6920901-1981_44_06.jpg
Digital In Arbeit

Religionskampf im Subkontinent

19451960198020002020

Noch machen sie nur acht Prozent der indischen Bevölkerung aus: die Muslime. Doch schon im Jahr 2000 könnten es 25 Prozent sein. Gelder aus den reichen Erdölstaaten, eine hohe Geburtenrate und die Bekehrung von „Unberührbaren“ zum Islam machen es möglich. Die Hindus organisieren sich indessen zum Widerstand: auch mit Mitteln des Terrors.

19451960198020002020

Noch machen sie nur acht Prozent der indischen Bevölkerung aus: die Muslime. Doch schon im Jahr 2000 könnten es 25 Prozent sein. Gelder aus den reichen Erdölstaaten, eine hohe Geburtenrate und die Bekehrung von „Unberührbaren“ zum Islam machen es möglich. Die Hindus organisieren sich indessen zum Widerstand: auch mit Mitteln des Terrors.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Aligarh-Muslim-Universi- tät rüstet nach einem Jahr der Streiks und Sperrungen zum Fest. Studenten und Lehrer der einzigen Islam-Universität in Indien, die auch Ausstrahlungskern von Orthodoxie und Glaubenseifer ist, wollen die Massenbekehrung von Unberührbaren zum Islam feiern. Hafizullah Amin, Sekretär der mohammedanischen Studenten und Marxist, begründet: „Nach 34 Jahren im Minoritätsghetto breitet sich der Islam über den Hindustaat aus.“ Aligarh-Stadt weiß, daß die Universitätsfeier sich über die Stadt ausbreiten wird: als Blut-

und Brandfest. Unter der feuchten Hitze des Monsunhimmels bleibt die Stadt trotz der Gefahr, die man kommen spürt, eigenartig kühl.

Fast jährlich zerreißen plötzliche Ausbrüche des Hasses die sonst erträgliche Nachbarschaft von Hindus und Moslems. Die Eintönigkeit der grauen Stadt im Tiefland des indischen Subkontinents wird von Brandruinen in jeder Gasse durchbrochen. Man reißt nicht mehr ab. Man baut nicht mehr auf. Man wartet auf das nächste Massaker. Die Stadt Aligarh spiegelt das ständige Warten auf den Religionskampf in ganz Indien:

Hindus wollen die alte Rechnung von 600 Jahren Islamherrschaft begleichen. Mohammedaner wollen den Verlust ihrer Herrschaft über die Hindus (die daran sicher nicht unbeteiligt waren) rächen. Dazu kommt die Angst der Hindus, ihre Mehrheit in der indischen Union allmählich einzubüßen, andererseits das Streben der Muslime, aus ihrer Minderheitenposition sich zur führenden Religionsgemeinschaft in Indien emporzuarbeiten.

Gegenseitige Verachtung zieht die Demarkationslinie. Die 80 Millionen Mohammedaner in Indien sind fast alle Nachkommen der Unberührbaren, die vor Jahrhunderten unter dem Schutz der islamischen Eroberer in die Gleichheit der Eroberer-Religion flohen:

Der Hindu verachtet den Mohammedaner als davongelaufenen Paria. Der Mohammedaner verachtet den Hindu als Heiden, der sich vor dem fremden Herrn verkroch.

Viel schneller als der Versuch, die Unberührbaren Indiens zum Islam zu bekehren, breitet sich indes die Erregung der Hindus im ganzen Land aus. Das aber führt zu der Frage: Wie kommt es, daß in den 600 Jahren islamischer Herrschaft in Delhi doch relativ wenige „Harijans“, Unberührba- re, der Unbarmherzigkeit des Kastenkodex entflohen sind und heute die neue Welle der Bekehrungen nicht wie eine Lawine alle Ghettos mitreißt? Vorahnungen der Folgen in einem nächsten Leben beschweren den Unberührbaren ihren Weg zur Bekehrung:

Furcht vor der Strafe im nächsten Leben begleitet den Bekehrten noch lange auf dem muslimischen Weg. Unberührbarkeit ist die Bestimmung zum tiefsten Dienen in diesem Leben, birgt aber die Hoffnung auf unbegrenzte Erhöhung im nächsten.

Bekehrung bringt zwar die Gleichheit vor Allah in diesem Leben, doch höllische Strafen im nächsten. Denn Karma und Dhar- ma sind „stärker als der Einzige Gott“. Trotzdem leiteten die islamische Herrschaft in Delhi, die islamische Gesetzgebung im ganzen Land und die Aufnahmebereitschaft des Islams eine echte, wenn auch relativ bescheidene Is- lamisierungswelle ein.

200 Jahre später setzen die Bekehrungen der Unberührbaren wieder ein. Jetzt gibt es kein schützendes Sultanat in Delhi mehr. Der Hinduismus hat sich verwandelt. Die Greuel, die er in seiner neuen Form verbreitet, können stärker sein als die Angst vor der Strafe im nächsten Leben.

Im Wandel der Gesellschaft wandelte sich das Verhältnis zwischen den Hindukasten. Die Unberührbaren fechten die Privilegien der „Zweimalgeborenen“ an, der Hindus der hohen Kasten.

Die Hindus der hohen Kasten wiederum sind sich ihrer vorbestimmten Privilegien unsicher geworden, reagieren mit Willkür, Gewalttaten — besonders dann, wenn es um das heiligste Gut geht: den Besitz.

Den ersten Übertritten Unbe- rührbarer zum Islam schenkte niemand Beachtung. Erst’ als im Dorf Meenakshipuram sich mehr als 1000 Unberührbare beschneiden ließen, registrierten es lokale Zeitungen. Ein Lokalreporter schrieb: „Die Unberührbaren, die zugleich die Landlosen sind, entziehen sich der Gewalt der 50 Kastenhindus und ihres Anhangs, die alles Land besitzen.“

Bekehrungen gab es bald im ganzen Bundesstaat Tamilnadu. Chefminister Ramachandran drohte den Abgefallenen, warnte die Unentschlossenen: „Bedenket die Folgen.“ Da war die Bekehrungswelle schon in Mittelindien.

Die schlafsüchtigen Hindus erwachten jetzt: Hindu-Meetings finden inzwischen in Dörfern statt, über deren Unberührba- renghettos die Wimpel des Propheten flattern. Sikhs, die betur- banten Veteranen der Sekte traditioneller Mohammedanerabwehr, versuchen den zelotischen Mullahs durch ihr eigenes Zelotentum den Wind aus den Segeln zu nehmen: Sie empfehlen den Männern, nach altem Sektengebot die Schwerter zu tragen. Sie verbieten Mädchen und Frauen den Kinobesuch.

Die politische Opposition nimmt das Stichwort auf. Tyagi, Ex-Abgeordneter der Hindu- Staatspartei, fordert von Indira Gandhi: „Verbiete nicht Streiks, sondern Hindubekehrung durch Gewalt und Bestechung.“

Indira Gandhi sagte schon früher dem Korrespondenten: „Nicht Mohammedanergewalt, nicht Ölstaatengeld treiben die Minderheiten den Fanatikern zu, sondern die Gewalttätigkeit der Kastenbesessenen.“

Ihr Todfeind, Sozialistenführer George Fernandes, fragt: „Wer trägt die Schuld, wenn aus den Harijans, Gotteskinden, wie Mahatma Gandhi sie nannte, nun die Kinder Allahs werden?“ Und antwortet wie die Ministerpräsidentin: „Kastenterror.“

Apartheid im indischen Dorf. Lynchjustiz hängt als ständige Drohung über jedem Ghetto, das Privileg und Landnahme der Privilegierten in Frage stellt. Immer wieder ist das Feuer Strafe und Warnung. Lehmhütten und ganze Ghettos stehen in Flammen.

Unberührbare sind auf brennende Holzstöße getrieben worden, die Kette der Strafaktionen reißt nicht ab. Vergewaltigung von Mädchen aus der Kaste, deren Berührung allein den Reinen schon verunreinigt, ist dörflicher Alltag. Denn nach jeder Verunreinigung durch Unberührbarekann der Reine durch Waschung und Buße wieder fleckenlos werden: Die Kastenordnung wird zur Barbarei.

Die Situation zeugt den Humus für den Islam im Kampf um die verlorenen Territorien. Der hat das Ende’Seiner Herrschaft nie hingenommen. Indien gehört zu den verlorenen Territorien, die ein wiederbelebter Islam zurückgewinnen will. Er stößt auf die in tausend Jahren Fremdherrschaft jedes Veränderungsvermögens beraubte Hindu weit, die von Veränderungen, die mit der Souveränität kommen, zerrüttet ist.

Hunderttausende Inder sind Fremdarbeiter in Ölstaaten. Die meisten von ihnen sind Mohammedaner. Sie sind ständige Devisenquelle der indischen Wirtschaft und Finanzquelle der Moscheegemeinden: „Hilfe von unseren Söhnen, die am Segen, den Allah unseren arabischen Brüdern schenkt, teilhaben“ (aus einer Bittschrift des Jamaat-i-Islam im Juni).

Da der indische Islam erst um die Macht kämpft und noch keine Islammacht ist, wird er von allen unterstützt. Irak ist der Patron des Shahi Bukhara, eifernder Imam der Großmoschee in Delhi. Saudiarabien, Schutzherr des indischen Islam, baut weiße Moscheen in verwahrlosten Mohammedanervierteln. Religionsmassaker, gleich wer der Aggressor war, bringen den „Märtyrergemeinden“ einen wahren Goldregen.

In Meenakshipuram kündete der neue Triumph des Islam sich im Bau der Moschee an. Im März, als von Bekehrungen noch keine Rede war, kamen Arbeiter aus der Stadt und begannen zu bauen. Im Juni kamen die Marmorplatten. Mitte Juli zelebrierte der Mullah die Bekehrung in einer Prachtmoschee, die aus sprödem Boden und verelendeten Dörfern gewachsen ist.

Zwei Kilometer entfernt ruft der Tempelbrahmane mit einer Handglocke zum Puja in die schäbige Hütte, die Shivas Tempel ist. Der Ruf gilt nicht den Unberührbaren. Das Tempelverbot der Hindugesetzesschöpfer unter dem Namen „Manu“ ist stärker als Parlamentsgesetze, die Unberührbaren alle Tempeltore öffnen sollen.

Hintergrund von Bekehrung und Gegenwehr ist die Sorge um die Zukunft. Wer wird Majorität sein? Kinderreichtum, Sicherheit im Diesseits, sicheres Geleit ins Jenseits will der Hindustaat begrenzen. Der Geburtenkontrolle setzen die Mullahs ihr „Nein“ entgegen.

Die Gründer der Union gestanden den Mohammedanern ihr Familienrecht zu. Vier Frauen sind nur in der Elite eine finanzielle Belastung. Für den Mann der Masse sind seine vier Frauen aber acht Arbeitshände, die zum Einkommen beitragen.

Die Bevölkerungsvermehrung in den Islamvierteln ist viel größer, das Zusammenleben wird dort mit jedem Jahr unerträglicher. Bevölkerungsstatistiker rechnen, Hindus fürchten, Mohammedaner hoffen, daß es im Jahr 2000 rund 240 Millionen Muslime in Indien geben wird. Das wären 25 Prozent der Gesamtbevölkerung gegenüber acht Prozent heute. Im Kampf um die Bekehrungen, der erst eingesetzt hat, geht es um die Entscheidung: Ist Indien auf dem Weg, ein islamischer Staat zu werden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung