„Aufgeklärtes“ Schubladendenken

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Vor dem Hintergrund eines möglichen EU-Beitritts der Türkei mehren sich Stimmen, die eine islamische Kultur mit dem christlichen Abendland als nicht vereinbar bezeichnen. Dieser konstruierte Gegensatz schürt unbegründet Ängste, die einem kulturellen Miteinander im Weg stehen.

Terroristen in Algerien, die jedem nicht-muslimischem Ausländer mit Mord drohen, sollte er ihr islamisches Land nicht verlassen; Osama bin Laden, der dazu aufruft, alle Nicht-Muslime zu töten, wo immer sich diese aufhalten mögen; ein Ehrenmord in Deutschland innerhalb einer türkischstämmigen Familie.

Ereignisse wie diese prägen oft unser Denken über den Islam. Ob man nun Angst hat vor der Islamisierung des christlichen Abendlandes oder mehrheitlich muslimische Länder wie die Türkei mit Europa für kulturell nicht kompatibel hält. In jedem Fall werden Islam, islamische Kultur, Taliban und al-Qaida in ein und dieselbe anti-westliche Schublade gesteckt. Es trenne uns ja alleine schon die Aufklärung, welche die Welt des Islam im Gegensatz zum Abendland nicht durchlaufen habe.

Das in vielen westlichen Ländern weit verbreitete Bild von der kulturellen Unvereinbarkeit von Islam und Christlichem ist verkürzt und undifferenziert. Doch diese Gegenüberstellung geschieht zu einem großen Teil beidseitig und ist aber vor allem eines: künstlich. Der von Samuel Huntington erfundene bzw. prognostizierte Kampf der Kulturen drohte unter der Präsidentschaft von George W. Bush bereits zur sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung zu werden.

Wenn wir mit Aufklärung einen Prozess der Mündigmachung unseres Denkens mittels Vernunft und einem ideologiefreien Wissen meinen, der zu einer besseren, einer friedlicheren und einer freieren Welt führen soll, dann ist Aufklärung zumindest bei uns noch nicht vollendet. Unser falsches Bild eines mit dem Westen nicht zu vereinbarenden Islam, seiner Kultur und seiner Gläubigen unterstreicht das. Das Anliegen eines aufgeklärten Denkens muss es sein, Grenzziehungen mittels Vernunft und Wissen abzubauen, besonders dann, wenn sie konstruiert sind.

Von der Überlegenheit zum Schock

Die Wurzeln von islamischem anti-westlichem Denken liegen in der sogenannten Islamischen Moderne. Damit wird eine Phase intellektuellen Erwachens und intensiver wissenschaftlicher Tätigkeit bezeichnet, die 1798 mit der Ankunft Napoleons in Ägypten beginnt. Im Mittelalter war die islamische Welt den Europäern durch produktive Verarbeitung antiker griechischer, indischer, aber auch christlicher Texte zivilisatorisch und wissenschaftlich tatsächlich rund 300 Jahre voraus, weshalb man die Kreuzritter nie wirklich als Gefahr wahrnahm. Aus einem trägen Gefühl haushoher Überlegenheit heraus war man jedoch nicht gewillt, Entwicklungen im Westen wahrzunehmen.

Nun waren die Ägypter von der technischen und wissenschaftlichen Überlegenheit der Franzosen schockiert, da man von den Europäern noch immer das Bild der barbarischen Kreuzritter des Mittelalters hatte. Diese unerwartete frappante Unterlegenheit der islamischen Welt wurde durch die Unterwerfung zahlreicher arabischer Territorien zu Kolonien oder tributpflichtigen Herrschaftsbereichen unterstrichen. An diesem Punkt setzt eine rege wissenschaftliche Tätigkeit ein, die darum bemüht ist, Wege zu einstiger Stärke zu finden.

Zwei unterschiedliche kulturelle Wege

Es kristallisierten sich grob gesagt zwei Lager heraus: Eines gab der mangelnden wissenschaftlichen Produktivität die Schuld, die seit dem 13. und 14. Jahrhundert ihr Augenmerk auf Musik und Literatur beschränkt hatte. Als möglichen Ausweg der Misere sah man die kritische Rezeption westlicher Wissenschaft, die ja ohnehin – und das wusste man – u.a. auf einem Fundament von arabischer Wissenschaft beruht. Man versuchte die westliche Wissenschaft für den arabischen Raum zu adaptieren. So fanden etwa der Nationalismus und Sozialismus, vor allem von Ägyptens legendärem Staatsmann Nasser propagiert, in den arabischen Kulturraum Eingang. Diese Art von Denken ist die bis heute in der islamischen Welt dominierende.

Das andere Lager, später als Islamisten oder Fundamentalisten bezeichnet, brachte den mangelnden Fortschritt mit einer Abkehr vom wahren Willen Gottes in Verbindung, wie er im Koran und in normativen Schriften der Tradition zum Ausdruck kommt. Das Wort Gottes sei wörtlich zu befolgen und die Zeit Mohammeds und seiner ersten vier Nachfolger sei das für alle Zeiten gültige Vorbild, wie eine Gesellschaft beschaffen sein solle. Demokratie sei eine Erfindung des Westens. Gott, nicht das Volk müsse Souverän eines islamischen Staates sein. Diese Tradition konstruiert ihr Bild von islamischer Kultur angesichts kolonialen und imperialen Ressentiments. Es ist vor allem der Muslimbruder Sayyid Qutb, der die islamische Kultur als Gegenspieler der westlich-christlichen Kultur zeichnet.

Flexible Religion

Man kann nun von keinem dieser Reformwege sagen, er sei unislamisch. Der Islam, dessen zentrales Glaubensprinzip das persönliche Verhältnis zu Gott ist, ist eigentlich so flexibel, dass sowohl das Modell der produktiven Adaption als auch jenes konservativere Modell der Abgrenzung als rechtgläubig bezeichnet werden können. Jedoch schafft Letzteres – da es ideologisch fundiert und ausgerichtet ist – künstliche Barrieren und sät Misstrauen. Diese Ideologie ist die Basis von Taliban, al-Qaida und anderen Gruppierungen, die den Islam zum Gegner des Westens schlechthin hochstilisieren, der dieser nicht sein muss und kulturell nicht sein kann.

Taliban sind zu einem sehr großen Teil in islamistisch geprägten Koranschulen und Medressen in Pakistan ausgebildete Paschtunen. Ihre Version von wahrem Islam ist stark von paschtunischen Stammestraditionen gefärbt. Merkmale davon sind etwa streng-patriarchale Strukturen oder hohe Gewaltbereitschaft. Gerade das Stammesdenken der Taliban ist unumstritten unislamisch: Der einzige legitime islamische Stamm ist die Gemeinschaft Gottes, also alle Muslime.

Osama bin Ladens inhomogenes Terrornetzwerk al-Qaida, das eher mehr Franchiseunternehmen als hierarchische Organisation ist, basiert auf radikalisiertem, islamistischem Gedankengut. Diese Ideologie ist ein von Aberglauben durchzogenes Zerrbild von Islam, das jeder Vernunft spottet.

Aufgeklärter Dialog

Zwar können nun weder die Taliban noch al-Qaida für eine islamische Kultur sprechen, dennoch sind sie in der Lage, das von Islamisten konstruierte Bild vom Gegensatz von Morgenland und Abendland zu verhärten. Diese Grenzziehung wird im Abendland mindestens seit etwa eineinhalb Jahrhunderten weitertradiert, nicht nur in Wahlkämpfen, sondern auch in der Wissenschaft. Zwar handelt es sich bei Okzident und Orient definitiv um zwei unterschiedliche Kulturen, die aber aufgrund ihrer Geschichte gegenseitiger intellektueller Durchdringung keinesfalls inkompatibel sein können. Das Wissen um die Künstlichkeit von kulturellen Gegensätzen muss die Basis der Weltsicht einer Gesellschaft sein, die sich als Erbe der Aufklärung bezeichnet.

Einen beeindruckenden Schritt in diese Richtung tat Barack Obama mit seiner Mitte Juni gehaltenen „Rede an die arabische Welt“. Die Spannungen zwischen Islam und Westen seien in starken historischen Kräften verwurzelt: „In der jüngsten Vergangenheit wurden die Spannungen durch Kolonialismus genährt, der vielen Muslimen Rechte und Chancen versagte […]. Darüber hinaus hat der weitreichende Wandel, der von der Moderne und der Globalisierung herbeigeführt wurde, dazu geführt, dass viele Muslime den Westen als feindlich gegenüber den Traditionen des Islams erachteten.“ Weiters gesteht er ein, dass im Zuge des „War on Terror“ der Islam zum Feind des Westens, der Menschenrechte und der Freiheit gemacht wurde.

Auf diese Weise muss ein Dialog zwischen zwei Kulturen mit einer langen gemeinsamen Geschichte stattfinden. Dass Obamas Strategie die richtige ist, zeigt die Tatsache, dass sich der einmal mehr tot geglaubte Osama bin Laden vor jener Rede zu Wort meldete, seine Hasstiraden diesmal aber auf sehr wenig Resonanz stießen.

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