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Initialzündung aus Arabien?

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Wenn man die Bücher überblickt, die die deutsche Sachbuchautorin Sigrid Hunke im Laufe von 25 Jahren vorgelegt hat, dann zeigt sich, daß sie vor allem zwei großen Themen ihr Interesse zuwendet. Zum einen ist sie bemüht, den Europäern die islamische Geisteswelt nahezubringen und die vielfältigen Einflüsse der arabischen Kultur auf die abendländische Geistesgeschichte zu dokumentieren („Allahs Sonne über dem Abendland", „Kamele auf dem Kaisermantel").

Zum andern widmet sie sich mit nicht geringem Elan der Entdek-kung, Interpretation und Ehrenrettung jener religiösen Ketzer, Dissidenten und Außenseiter, die im Laufe von mehr als tausend Jahren das kirchliche Christentum beunruhigt, herausgefordert oder bekämpft haben („Europas andere Religion"). In Gestalten wie Scotus Eriugena, Siger von Brabant, Meister Eckhart und Giordano Bruno sieht sie die ahnungsvolle Vorwegnahme eines „dritten Weges" jenseits von kirchlicher Dogmatik und transzendenzlosem Materialismus.

Diese beiden Impulse bestimmen auch die Grundhaltung von Sigrid Hunkes neuestem Buch „Glauben und Wissen". Entgegen dem Anschein, den der Titel erwecken könnte, ist es keine theologische oder erkenntnistheoretische Abhandlung, sondern der provozierende, bisweilen auch ärgerliche, immer jedoch anregende Entwurf einer Geistesgeschichte, in dem sich historische Gelehrsamkeit, kulturkritisches Pathos und polemische Verdikte ein Stelldichein geben.

Hunke teilt nicht die übliche Auffassung, daß die entscheidende Wende zur unbefangenen Entdek-kung der Welt in der Renaissancezeit begonnen habe. Der befreiende Durchbruch habe bereits im 12. und 13. Jahrhundert stattgefunden; erste Ansätze dazu seien sogar noch früher nachweisbar. Im Zusammenhang damit lehnt die Autorin auch die These ab, daß die antiken Griechen als Vorläufer naturwissenschaftlichen Denkens anzusehen seien; in Piaton und Aristoteles sieht sie geradezu verhängnisvolle Hindernisse empirisch-rationaler Welterkenntnis.

Noch negativer beurteilt die Verfasserin das Christentum, insbesondere die orthodoxe Theologie, und sie bringt denn auch Zitate aus Paulus, Tertullian und Augustinus, die nicht eben wissenschaftsfreundlich sind. So gewiß der These der Autorin zuzustimmen ist, daß die moderne Naturwissenschaft zu einer weltgeschichtlichen Macht erst dann werden konnte, als der kirchliche Einfluß auf das geistige Leben zurückgedrängt war, so wenig läßt sich freilich auch leugnen, daß nur die vom Christentum geprägten Völker des Abendlandes zu den Pionieren wissenschaftlich-technischen Fortschritts gehören.

Sigrid Hunke wirft dem Christentum „dualistisches" Denken vor, die radikale Trennung der als „Schöpfung" aufgefaßten Natur von dem transzendenten, absolut souveränen Gott. Doch eben diese Entgöttli-chung der Natur, die zugleich eine Entdämonisierung und Entmagisie-rung ist, hat doch erst die „Welt" dem rationalen Zugriff des Menschen überantwortet. Die „Entmythologi-sierung" beginnt bereits im ersten Buch der Bibel. Moderne Wissenschaft und Technik haben den alt-testamentlichen Auftrag „Macht euch die Erde Untertan!" ernstgenommen - gewiß in einem Ausmaß

und mit Folgen, die nicht nur das Christentum erschütterten.

Max Weber, Max Scheler, Ludwig Klages und andere haben mit Recht hervorgehoben, daß das die Arbeit grundsätzlich bejahende und der Natur alle numinosen Eigenschaften aberkennende Christentum zumindest mittelbar zur modernen Rationalität, wie sie in Wissenschaft, Forschung und Technik sich verkörpert, beigetragen hat. Auf dieses Problem, das immerhin seit bald drei Generationen die bedeutendsten Historiker, Soziologen und Kulturphilosophen bewegt, geht Hunke leider mit keinem Wort ein.

Statt dessen preist sie die Rolle der mohammedanischen Araber, die in der Tat mehr gewesen sind als bloße Sammler, Systematisierer und Vermittler griechischer Philosophie, Geometrie und Medizin, sondern auch aus eigenem hervorragende Leistungen auf wissenschaftlichem Gebiet aufzuweisen haben. Erst „der arabische Funke" habe selbständige europäische Naturforschung angefacht. Dieser Teil des Buches über die „Initialzündung durch arabische Wissenschaft" gehört zu den spannendsten Kapiteln; er bringt vieles, was man in den üblichen geistesgeschichtlichen Darstellungen und Schulbüchern nicht findet.

So unbestritten der Vorsprung arabischer Wissenschaft bis zum 13. Jahrhundert ist und diese Überlegenheit auch vom christlichen Westen anerkannt wurde, bleibt es doch eine Tatsache, daß die Araber ihren wissenschaftlichen Primat nicht behalten konnten und daß der Islam unfähig war, eine säkulare Zivilisation von der Art der neuzeitlich-europäischen zu schaffen. Die islamische Kultur beantwortete die durch den Einfluß des klassisch-antiken Erbes ausgelöste Krise in traditionalistisch-orthodoxem Sinne; ihre Reaktion war also genau das Gegenteil von dem, was im christlich geprägten Abendland geschah.

Die islamischen Reiche begnügten sich zunehmend mit der Wahrung der reinen Lehre des Propheten und erstarrten in religiös-dogmatischer Kasuistik. Die Verbindlichkeit des Koran erstreckt sich auch auf Bereiche, die in Europa zunehmend als von der Religion unabhängige Sachgebiete aufgefaßt wurden - und die philosophisch-theologische Begründung dieser Autonomie hat bereits Thomas von Aquin geliefert

Mehr Zustimmung verdient die streitbare Autorin, wenn sie im vierten Teil ihres Buches an Hand überwältigender Zeugnisse (Planck, Einstein, Heisenberg, Eddington, Rutherford u. a.) nachweist, daß Naturwissenschaft und Religion einander nicht ausschließen, daß die Ergebnisse der fortgeschrittensten Elementarphysik und Kosmologie mit den Ahnungen und Visioneh inspirierter religiöser Geister weit mehr übereinstimmen als mit dem Materialismus.

Die Autorin erblickt in solcher Konvergenz eine erstaunliche Bestätigung der „anderen Religion Europas", obwohl die Nähe zu gewissen östlichen Naturphilosophien - etwa zum Hinduismus und Taoismus -vielleicht noch frappierender ist. So zeichnet sich das paradoxe Ergebnis ab, daß die auf „dualistischem" Boden entstandene Naturwissenschaft eher „monistische" Schlußfolgerungen nahelegt. Statt von der „Einheit europäischer Religion und Naturwissenschaft" sollte man eher von einem neuen Kosmosverständnis sprechen, das nicht nur abendländische Ketzer und arabische Freigeister verbindet, sondern auch die tiefsten Institutionen indischen, chinesischen und japanischen Denkens rehabilitiert.

Wobei noch hinzuzufügen ist, daß jene Kulturen, in denen von allem Anfang an die von Frau Hunke favorisierten All-Einheitslehren vorherrschten, nicht imstande waren, Wissenschaft im modernen Sinne hervorzubringen. Kritisch anzumerken wäre überdies, daß die Autorin diese All-Einheitslehren nicht, wie üblich, als „monistisch" oder „pan-theistisch" bezeichnet, vielmehr durchwegs von „Unitarismus" spricht. Denn unter Unitarismus versteht man allgemein nicht das Gegenteil von Dualismus, sondern! jene Lehren, die das christliche Dogma von der göttlichen Dreieinigkeit (Tri-nität) ablehnen.

(Der Verfasser ist Herausgeber der Reihe „Initiative" des Herder-Verlages)

GLAUBEN UND WISSEN. Die Einheit europäischer Religion und Naturwissenschaft. Von Sigrid Hunke. Econ-Verlag, Dusseldorf-Wien 1979, 308 Seiten, 24 Bildtafeln, öS 280,80.

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