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„Politik und Religion auseinanderhalten"

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Eine wichtige Stimme aus dem Islam zu Fundamentalismus, „Heiliger Krieg" und Koexistenz der Religionen: Prinz Sadruddin Aga Khan, Ismailit und UNO-Be-auftragter für die Flüchtlingsprobleme nach dem Golfkrieg.

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Eine wichtige Stimme aus dem Islam zu Fundamentalismus, „Heiliger Krieg" und Koexistenz der Religionen: Prinz Sadruddin Aga Khan, Ismailit und UNO-Be-auftragter für die Flüchtlingsprobleme nach dem Golfkrieg.

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FURCHE: Früher meinte man im Westen, der Islam sei eine sehr tolerante Religion. Warum ist heute von dieser Toleranz so wenig zu spüren?

SADRUDDIN AGA KHAN: Leider hat die Politik alles verdorben. Mit der politischen Polarisierung, vor allem im Mittleren Osten, ist die Religion zur Waffe geworden. Wenn Sie den Islam näher studieren, finden Sie bald, daß Toleranz und Brüderlichkeit zu seinen Grundideen gehören und weit wichtiger sind als die ethnischen und rassischen Wurzeln oder die Hautfarbe der Gläubigen. Moslems sind auch zu anderen monotheistischen Religionen duldsam.

Daher haben häufig Heiraten zwischen Christen und Muslims stattgefunden. Es gab auch keine echten Probleme zwischen Muslims und Juden, ehe die Politik die Atmosphäre vergiftete. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist der andauernde Konflikt zwischen Arabern und Israelis. Man muß genau zwischen Religion und Politik unterscheiden.

FURCHE: Im Westen hat man heute den Eindruck, daß der Islam Fremdeinflüsse kategorisch ablehnt - was im sogenannten Fundamentalismus zum Ausdruck kommt. Warum diese Angst vor Veränderung?

AGA KHAN: Zunächst einmal: Fundamentalismus ist ein westlicher Begriff, der in der muslimischen Welt überhaupt nicht existiert. Er wurde für christliche Institutionen geprägt und später auf den Islam übertragen. Aber Muslims glauben heute, daß fremde Einflüsse wie der Kommunismus oder andere Ideologien den Islam aushöhlen und schwächen. Ein Gegengewicht sehen vor allem ideo-logisierende muslimische Führer in der Rückkehr zu den Quellen.

FURCHE: Setzt die islamische Gesellschaft nicht Modernisierung

mit Verwestlichung gleich?

AGA KHAN: Das ist ein Problem, das nicht nur die Muslims, sondern auch die buddhistische und hinduisti-sche Gesellschaft betrifft. In diesem Zusammenhang scheint mir das Experiment der Japaner besonderes Interesse zu verdienen. Sie sind heute eine dominierende wirtschaftliche Supermacht. Doch Grundlage ihrer Erfolgsgesellschaft bleibt die Tradition.

Der Muslim stand hier seit jeher vor einem viel größeren Problem. Denn im Islam besteht keine klare Abgrenzung zwischen dem Geistlichen und dem Zeitlichen, zwischen der religiösen und weltlichen Autorität. Jede Modernisierung westlichen Stils ist in islamischen Ländern auf Opposition gestoßen. Beispiele dafür sind die Versuche Ata Türks und Reza Schahs die Türkei und den Iran rasch zu modernisieren. Dieses Problem begann gegen Ende des Ottomanenreiches und wird voraussichtlich noch lange die große Herausforderung für die muslimische Gesellschaft bleiben.

FURCHE: Mohammed war nicht nur Prophet und Lehrer, sondern auch Oberhaupt seines Stammes und militärischer Führer. Unterscheidet er sich dadurch nicht von Jesus, der sich weltlicher Macht fernhielt?

AGA KHAN: Ich glaube nicht, daß Mohammeds historische Rolle als Kriegsführer den Islam heute noch beeinflußt. Gewiß, zu Beginn des 7. Jahrhunderts war die militärische Eroberung die Form, durch die sich diese Religion ausbreitete, aber später-von Marokko bis Indonesien - hauptsächlich durch Bekehrungen, Heiraten und Proselytentum. Auch die militantesten Muslims haben begriffen, daß die Zeiten endgültig vorbei sind, in denen sie ihre Religion „mit Feuer und Schwert" verbreiten konnten.

Für den Gläubigen war und bleibt Mohammed ein Mann ohne die Aura des Göttlichen, ein Mensch, der niemals die Privilegien eines Monarchen für sich beanspruchte. Er offenbarte eine Religion und sah sich als Nachfolger aller Propheten, die der Islam anerkannt hat, auch Jesus Christus.

FURCHE: Wenige Begriffe aus der

Vorstellungswelt des Islams sind so bekannt geworden wie Jihad, der „heilige Krieg"...

AGA KHAN: Mit Jihad wird nicht nur Streben nach Gerechtigkeit, Einsatz für eine große Sache, wie der Kampf gegen den Feind, gemeint. Jihad bezieht sich auch auf die eigene Person. Das Wort wird nur zu oft falsch interpretiert und häufig mißbraucht. Viele politische Führer haben zum Jihad aufgerufen. Aber Jihad gilt in erster Linie für jeden einzelnen und verlangt, daß man sein eigenes Leben kritisch prüft. In der katholischen Kirche übernimmt die Beichte diese Aufgabe. Da der Islam keine Beichte kennt, müssen wir unser Gewissen selbst, ohne fremde Hilfe erforschen. Auch das ist eine Art Jihad.

FURCHE: Gibt es nicht auch eine politische Variante des Jihad? Für viele Muslims ist Amerika fast zur Inkarnation des Bösen geworden...

AGA KHAN: Sie sprechen damit jenes iranische Vokabular an, das zur Zeit Khomeinis während der iranischen Revolution üblich war - vom „großen Satan" und dergleichen. Aber muß ich daran erinnern, daß vor nicht allzu langer Zeit Präsident Reagan vom „Reich des Bösen" sprach? Das

ist doch nicht viel besser als der „große Satan". Natürlich besteht die Gefahr, daß solche Emotionen wieder geweckt werden. Doch hier geht es nicht um eine religiöse Auseinandersetzung, sondern um Politik. Ausdrücke wie „Satan" oder „Gott mit uns", so meine ich, bedeuten immer, daß derjenige, der sie benutzt, seine eigene politische Stellung mit allen nur möglichen Argumenten zu stärken sucht.

FURCHE: Wie beurteilen Sie die Stellung der Frau im Islam?

AGA KHAN: Den Frauen ist in der Muslim-Gesellschaft immer eine Schlüsselrolle zugefallen. Das Problem liegt darin, daß sie in einigen Ländern nicht physisch in Erscheinung treten, was ich für einen Fehler halte. Es muß vollständige Gleichberechtigung geben. Tatsächlich spielen Frauen im Familienleben oft schon eine führende Rolle. Mütter und Großmütter sind in der muslimischen Gesellschaft viel wichtiger als im Westen. Kein Muslim würde seine Großmutter in ein Altersheim schicken.

FURCHE: Sie sagten einmal, man könne das Wiedererstarken des Islam mit der christlichen Befreiungstheologie vergleichen...

AGA KHAN: Religion kann bei politischen Umwälzungen eine bedeutende Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist Lateinamerika, wo die Befreiungstheologie die Entwicklung dadurch nachhaltig beeinflußt hat, daß sie ihre Stimme gegen die Diktatoren und Militärregimes erhob und sich für Menschenrechte, Liberalisierung und Demokratie einsetze. Aber das setzt voraus, daß die Religion dabei nicht für politische Zwecke mißbraucht wird, daß sie zu einer befreienden Kraft wird, statt konservierend und restriktiv zu wirken. Diese Gefahr hat es einst auch im Christentum gegeben. Man denke an die Inquisition.

FURCHE: Stimmt es, daß es den Ismailiten gelungen ist, eine Brücke zwischen westlicher und islamischer Kultur zu schlagen?

AGA KHAN: Sie sind eine Minderheit in der islamischen Glaubensgemeinschaft. Die Ismailiten waren immer bekannt als arbeitsame Leute. Es gibt verschiedene Beispiele von Ländern mit völlig integrierten ismailischen Gemeinschaften. Ihre Frauen waren niemals verschleiert. Ihre Gemeinden stehen in enger Verbindung zueinander - ob in Pakistan, im Mittleren Osten, in China oder der Sowjetunion. Sie kennen die westliche Lebensweise - Banken, Kapitalanlagen, Anleihen, Versicherungen. Mit ihrem globalen Profil und internationalen Verständnis könnten sie eine Mittlerrolle spielen, um den Islam - ohne ausgeprägte Verwestlichung - zu modernisieren. Sie könnten gleichzeitig dem Westen ein besseres Verständnis der wichtigsten Traditionen des Islams vermitteln.

FURCHE: Erleben wir nicht heute einen tiefen Bruch zwischen christlicher und muslimischer Welt?

AGA KHAN: Im Westen neigt man dazu, die Dinge allzu sehr zu vereinfachen. Nicht jeder Araber ist ein Muslim, nicht jeder Muslim ein Fanatiker, nicht jeder Fanatiker ein Fundamentalist. Die Muslims sind zum größeren Teil keine Araber, und unter den Arabern gibt es eine große Anzahl von Christen, Maroniten, Katholiken, Chalcedonem und Orthodoxen.

Worauf es ankommt: Wir müssen tolerant bleiben, damit politische Fehler und daraus entstehende extreme Gegensätze nicht auf das religiöse Denken übergreifen und mißbraucht werden. Der Einmarsch in Kuweit und der Krieg im Irak hatten nichts mit Religion zu tun. Lassen Sie uns nicht politische und religiöse Fragen vermischen. Es geht um das Zusammenleben in einer verwundbaren und zunehmend interdependenten Welt. Das Gespräch führte Felizitas von Schönborn.

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