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Zange um Indien

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Indische Regierungskreise sind im Besitz beunruhigender Nachrichten: Zehn- bis fünfzehntausend reguläre rotchinesische Truppen begeben sich in diesen Tagen mit der Erlaubnis Pakistans in den von Pakistan angegliederten Teil Kaschmirs, wo eine strategisch ungemein wichtige Straße von Gilgit nach Sinkiang gebaut wird, um noch schneller Truppenverschiebungen an die Grenzen des von Indien annektierten Teil Kaschmirs heranbringen zu können.

Ein Sprecher des indischen Außenamtes bezeichnet diese Bedrohung als emster als alle im Laufe der letzten Jahre vorangegangenen. Militär-sachverständige, nicht nur in Indien, sind der Ansicht, daß trotz der wiederholten Verstärkung der indischen Streitkräfte einschließlich der Aufstellung von weiteren zehn Divisionen für den Gebirgskrieg die gegnerischen Streitkräfte noch immer weit stärker sind als die indischen und daß sie überdies über günstigere Ausgangspositionen für kriegerische Auseinandersetzungen verfügen.

Obwohl Pakistan — nach einer indischen Formulierung — nichts anderes ist als „ein muselmanisch-theokratisch orientierter Feudalstaat mit militärischem Einschlag“ Und auch nach der Machtergreifung Yahya Khans keineswegs der maotischen Ideologie nahegekommen ist, wind die Zusammenarbeit zwischen Rotchina und Pakistan Tingetrübt fortgesetzt. Nach wie vor lobt Tschu En-lai Pakistan, und Mao Tse-tung selbst versicherte vor kurzem dem pakistanischen Botschafter in Peking seines besonderen Wohlwollens.

Indiens Protest

Indem sich Rotchina in der Kaschmirfrage unzweideutig auf die Seite Pakistans stellt, sichert es sich den Beistand der in Pakistan tonangebenden Nationalisten. Der Peking sehr genehme frühere Außenminister Bhutto — selbst ein reicher Großgrundbesitzer und eifriger pakistanischer Nationalist — erklärt zum Beispiel, daß Pakistan, wenn nötig, „auch tausend Jahre kämpfen werde, um Indien das mohammedanische Kaschmir zu entreißen, ebenso wie einen Teil von Assam“. Schon vor der gegenwärtigen Verschärfung der Lage protestierte der indische Minister des Auswärtigen gegen die rotchinesischen Bestrebungen, „sich in die Frage der indischen Souveränität in Kaschmir einzumischen“. Bekanntlich bat Delhi den an Indien angegliederten Teil Kaschmirs immer fester in den indischen Staatenverband integriert, während Pakistan den von ihm kontrollierten TeiJ Kaschmirs nicht an Pakistan angeschlossen hat. Azad Kaschmir bat seine eigene Regierung und sogar seine eigene Armee. Man ist in Pakistan überzeugt, daß die Mehrheit aller Kaschmiris bei einer Volksabstimmung, gegen die sich Indien sträubt, sich für den Anschluß ganz Kaschmirs an Pakistan entscheiden würde. Und immer wieder macht es

der Streit um Kaschmir Rotchina möglich, die Zusammenarbeit mit Pakistan zum Schaden Indiens zu verstärken.

Nach der persönlichen Meinung nicht weniger Inder von Format ist die heutige verfahrene Lage die Folge vieler außenpolitischer Fehler, die nach dem Abzug der Briten aus Indien nicht nur von Indien begangen wurden, einschließlich der indischen Anerkennung der Angliederung Tibets an China, die zum Fortfall dieses wichtigen Puffergebildes zum Schutz Indiens beitrug. Aber auch abgesehen von diesen Mißgriffen bietet die progressive Erschließung ehedem unzugänglicher riesengroßer Gebiete zwischen den beiden Machtsphären den schlauen Machinationen -Pekings isehr große MögliciMceHi8

Maos System der Einkreisung

Im Vorjahr flog Frau Indira Gandhi vom indischen Flugplatz Hashiwara in einer Stund* in das Himalajakönigreich Bhutan. Zehn Jahre vorher hatte die Reise dorthin im Umweg über das Tschumbital noch drei volle Wochen gedauert! Und nicht nur in Gebieten nahe der Grenzzonen, sondern auch in anderen Teilen Indiens spürt Delhi die Hand der sich auf sehr gute Geheimdienste stützenden rotchinesischen Staatsführung. Erst jetzt werden zum Beispiel zusätzliche Einzelheiten über in den letzten Monaten stattgefundene Machinationen dieser Art bekannt. So verspürte die Provinz Andra Pradesh das maotische Rezept der Einkreisung dicht besiedelter Gebiete vom umliegenden schwerer zugänglichen Terrain her. Es kam dabei zu überraschenden Überfällen mit Toten und Verwundeten und dem darauffolgenden blitzschnellen Verschwinden der Guerillas. All dies steigert die durch die jetzigen Trup-penversehiebungen nach Azad Kaschmir entstandenen Befürchtungen indischer Regierungskreiise.

Ebenso wie die anderen Weltmächte ist auch Sowjetrußliand an dieser Entwicklung brennend interessiert. Schon vor der jetzigen Verfeindung der beiden kornmunistischen Großmächte nahm Moskau an der inner-asiatischen Entwicklung regen Anteil.

Heute ist Sowjetrußland in einer noch viel schlimmeren Lage. In der Kaschmirfrage kann Moskau weder für noch gegen Pakistan Partei ergreifen, ohne seine Positionen entweder in Pakistan oder in Indien unwiederbringlich schwerstens zu gefährden. Dabei kann die sowjetische Staatsführung mit den Indien bedrohenden pakistaniisch-rotchine-siscben Planungen in dem von Pakistan kontrollierten Teil Kaschmirs keineswegs einverstanden sein, denn es geht hier um die Zukunft Indiens und um die Möglichkeit einer späteren Eingliederung des gesamten indischen Subkontinents in den rotchinesischen Machtbereich. Daher ist die Verteidigung Indiens für Sowjetrußland nicht weniger wichtig als für die Vereinigten Staaten.

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