Kreuzzug gegen Djihad?

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Toleranz für Islam, wehrhafte Demokratie gegen Islamisten.

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Toleranz für Islam, wehrhafte Demokratie gegen Islamisten.

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Für Europa war der Islam immer ein Stachel im Fleisch. Kann man sich mit ihm vertragen, ohne die eigenen Werte aufzugeben? Bassam Tibi sucht in seinem neuen Werk "Kreuzzug und Djihad" die Wurzeln dieser Beziehung bloßzulegen. Anders als frühere Bücher des Autors ist dieses außerordentlich informationsreiche Werk in einem klaren, flüssigen Stil geschrieben, der die Lektüre zum Vergnügen macht. Reste arabischer Rhetorik wirken eher belebend. Islam und Christenheit bekämpften und befruchteten einander immer wieder. Das Heute ist in dieser Sicht Station einer globalen Geschichte. Sie sind die einzigen, die sich als universal verstehen. Zum Unterschied vom Christentum, das als Friedensbotschaft auftrat, trat der Islam als Eroberer in die Geschichte. Genauer, er begann mit einer Welle von als göttlicher Auftrag begründeten Kriegen, um der Welt den islamischen Frieden zu bringen. Nach einer ersten Periode der Ausbreitung im Westen bis Frankreich und im Osten in den Iran erreichte dieser Islam die Grenzen seiner Möglichkeiten.

Tibi vertritt die These Henri Pirennes, des französischen Historikers, der in der Geburt des Abendlandes eine europäische Antwort auf die islamische Herausforderung sah. Die islamischen Zentren Bagdad und Cordoba konnten zur Heimstätte von Philosophen und Mathematikern werden, die griechisches und iranisches geistiges Erbe aufarbeiteten. Die Machtpolitiker Karl der Große und Harun al Raschid waren wieder um gute Nachbarschaft besorgt. Politik und Kulturaustausch paßten zusammen. Doch dann "erschien auf der Synode von Piacenza im März 1095 ein Gesandter des byzantinischen Basileus, der wegen Gefährdung seines Reiches um christliche Hilfe bat". Zwar nicht gegen den arabischen Djihad, sondern gegen die seldschukisch-turkmenischen Stämme", doch instrumentalisierte Papst Urban II. auf dem Konzil von Clermont im November 1095 den Hilferuf für den ersten Kreuzzug gegen den Islam, obwohl es mit dem zur Zeit gar keine Probleme gab. Damit brach eine fast vier Jahrhunderte dauernde Periode gegenseitigen Abschlachtens aus, bei der abwechselnd Kreuzritter, Djihadkämpfer, Türken und Mongolen die Bewohner eroberter Städte abschlachteten und weite Landstriche verwüsteten. Religion wurde ein immer schwächerer Vorwand für barbarische Beutezüge. Aus all dem Grauen ging als Erbe das Reich der osmanischen Türken hervor, bis sie sich an Wien einerseits und am mohammedanischen Iran andererseits die Zähne ausbissen. Auf der Strecke blieben das verfeinerte Ostchristenreich Konstantinopels und die humanistische Tendenz im Islam, die ihre Blüte in Bagdad und Cordoba gehabt hatte.

In Bassam Tibis Sicht brachten die Türken eine neue Dimension in den Islam. Wo die arabischen Glaubenskämpfer auszogen, den Glauben zu verbreiten, betrachteten sie sich stets als Eroberer, zuerst der bereits islamischen Gebiete. Erst später erhoben sie ihre Kriegszüge auf den Balkan zum Djihad. Die erste Welle der gewaltsamen Ausbreitung des Islam war verebbt, als infolge verlorener Schlachten die Kriegsbeute als Motivation der Beduinenkrieger wegfiel. Man beschränkte sich nun auf die Bewahrung des Erkämpften. Ähnlich erging es der türkischen Version des Djihad. Angesichts der wachsenden militärischen Überlegenheit des Westens begnügten sich die Sultane nun damit, das Eroberte zu halten. Im vorigen Jahrhundert brach dann das Osmanenreich zusammen, worauf nach dem Ersten Weltkrieg Kemal Atatürk begann, das türkische Kerngebiet zu modernisieren. Doch dies krankt nach Tibi am gleichen Übel wie alle derartigen Versuche der arabo-muslimischen Welt: Man glaube, es sei mit der Übernahme der Technik getan und wolle nicht verstehen, daß die technischen und wissenschaftlichen Erfolge einer ganzheitlichen gesellschaftlichen Logik entspringen.

In der mittelalterlichen Hochblüte des Islam bauten arabische Mediziner und Philosophen wie Averroes und Avicenna auf dem Wissen der griechischen und iranischen Antike weiter und "entfalteten die Lehre von der 'doppelten Wahrheit' ... Nach Averroes gab es neben der religiösen Wahrheit der Offenbarung eine an der Vernunft orientierte philosophische Wahrheit". Seine These stellte die Verbindung zwischen den arabischen Rationalisten und der christlichen Welt her. Doch nicht nur im christlichen Abendland wurden Ketzer verbrannt, die mit diesen neuen Gedanken "das theozentrisch-kirchliche Weltbild" bedrohten. Bereits zu Lebzeiten Averros' wurden dessen Schriften immer wieder von den Vertretern der islamischen, Fiqh genannten Version der Inquisition verbrannt.

Im Westen blieb die Renaissance in dieser Auseinandersetzung siegreich, im islamischen Raum die Fiqh-Orthodoxie. Islamisten versichern immer wieder, es gebe keinen Widerspruch zwischen moslemischem Glauben und Wissenschaft. Dagegen zitiert Tibi unter anderen den saudischen Professor Jaafer Sheik Idris: Für ihn als Muslim sei es "obligatorisch ... meine Annahmen anhand koranischer oder prophetischer Texte zu beweisen oder zu zeigen, daß sie von solchen Texten hergeleitet werden können", denn "solange die Welt ein Werk Gottes ist, und Religion das Wort Gottes ist, (müssen) genuine empirische Aussagen, die die Welt beschreiben, und authentisch religiöse Aussagen notwendigerweise wahr sein und können sich daher nicht gegenseitig widersprechen".

Die islamische Welt, zeigt Tibi ausführlich, sieht in ihrem Zurückfallen und im Erfolg des Europäismus, wie er die Ausbreitung der westlichen Zivilisation nennt, einen Ausdruck des fortdauernden Kreuzzuges der Christen gegen den Islam. Ist also der "Zusammenstoß der Zivilisationen" unvermeidlich? Als Vertreter des islamischen Rationalismus ist Tibi nicht ohne Hoffnung, doch müßten "westliche Werte wie Demokratie und individuelle Menschenrechte auch im Dialog gegen jeden Neo-Absolutismus verteidigt werden," wie er sich im islamischen Raum immer stärker durchsetzt. "An der Grenze Europas zur Welt des Islam gilt die Suche nach einer internationalen Moralität ... Die Schlußfolgerung lautet: Toleranz dem Islam, wehrhafte Demokratie dem Islamismus gegenüber."

Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt. Von Bassam Tibi. Bertelsmann Verlag, München 1999. 320 Seiten, Ln., öS 328,- / E 23,83

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