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Von der Heiligen Allianz zum Europäischen Konzert

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Wenn sich ein bedeutender internationaler Jurist und darüber hinaus ein erfahrener Praktiker der Politik, der sein Land vor den höchsten internationalen Gremien vertreten hat, einem geschichtlichen Thema zuwendet, so begegnen seine Folgerungen besonderem Interesse. In den Augen der Menge gleicht der Begriff „Heilige Allianz“ einer dunklen Verschwörung der Fürsten und deren Polizei im Kampf gegen die Freiheit ihrer Völker und darüber hinaus einem Kriegsmittel der internationalen Reaktion, wobei Staatskanzler Metternich die Hauptrolle zugewiesen wird. Was nun der Belgier Maurice Bour-quin, Universitätsprofessor in Genf, zu sagen hat, klingt bedeutend anders. Zunächst gehen ihre geistigen Ursprünge teils auf die Friedenspläne eines Bentham und Kants zurück, indes ihr politisches System, das sich schon seit 1804 — bei Adam Czartoryski — abzeichnet, zunächst Rußland und England als seine Hauptträger vorsieht. Das Ziel, die europäische Politik und deren Methoden durch Einführung religiös-sittlicher Grundsätze zu verjüngen, war echt und nicht nur ein billiger Vorwand, echt aber auch von Anbeginn das Mißtrauen der liberalen Welt gegen sie — das sich später, als eine antirevolutionäre Politik einsetzte, gerechtfertigt finden sollte —, wobei die Nachgeborenen aber zu vergessen pflegen, daß im Rahmen der „Heiligen Allianz“ ebenso Fragen der Abrüstung, wie des Kampfes gegen den internationalen Sklavenhandel und manche andere nützliche Maßnahmen der europäischen Staatengemeinschaft verhandelt wurden. Insbesondere sehen wir uns hier zum ersten Male einer Art kollektiven Prozedur gegenüber, in einem System, dem sich alle damaligen Mächte mit Ausnahme des Papstes, des Sultans und der Vereinigten Staaten angeschlossen hatten und das erst wieder im Völkerbund, diesmal auf demokratischer und universeller Basis aufleben sollte. Damals wurde auch bereits ein erster Versuch gemacht, das Verhältnis der großen zu den kleinen Mächten im Rahmen eines verbesserten Systems des Gleichgewichts zu regeln.

Was nun speziell Metternich betrifft, so stellt der Verfasser fest, daß, obwohl er die Zusammenarbeit der Großmächte in den vorgesehenen regelmäßigen „Reunions der Cabinette“ bis an sein Lebensende, als für Europa lebenswichtig, bejaht hat — eingangs finden wir das Faksimile eines bisher unveröffentlichten aufschlußreichen Briefes des greisen Staatskanzlers an Hübner, geschrieben 18 58, als Nichtbeachtung seiner erprobten Rezepte Europa den Krimkrieg beschert hatte —, er Interventionen in die Innenpolitik der Staaten, sofern sie kollektiv durchgeführt werden sollten, keineswegs wünschte.

Als erste Großmacht zieht sich England von der Heiligen Allianz zurück, antiliberale Maßnähmen werden deren vordringlichste Sorge und so stirbt diese — aus dem Geist der napoleonischen Kriege und einer durch zahllose Opfer erkauften Friedenssehnsucht heraus, geborene — Institution letzten Endes an der Spannung, die zwischen den psychologischen Voraussetzungen von Krieg und Frieden liegt. Im Kampf mit der politischen Wirklichkeit zerfiel der Traum. Was übrig blieb, ist im Europäischen Konzert aufgegangen, dem der Krieg von 1914 ein Ende gemacht hat.

Die Folgerungen Bourquins sind beachtenswert: Man kann eine internationale föderale Organisation nur dann zusammenhalten, wenn der Vorteil ihres Bestehens und die Nachteile deren Verschwindens klar zu sehen sind. Denn Prinzipien und Zukunftshoffnungen genügen nicht, um den einzelnen Gliedern die darin verankerte Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit länger als nötig ertragen zu lassen. So hat dieser unentbehrliche Führer durch das Gewirr seiner Zeit immer wieder auch aktuellstes Interesse; diesem bedeutsamen Werk wäre eine deutsche Uebersetzung zu wünschen.

Die Memoiren des Aga Khan. Welten und Zeiten. Verlag Kurt Desch, Wien. 446 Seiten.

Der Nachkomme des Propheten, Abkömmling der ägyptischen Fatimiden und Haupt der ismaelitischen Sekte der Mohammedaner ist, wenn man den „Illustrierten“ glauben wollte, nur durch zwei Umstände erwähnenswert. Zunächst dadurch, daß er in regelmäßigen Zeitabständen (dieser Stoff geht also nicht aus!) von seinen Anhängern in Silber, Gold, Platin oder Diamanten „aufgewogen“ wird. Und dann durch die Ehe und Ehescheidung seines Sohnes mit einem Filmstar.

So einfach ist das Leben und besonders das Leben Aga Khans zum Glück jedoch nicht! Aga Khan mag noch leben, aber die Menschen seines Schlages sind genauso ausgestorben wie die britischen Vizekönige in Indien, die amerikanischen Finanzmagnaten ä la Vanderbilt, die altrussischen Bojaren: Ein Stück Geschichte aus einer Zeit, in der noch die Kontraste etwas Verbindendes hatten Aga Khan war Asiat und Europäer, weltlich genug und tief religiös zugleich, nationalbewußter Inder und loyaler Untertan der britisch-indischen Krone: Eine starke Natur, die große Spannungen in sich vereinigen konnte. Man kann das alles nur in der Vergangenheit ausdrücken, denn die Zeit und die politische Konstellation, in der solche Charaktere möglich waren und wirksam wurden, ist vorbei Ebenso komplex wie der Mann und seine Umwelt sind verständlicherweise die Erinnerungen. Sie können nach Sensationen durchforscht werden oder nach politischen und kulturellen Aufschlüsselungen. Man kann aus ihnen auch den Asiaten oder den Kosmopoliten herauslesen. Der Historiker jedenfalls wird dabei auch auf seine Rechnung kommen Denn von den Erfahrungen und Erkenntnissen der Menschen, die in einem politischen, kulturellen oder sozialen Zwischenreich leben, kann man immer lernen. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Wandlungen im britischen Kolonialismus von der Königin Viktoria, die ihren indischen Untertanen gegenüber von jedem Rassenvorurteil frei war, über die Epoche des Imperialismus, der die moralische Oberherrschaft der Weißen glorifizierte, hingewiesen. Diese letztere Aera hat erst die inneren Zusammenhänge des britisch-indischen Imperiums zerstört. Ebenso interessant ist es, näheres über die politische Tätigkeit Aga Khans im ersten Weltkrieg zu erfahren, in welchem er seinen Einfluß als Mohammedaner und als Inder gleichzeitig wirksam machen konnte.

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