Verworrene Verhältnisse

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Globaler Dialog und lokale Inkulturation des Islam in westliche Gesellschaften helfen, Hürden abzubauen.

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Globaler Dialog und lokale Inkulturation des Islam in westliche Gesellschaften helfen, Hürden abzubauen.

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Beim EU-Gipfel in Helsinki am 10./11. Dezember steht unter anderem die Entscheidung an, ob die EU die Türkei zum Beitrittsanwärter macht. Die zögerliche Behandlung des türkischen Ansuchens um EU-Beitrittsverhandlungen hat auch mit europäischen Reserven gegenüber dem Islam zu tun (vgl. Seite 2 dieser Furche).

Die türkische Frage ist nur ein Farbklecks in jener augenblicklichen Weltlage, in der der Islam als Gegenbild zum westlich-christlichen Kulturmodell aufgebaut erscheint. Ein anderer Mosaikstein ist da der Moschee-Baustreit zwischen Muslimen und Christen in Nazaret, der größten arabischen Stadt Israels: Der Konflikt könnte zum Symbol für das Spannungsfeld zweier Weltreligionen werden - insbesondere dann, wenn der Streit den Papstbesuch im Jahr 2000 wesentlich beeinträchtigt.

Das interreligiöse Verhältnis zwischen Muslimen und Christen läßt zur Zeit keine eindeutige Diagnose zu: So fand Ende Oktober in Rom bei einem "Weltgipfel der Religionen" auch respektvolle Begegnung von christlichen (darunter der Papst) und muslimischen Repräsentanten statt, sogar eine gemeinsame Meditation war möglich. Auch auf der Europa-Synode der katholischen Bischöfe, die in Rom kurz zuvor beendet worden war, war der Islam Thema - aber weniger in Richtung Dialog: Einige Synodenteilnehmer warnten vor blauäugigen Erwartungen ans Gespräch mit dem Islam; die Intervention von Giuseppe Bernardini, italienischer Erzbischof im türkischen Izmir, ging durch die Weltpresse: Beim durch Petrodollars finanzierten Bau von Moscheen in christlichen Ländern handle es sich um ein "islamisches Programm der Expansion und Wiedereroberung".

Für Petrus Bsteh, Leiter der "Kontaktstelle Weltreligionen der Österreichischen Bischofskonferenz", handelte es sich bei derartigen Interventionen auf der Synode um eine konzertierte Aktion von Hardlinern der katholischen Seite, die jeden Islam in Europa ablehnen würden. Für Bsteh gibt es aber keine Alternative zum Gespräch.

Der österreichische Priester war letzte Woche auch einer der Teilnehmer an der "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden", die auf Initiative des jordanischen Prinzen Hassan in Amman stattfand (Bild oben). Gerade diese Zusammenkunft, so Bsteh, hätte gezeigt, wie wichtig die Rolle der Religionen auf globaler Ebene ist: So berichteten dort der Präsident von Sierra Leone und der Vertreter aus Liberia, daß die friedensstiftende Kooperation der Religionen - Christen und Muslime - bei der Lösung der mörderischen Konflikte in den beiden westafrikanischen Ländern entscheidend gewesen sei.

Auch die im Oktober erfolgte Wahl Abdurrahman Wahids zum Präsidenten Indonesiens, des größten islamischen Landes, ist für Petrus Bsteh ein Zeichen gegen jene islamische Bedrohung, wie sie westliche Szenarien beschwören: Wahid, seit Jahren im interreligiösen Dialog aktiv, steht nach den Worten Bstehs für den gesprächsbereiten Islam.

Ähnliche Hoffnungen hat auch der Habermas-Schüler und reformorientierte Muslim Bassam Tibi. In seinem Buch "Kreuzzug und Djihad" (vgl. Furche 47, Seite 20) tritt er für Toleranz gegenüber dem Islam ein, dem Islamismus gegenüber hingegen müsse sich die Demokratie als wehrhaft erweisen. Tibi unterschied vor kurzem in der ORF-Sendung "Kreuz und Quer" die internationale Ebene des Dialogs von der europäischen: Hier mahnt er das Gespräch mit den Migranten ein (mittlerweile leben in Europa 15 Millionen Muslime).

Neben den - wenigen - Religions- und Staatsfunktionären, die auf übernationalem Parkett das Gespräch und den Interessenausgleich betreiben, gilt es für die meisten Menschen, sich in die lokalen Verhältnisse einzumischen.

In Österreich, wo es um die 350.000 Muslime gibt, bedeutet diese Ebene auch, das Gedeihen eines "österreichischen" Islam zu fördern. Nicht das eben gefeierte 20-Jahr-Jubiläum der ersten Wiener Moschee an der Donau ist hiefür ein symbolträchtiges Datum, sondern die Ende November erfolgte offizielle Eröffnung des ersten islamischen Gymnasiums in Wien.

Denn eines der Probleme im Zueinander von Muslimen und den - meist säkularisierten - Angehörigen des europäisch-christlichen Kulturkreises ist der Bildungsunterschied: Viele der ins Land gekommenen Muslime arbeiten in - von Österreichern wenig geschätzten - manuellen Berufen; erst die zweite Generation erhält Zugang zu Bildung (oft auch: zur Sprache).

Für Ludwig Sommer, den vom Wiener Stadtschulrat bestellten - christlichen - Direktor des islamischen Gymnasiums, ist das ein wesentliches Ziel der neuen Schule, in der nach österreichischem Lehrplan unterrichtet wird; er will den religiösen Bedürfnissen der muslimischen Schüler und ihrer Eltern gerecht werden - aber auch seinem eigenen Anspruch, den Gastarbeiterkindern die österreichische Lebensweise so nahezubringen, daß sie sich damit identifizieren - und ihr Wissen an die Eltern weitergeben. Sommer ist es auch darum zu tun, den Schülern Selbstbewußtsein zu vermitteln und sie vom Gefühl wegzubringen, Menschen II. Klasse zu sein.

Ähnlich argumentiert der österreichische Muslim Michael Lugger, der dem mehrheitlich türkischen Trägerverein des islamischen Gymnasiums angehört: Es geht um Integration der Muslime in die österreichische Gesellschaft; ein wichtiger Schritt dazu ist die Förderung der (Schul-)Bildung. Internationale wie lokale Anstrengungen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es zwischen dem Islam und dem Westen, dem Islam und den Christen große Probleme gibt. Das reicht über "islamische Regimes" (dazu gehört islamischer Atavismus a la Afghanistan oder Sudan ebenso wie ein religiös legitimiertes Feudalsystem a la Saudi-Arabien) bis zu Unvereinbarkeiten in Weltsicht und Menschen(rechts)bild zwischen traditionellem Islam und westlicher Gesellschaft.

Die großen Hürden werden dennoch nur beseitigt, wenn viele an der Entwirrung der Verhältnisse - auf vielen Ebenen und gleichzeitig - arbeiten. So gesehen sind die Eröffnung eines kleinen islamischen Gymnasiums in Wien, eine Religionskonferenz in Amman oder eine gemeinsame Meditation von Religionsvertretern mit dem Papst in Rom drei gleich kleine, aber gleich wichtige Mosaiksteine eines bunten Welt-bildes, dessen Fertigstellung wohl noch lange dauern wird.

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