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Schocktherapie für die bengalischen Islamisten

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Welchen literarischen Wert hat das Werk der seit kurzem im schwedischen Exil lebenden bengalischen Autorin Taslima Nasrin? Kann es Moslems zur Selbstkritik anleiten?

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Welchen literarischen Wert hat das Werk der seit kurzem im schwedischen Exil lebenden bengalischen Autorin Taslima Nasrin? Kann es Moslems zur Selbstkritik anleiten?

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Die Kontroverse um die bengalische Ärztin Taslima Nasrin hat die Frage nach dem schriftstellerischen Wert ihrer Veröffentlichungen aufgeworfen, insbesondere ihres Buches „Schande“ (Ladja), das den Streit um ihre Person erst so recht aufflammen ließ.

Es ist eine schwere Frage; denn es läßt sich dazu nicht viel sagen. Die 60 Seiten im Kleinformat sind ja kaum ein Buch zu nennen. Ein Roman ist es eigentlich auch nicht, es ist mehr im Stile eines Berichts oder Zeitungsaufsatzes geschrieben. Taslima hat ja regelmäßig für Zeitungen geschrieben, und Ladja ist gewissermaßen ein längeres Stück, jedoch von derselben Gattung. Es ist auch keine frei erfundene Geschichte, sondern eher ein Tatsachenbericht, in den Rahmen eines opinion piece gestellt.

Moslems in Bangladesch/Indi- en/Pakistan betrachten sich generell als Opfer - oder zumindest potentielle Opfer - von Hindu-Fanatismus, was auch nicht falsch ist. Wegen der bei anti-moslemischen Ausschrei tungen begangenen Greueltaten gelten ihnen die Hindus als Untermenschen, beziehungsweise als Scheusale, denen jede Menschlichkeit ab- geht. Sich selbst sehen sie als Edelmenschen und rühmen gern ihre unübertreffbare Sittlichkeit.

Bekommen dann aber die Moslems Gelegenheit, einmal auf die Hindus zurückzuschlagen, benehmen sie sich kaum anders als ihre Peiniger. Als Bangladesch sich 1971 von Pakistan trennte, verübten die bewaffneten Banden der Fundamentalistenpartei Djamä’at-e Island schreckliche Massaker, und zwar sowohl an moslemischen Säkularisten als auch an Hindus.

Der ermordeten Hindus gedenkt man heute weniger als der ermordeten Moslems. Die Islamisten sind der großen Mehrheit der Bengalen verhaßt, doch das Abschlachten von Hindus paßt nicht in ihr Weltbild. Aus ihrer Sicht schlachten nur Hindus Moslems, und nicht umgekehrt.

MOSLEMS ALS VERGEWALTIGER

In Ladja tut nun Taslima Nasrin etwas höchst Ungewöhnliches, sie beschreibt etwas, was man halt nicht beschreibt, nämlich von Moslems an Hindus begangene Grausamkeiten.

In Indien hatten Hindu-Fanatiker die aus dem 16. Jahrhundert stammende Babri-Moschee im Hindu- Wallfahrtsort Ayodhya zerstört und ein Massaker an Moslems veranstaltet. Daraufhin gingen in Bangladesch Moslems auf Angehörige der Hindu-Minderheit los. Und da beschreibt nun Taslima wie Hindus von Moslems vergewaltigt, gefoltert und getötet werden, wie geplündert wird und Häuser und Tempel angezündet werden. Sie greift eine Familie heraus und veranschaulicht am Beispiel von deren Mitgliedern, was zahlreichen Hindus angetan wurde.

Taslima verbindet das mit einem Appell an das Gewissen ihrer Landsleute. Sie sagt nicht, daß Moslems im allgemeinen und Bengalen im besonderen durchwegs schlechte Menschen seien. Vielmehr richtet sie sich gegen den Dünkel von Rechtschaffenheit, weil der es Menschen erschwert, sich selbstkritisch zu be trachten. Ladja ist in keiner Weise anti-islamisch, eher das Gegenteil, stellt es doch eine Mahnung zur Einhaltung der Moralvorschriften des Islams dar, die Bengalen während der Unruhen nicht befolgten.

Es kommt durchaus vor, daß Prediger sich mit ähnlichen Ermahnungen an ihre Gemeinden wenden, nur sind jene Prediger keine Frauen. Außerdem gibt man derartige selbstkritische Äußerungen nicht zu Papier, denn das könnte ja vom Feind jenseits der Grenze ausgeschlachtet werden.

Erschwerend kam in diesem Fall hinzu,1 daß die Djamä’at-e Island sich nach langer Zeit erstmals wieder in der Offensive befindet. Sie ist zwar nur eine sehr kleine Partei, doch wird sie von Ministerpräsidentin Begam Khälida Zia als Koalitionspartner gebraucht, sonst müßte sie die Macht an Oppositionsführerin Hasina Wäjid abtreten. Deshalb will die Regierung der Djamä ‘at-e Islami keine Zügel anlegen.

Angesichts der Schwäche der Islamisten in Bangladesch hätte Taslima mit Büchern wie Ladja leichtes Spiel gehabt. Mit ihren anderen Schriften, in denen sie die Sexualthematik behandelt, schockiert sie jedoch auch die Mehrheit der Frauen in ihrem konservativen Heimatland. Statt die Islamisten zu schwächen, hat sie ihnen noch Zulauf verschafft.

Taslima schreibt im Stil von Zeitungskommentaren, doch ohne Eleganz. „Besessen, unreif und unnötig provozierend“, lautet das Urteil selbst von Freunden.

Bangladesch ist ein Land mit einem sehr reichen Schrifttum und ei ner stolzen Literaturtradition. Die Bengali-Sprache wird von insgesamt mehr als 200 Millionen Menschen gesprochen (in Bangladesch und dem angrenzenden Teil Indiens). Rabindranath Tagore ist der wohl bekannteste Vertreter dieser Tradition.

Mit all dem hat jedoch Taslima Nasrin wenig zu tun. Literaten, die nach ihren Werken befragt werden, stehen ein wenig hilflos da. Sie bewundern die Autorin von Ladja für ihre Zivilcourage, doch sie vom literarischen Standpunkt her zu beurteilen, wäre ihnen unter normalen Umständen gar nicht in den Sinn gekommen.

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