ausdrucksweisen als Reflexe auf die politische Lage zu verstehen. Die Diskussion darüber, ob und wie in den Moscheen neben der Religion von Politik die Rede sein soll, ist zweifellos in großer Offenheit zu führen. Aber auch hier ist Differenzierung angesagt: Dass Scheich Adnan für den Sturz diktatorischer Regime in arabischen Ländern eintritt, kann ihm kaum als "Hasspredigt" ausgelegt werden.

Aisha el Wafi, die Mutter des in den USA zu lebenslanger Haft verurteilten Al-Kaida-Terroristen Zacarias Moussaoui, besuchte nach der Verhaftung ihres Sohnes den Londoner Prediger Abu Hamza al-Masri, in dessen Umkreis sich Zacarias bewegt haben dürfte. Was sie dort hörte, erschütterte sie zutiefst. Immer wieder habe der Prediger seinen vorwiegend jugendlichen Hörern eingeschärft, sie hätten von der westlichen Welt kein Verständnis zu erwarten, denn sie würden sowieso gehasst und abgelehnt. Ich selbst bin auf einer Parkbank an der Themse Omar Bakri gegenübergesessen, dem Führer der Gruppe Al Muhajiroun, der mittlerweile des Landes verwiesen worden ist. Bakri nannte es als Ziel, über den Houses of Parliament die islamische Flagge wehen zu sehen. Die Attentäter von 9/11 pries er als "großartige Männer" und ließ keine Spur von Missbilligung gegenüber dem von ihnen begangenen Massenmord erkennen.

Bis auf weiteres schlage ich vor, den Begriff "Hassprediger" für Menschen zu reservieren, die auf diese Weise Hass verbreiten. Scheich Adnan zählt gewiss nicht zu ihnen. In mehreren ausführlichen Interviews konnte ich mir von seinem Denken ein Bild machen. Scheich Adnan lehnt klipp und klar jede Art von Terrorismus ab und hat sich diesbezüglich auch unmissverständlich zu Wort gemeldet. Den Dschihad hält er für gerechtfertigt, allerdings nur in ganz engen Grenzen: lediglich als Verteidigungskrieg gemäß völkerrechtlicher Normen, die besagen, dass ein angegriffenes Volk zur Verteidigung berechtigt ist. Allerdings gelten im Dschihad klare Regeln. Die wichtigste von ihnen: Es darf nur die kämpfende Truppe angegriffen werden. Jeder Angriff auf Zivilisten, auf Frauen, Kinder oder alte Menschen ist strengstens verboten. Ein Terroranschlag auf Zivilisten kann sich aus Sicht Adnans daher niemals als legitim im Sinne des Dschihad ausgeben.

Klipp und klar gegen Terror

Den Islam möchte Scheich Adnan nach seinen eigenen Angaben weiterentwickeln, sodass er sich mit den europäischen Gegebenheiten anfreunden kann und zu einer neuen Blüte findet. In westlichen Büchern ist er ebenso zu Hause wie in seiner großen arabischen Bibliothek. Er möchte einen Islam, der seine Lebendigkeit wieder findet und fähig ist, den Anderen zu tolerieren. Im Zentrum seiner Überlegungen stehen nicht Staaten oder Ideologien, sondern der Mensch: "Die erste Priorität des Menschen aber ist seine Freiheit."

Spätestens hier erwarte ich den Vorwurf großer Naivität. Ich solle mich von toleranter Rhetorik nicht blenden lassen, sagt man mir. Besorgte Menschen auf christlicher Seite verweisen auf die so genannte "Takiya", die auf einschlägigen Websites als "islamische Heuchelei" bezeichnet wird. Sie sei "den Muslimen nicht nur von Allah erlaubt, sondern geboten, um die Weltherrschaft des Islam voranzubringen." Diese haarsträubende Denkfigur - ein glattes Missverständnis der Takiya, die meines Wissens lediglich im Fall eines drohenden Martyriums gestattet, das Bekenntnis zum Islam zu verschweigen - macht letztlich jeden Dialog unmöglich. Denn sie lässt dem Gegenüber keine Chance. Spricht ein Muslim die Sprache der Hassprediger, so ist die Sache klar. Gibt er sich hingegen tolerant und gesprächsbereit wie Scheich Adnan, trifft ihn sofort der Verdacht der Heuchelei und der taktisch motivierten Verstellung. Unter einer solchen Voraussetzung ist jeglicher Dialog undenkbar.

Gegenseitiges Vertrauen ist da bei weitem besser: die schlichte Entscheidung, dem Gegenüber bis zum Erweis des Gegenteils zu glauben, was er sagt. Sollte dieses Vertrauen enttäuscht werden, wäre das traurig. Aber noch viel trauriger wäre es, es erst gar nicht aufzubringen.

Der Autor ist Dokumentarfilmer und Religionsjournalist beim ORF.

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