7101158-1995_12_10.jpg
Digital In Arbeit

Was macht Muslime rabiat?

19451960198020002020

Besondere Intoleranz ist keineswegs ein Grundmerkmal des Islam, wo sie auftritt, entspringt sie oft der Furcht, sonst gegen den Westen unterzugehen.

19451960198020002020

Besondere Intoleranz ist keineswegs ein Grundmerkmal des Islam, wo sie auftritt, entspringt sie oft der Furcht, sonst gegen den Westen unterzugehen.

Werbung
Werbung
Werbung

Viele Nicht-Muslime halten den Islam für besonders intolerant, vielleicht für die intoleranteste Religion überhaupt. Viele Muslime dagegen sehen es genau umgekehrt, sie sind felsenfest davon überzeugt, der Islam sei die toleranteste unter den Religionen. Manche sehen den Islam und seine Bekenner als das ständige Opfer der Intoleranz anderer.

Heute sind nicht wenige Muslime der Meinung, wir müßten unsere herkömmliche Toleranz aufgeben, sonst gehen wir noch unter. Die Diskussion über diese Frage entzündet sich speziell an Bosnien. Jahrhundertelang herrschten die Türken über den Balkan. Es wäre ein leichtes gewesen, der gesamten Bevölkerung den Islam aufzuzwingen. ,

In Spanien war es nicht anders. Während der muslimischen Epoche konnten Juden und Christen bei ihrem Glauben bleiben, doch die erobernden Christen führten Zwangstaufen durch, und binnen weniger Jahrzehnte gab es keinen Islam mehr in Spanien. Heute drohe Bosnien ein ähnliches Schicksal.

Dementsprechend reagieren viele Muslime rabiat. So werden im Südsudan seit einigen Jahren Christen zwangsweise islamisiert, in Ägypten werden Kirchen und Klöster niedergebrannt, in Pakistan sollten zwei Christen wegen angeblicher Verunglimpfung des Islam hingerichtet wurden, ein Dritter wurde deshalb ermordet.

Für im islamischen Glauben Gebildete sind solche Auswüchse Anlaß zu tiefer Trauer. Sie empfinden jeden Verstoß gegen die im Koran gebotene Toleranz als eine Schande für den Islam, als eine Entstellung.

„Ihr betet nicht an, was ich anbete; und ich bete nicht an, was Ihr anbetet. Euch Euer Glaube und mir mein Glaube.” An anderer Stelle im Koran heißt es, „kein Zwang sei im Glauben, Wahrheit ist nunmehr deutlich unterscheidbar von Unwahrheit.” Es ist jedem einzelnen überlassen, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Wer der rechten Leitung nicht folgt, tut so zu seinem eigenen Schaden.

Gott mahnt seinen Propheten eindringlich, daß er den Leuten nichts diktieren könne (lasta 'alaihim bi-musaitir). „Dich (Muhammad) haben Wir nur als einen Warner und Prediger entsandt.”

Laut Koran können auch NichtMuslime, speziell Juden und Christen, am ewigen Heil teilhaben. Voraussetzung ist der Glaube an die Einheit Gottes und die Anerkennung seiner Propheten, die die göttlichen Offenbarungen verkünden. Hier besteht ein bemerkenswerter Gegensatz zur alten kirchlichen Lehre „extra ecclesiam nulla salus” (außerhalb der Kirche kein Heil).

Der Djihad, der „Heilige Krieg”, darf nur in Verteidigung des Glaubens geführt werden, und zwar jedes Glaubens an den Einen Gott. Streng genommen sind Muslime angehalten, auch Juden gegen Christen oder Christen gegen Kommunisten zu verteidigen. Ein nationaler Grenzkrieg wie zwischen Ecuador und Peru kann niemals ein Djihad sein.

Woher rührt dann also die Vorstellung von der Intoleranz des Islam? Zum Teil ist es einfach Propaganda, die aus der historischen Konfrontation zwischen islamischem Orient und christlichem Okzident herstammt. Zwecks Mobilisierung der christlichen Abendländer mußte der Gegner dämonisiert werden. Zum anderen entwickelten muslimische Frühreiche eine expansive Staatsdoktrin. Muslime sollten danach trachten, eine politische Vormachtstellung zu erringen, weltweit, nicht, um anderen den Islam aufzuzwingen, sondern um eine Beeinträchtigung des Islam zu verhindern.

Diese Doktrin rührt nicht aus der Offenbarung des Koran her, sondern aus der islamischen Frühgeschichte, als die kleine Urgemeinde sich durch mächtige Nachbarstaaten bedroht sah. Jenes Denken fand seinen Niederschlag in der Scharia, dem überlieferten Gesetz aus den ersten zwei Jahrhunderten. Die Scharia ist weniger tolerant als der Koran.

Muslimische Reformtheologen forderten deshalb bereits im 19. Jahrhundert, die seit dem achten Jahrhundert stagnierende Scharia weiterzuentwickeln. Solange das nicht erfolge, sollten sich die Muslime allein auf den Koran verlassen, das heißt auf den Kerngehalt des Islam mit seinem unmißverständlichen Toleranzgebot.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung