6916800-1981_29_07.jpg
Digital In Arbeit

Islamisierung im „Land der Reinen“

Werbung
Werbung
Werbung

Pakistan heißt „Land der Reinen“, der Islam ist Staatsreligion in diesem mittelasiatischen Land. Die „Islamische Republik Pakistan“ war 1947 entstanden, nachdem die Briten beschlossen hatten, Indien freizugeben. Muslime und Hindus forderten ihre Eigenstaatlichkeit; es kam zur Aufteilung des indischen Subkontinents und zu einem langdauernden, erbitterten Religionskrieg.

Die Propaganda für die Schaffung eines unabhängigen Reiches auf indischem Boden hatte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Mohammed Iqbal, Schriftsteller und Dichter, formulierte in Urdu, einer Mischung aus Hindi, Persisch und Arabisch, seine liberalen Auffassungen vom Islam; er gilt als „der geistige Vater Pakistans“.

Der Idee von zwei Nationen auf indischem Boden folgte auch Mohammed Ali Jinnah, der „Führer der Nation“. Mit großem taktischen und psychologischen Geschick appellierte der Rechtsanwalt aus Bombay an den Selbstbehauptungswillen der indischen Muslime, beschwor er die Vision eines unabhängigen islamischen Staates auf westlich-parlamentarischer Grundlage.

Der führende Theologe und oberste Mullah in dem Triumvirat der geistigpolitischen Führer Pakistans war Mou- lana Maududi; er lehnte die parlamentarische Staatsform als unislamisch ab und ereiferte sich für eine fundamentalistische Auslegung des Korans. Die Konzeptederdrei pakistanischen Nationalgrößen gelten als Dogmen, jeder kann sich auf sie berufen, aber ein einheitliches Konzept lassen diese drei Schulen in Pakistan nicht aufkommen.

Beim Abfall Ostpakistans, dem heutigen Bangladesch, hat der Islam als Staatsidee versagt. Nicht nur ethnische Unterschiede, mehr noch geographische Unvereinbarkeiten zwischen den zweieinhalbtausend Kilometer auseinanderliegenden Landesteilen machten das Zusammenleben in einem Staatsverband unmöglich.

Bis 1971 war Pakistan, West und Ost, der volksreichste islamische Staat der Erde. Heute nimmt Pakistan in der islamischen Völkerfamilie den dritten Platz ein - nach Indonesien und Bangladesch. Der überwiegende Teil der 80 Millionen Pakistani bekennt sich zum sunnitischen Islam.

In den Augen der Pakistani ist Indien der Erzrivale geblieben, auch nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan. Drei verlorene Kriege gegen Indien haben ein Trauma hinterlassen. Nach wie vor ist das Gros der pakistanischen Truppen an der Ostgrenže, zwischen Kaschmir und Sind, stationiert.

Die Westgrenze hingegen ist so mangelhaft gesichert, daß es für einen gutausgerüsteten Angreifer aus Afghanistan oder dem Iran ein leichtes wäre, durch Paschthunistan und Belutschi- stan zum Arabischen Meer vorzudringen. Die Invasoren würden zudem von separatistischen Neigungen unter Pa- thanen und Belutschen profitieren.

Militärstrategen sehen Pakistan als eine Nahtstelle zwischen dem Vorderen und Hinteren Orient, nach der Einverleibung Afghanistans in den sowjetischen Machtbereich auch als einen Pufferstaat. Die hohe strategische Bedeutung wird von pakistanischen Politikern auch immer wieder ins Feld geführt, wenn es um Waffen- und Wirtschaftshilfe geht. Dabei ist stets mit indischen Empfindlichkeiten zu rechnen, denn massive Hilfe für Pakistan sieht Indien als gegen sich gerichtet. Aber niemand will es sich mit Neu-Delhi verderben.

Auf dem Gebiet der Nuklearplanung wollen die Pakistani den Indern nicht nachstehen. Mit viel List haben sich die

beiden Länder das Material zum Bau von Atombbmben beschafft.

Unter der Bezeichnung „Hauptkriegsrechtsverwalter“ leitet General Zia ul-Haq seit dem,Staatsstreich von 1977 die Geschicke Pakistans. Eine Militärdiktatur ist dabei für Pakistan nichts Neues; Militärs wie Ayub Khan und Jahya Khan hatten sich bereits als selbsternannte „Retter der Nation“ und Alleinherrscher hervorgetan, nachdem Versuche mit der parlamentarischen Demokratie dem Land nicht gut bekommen waren.

Stark beeinflußt vom Programm der kleinen, straff organisierten, fundamentalistischen Fama-at-i-Islami-Par- tei des unlängst verstorbenen Mullah Maududi betreibt Zia ul-Haq eine rigorose Islamisierungspolitik. Ähnlich wie unter Ayatollah Khomeini im Iran spielt sich dabei eine kleine Gruppe fanatischer Studenten in den Vordergrund.

Die altislamischen Gesetzen folgende Heilslehre befürwortet unter anderem die öffentliche Auspeitschung, das strikte Alkoholverbot, die mittelalterliche Sitte des Handabhackens nach wiederholtem Diebstahl und die Behandlung der Frau wie zur Zeit des Propheten Mohammed. Zia ul-Haq betrachtet sich nach eigenen Worten als ein „Soldat Gottes“; er will aus Paki

stan eine „Zitadelle des Islams“ machen.

Manche Kritiker bezeichnen den pakistanischen Staatschef als einen frömmelnden General, der sich bei den erdölreichen muslimischen Bruderstaaten anbiedern möchte. Andere meinen, er wolle die Islamische Republik Pakistan zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückführen und die nationale Identität stärken. Wie dem auch sei - Zias Islamisierungspolitik droht die Unterschiede des islamischen Lebens in Pakistan zu vertiefen.

Wie überall in der islamischen Welt gibt es auch in Pakistan beträchtliche Gegensätze zwischen dem Volks- und Gesetzesislam. Es gibt die Oberschicht von Großgrundbesitzern, höherem Beamtentum und gehobenem Bürgertum; sie erachtet den Islam als Leitbild moralischen Verhaltens und als staatstragendes Element, aber gleichzeitig ist sie von westlicher Erziehung geprägt, lebt sie nach europäisch-amerikanischem Vorbild.

Doch 80 Prozent der Bevölkerung Pakistans sind fromme, analphabetische Bauern und Kleinbürger. Für diese Menschen ist der Islam Inhalt des gesamten Alltags, sie leben im Bewußtsein der absoluten Abhängigkeit von

Allah und neigen entsprechend zu Fatalismus.

U nd da gibt es, vor allem in den westlichen und nördlichen Grenzgebieten Pakistans, einen schiitischen Volksteil, der argwöhnisch auf das sunnitisch ausgerichtete Regime in Islamabad blickt. Eine vom Nachbarland Iran geschürte schiitisch-sunnitische Konfrontation könnte die Einheit Pakistans gefährden.

Der gefährlichste politische Zündstoff kommt aber von den Anhängern der Pakistanischen Volkspartei, die trotz des Kriegsrechts immer wieder protestierende Massen mobilisiert.

Eine stärkere islamische Ausrichtung ist auch in der Außenpolitik Pakistans zu spüren, und dieses Bemühen scheint sich zunehmend auszuzahlen, soweit es darum geht, einen erklecklichen Teil der Petrodollars islamischer

OPEC-Staaten in pakistanische Kassen zu leiten.

Fast die Hälfte der Entwicklungshilfe an Pakistan kommt nun aus Ländern wie Saudi-Arabien, Kuweit und Libyen. Pakistan erhält einen Teil seiner Erdölimporte zu einem Sonderpreis. Trotzdem kann dieses rohstoffarme Entwicklungsland nur stockend sein Wirtschaftsprogramm verwirklichen, weil für Industriegüter und Nahrungsmitteleinfuhren immer höhere Preise gezahlt werden müssen.

Löhne und Gehälter in Pakistan sind so dürftig (das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 3500 Schilling), daß die Elite des Landes abwandert. Die meinungsbildende Stadtbevölkerung sträubt sich gegen den harschen Islami- sierungskurs der Regierung, während die Unterschicht in ihrer Inschallah- Einstellung verharrt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung