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90.000 Geiseln

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Die immer wieder hinausgeschobene, seit langem fällige Einberufung der Nationalversammlung wird meist dem Vorbehalt der Staatsführung zugeschrieben, daß diese Einberufung als endgültige Anerkennung und Besiegelung der Spaltung des Landes gedeutet werden würde, mit der sich zahllose Pakistaner noch nicht abgefunden haben.

Die Frage dieser Anerkennung belastet schwer die Zukunft des indischen Subkontinents und steht mit der von Pakistan geforderten Entlassung von 90.000 Mann pakistanischer Truppen aus indischen Gefangenenlagern in enger Verbindung. Indien macht sie von der Zustimmung Ostpakistans abhängig, während sich Mujibur Rahman weigert, in dieser Frage überhaupt mit sich reden zu lassen, ehe Westpakistan seine Regierung in aller Form anerkennt. Erst in diesen Tagen erklärte sich Präsident Bhutto neuerlich zu direkten Gesprächen mit Mujibur Rahman bereit, was mit der wiederholten Forderung sofortiger Anerkennung beantwortet wurde, die sich Rawalpindi mit Rücksicht auf die Haltung führender Pakistaner

Ein in diesen Tagen aufgedeckter umfangreicher Waffenschmuggel für Aufständische in Westpakistan, die fortgesetzte Zurückhaltung eines Drittels der pakistanischen Armee in indischen Gefangenenlagern und andere Vorkommnisse führen zu einer immer größer werdenden Verbitterung in dem durch die

Abtrennung der Ostprovinz ohnehin hart getroffenen Pakistan. und eines Großteils der Bevölkerung Westpakistans nicht leisten kann. So bewegt man sich seit Monaten in einem Teufelskreis, während die Erbitterung der in Indien festgehaltenen 90.000 Pakistaner und ihrer Angehörigen ständig zunimmt. So geben auch angesehene amerikanische Blätter, unter ihnen die „New York Times“, der Meinung Ausdruck, daß Indien verpflichtet sei, die Freilassung dieses Drittels der pakistanischen Armee auch ohne Zustimmung Mujibur Rahmans vorzunehmen. Außerdem erhebt Pakistan gegen die Art der Behandlung dieser Kriegsgefangenen in indischen Lagern heftigen Protest, der auch von maßgeblichen amerikanischen, englischen und holländischen Blättern aufgegriffen wird und den auch die Internationale Juristenkommission als stichhaltig bezeichnet hat. Nach einer pakistanischen Darstellung wurden im Gefangenenlager 99 zweihundert pakistanische Offiziere während der drei heißesten Monate des Jahres ohne Wasserzufuhr, ohne Beleuchtung und ohne sanitäre Anlagen in ganz kleine Baracken zusammengepfercht. In vielen Lagern seien nicht einmal Betten vorhanden, es mangle an ärztlicher Betreuung, viele Gefangene seien bei Verhören gefoltert worden, bei Auseinandersetzungen mit unbewaffneten Gefangenen seien bereits 42 von ihnen erschossen und mehr als 50 verwundet worden. Ein Entgegenkommen von Bangla'Desch und Indien in der Frage der Zurückhaltung der Kriegsgefangenen würde sich zweifellos auch auf das Schicksal von Zehntausenden in Westpakistan verbliebenen Bengalen, die sich von Bangla Desch nicht formell losgesagt haben, günstig auswirken. Solche Bengalen wurden in Westpakistan sowohl aus staatlichen Stellungen wie von Privatunternehmen entlassen und sind jetzt gezwungen, ihre Habseligkeiten zu verkaufen, um das Leben fristen zu können. Für ihre Rückkehr nach Ostpakistan wären ebenfalls direkte Verhandlungen mit Dakka nötig, die Bhutto wünscht, aber Rahman ablehnt.

Die Erbitterung unter den Angehörigen der neunzigtausend in indischen Gefangenenlagern zurückgehaltenen Pakistaner wurde durch Maßnahmen gesteigert, die mit der schwierigen Lage der indischen Staatsflnanzen zusammenhängen. Die Gefangenen dürfen von ihren Verwandten in Westpakistan Geldsendungen zur Linderung ihrer Not erbitten, die ihnen aber nicht in Rupien, sondern in harten Währungen überwiesen werden müssen. Durch die Einstellung von Wirtschaftshilfen und indische Hilfeleistungen an Bangla Desch und durch die Folgen der katastrophalen Dürre, die im Vorjahr viele indische Provinzen heimgesucht hat, ist heute Indien schwerstens belastet. Anfang Februar 1973 mußte bereits dem Parlament mitgeteilt werden, daß Indien bald aus dem Ausland Weizen und Reis einführen und in harter Währung bezahlen müsse. Seit kurzem bemühen sich Regierungskreise in Neu-Delhi, die indischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, diesem größten Helfer Indiens in den Nöten vergangener Jahre, zu verbessern. Nach heftigen Angrilfen auf die USA in der indischen Presse und nach anderen Manifestationen einer antiamerikanischen Haltung bezeichnen jetzt die Anhänger .Frau Gandhis, diese Anstrengungen: zur. neuerlichen Anbiederung mit großer Höflichkeit als den „Ausdruck einer flexiblen pragmatischen Haltung“. Trotz aller Nöte schwimmt aber nach der Formulierung eines westlichen Publizisten „das Land der Hungersnöte in Gold“. Angeblich besitzt Indien Goldschätze im Wert von vielen Milliarden Dollar, da nach Behauptungen wohlinformierter Beobachter indische Geschäftsleute, Handwerker und sogar kleine Bauern jede ersparte Rupie in Gold investieren und es im Notfall zu Schmuck verarbeiten lassen, um es dem Zugriff der goldhungrigen Staatskasse zu entziehen.

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