"Unter einer neuen Regierung wird es mehr Gewalt geben ..."

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Anfang Oktober stand es fest: Indien wird nach der jüngsten Wahl wieder von einer Koalition unter Führung der nationalistischen Hindu-Partei BJP regiert werden. Aufgrund bisheriger Erfahrungen mit der BJP sind das keine rosigen Aussichten für die religiöse Minderheiten des Landes, erklärt John Dayal, katholischer Menschenrechtsaktivist aus Indien, im folgenden Gespräch.

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Anfang Oktober stand es fest: Indien wird nach der jüngsten Wahl wieder von einer Koalition unter Führung der nationalistischen Hindu-Partei BJP regiert werden. Aufgrund bisheriger Erfahrungen mit der BJP sind das keine rosigen Aussichten für die religiöse Minderheiten des Landes, erklärt John Dayal, katholischer Menschenrechtsaktivist aus Indien, im folgenden Gespräch.

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dieFurche: Die hindunationalistische Indische Volkspartei, die bei den jüngsten Wahlen erneut zur stärksten Einzelpartei gewählt wurde und mit ihren Koalitionspartnern die neue Regierung bilden wird, weist alle Vorwürfe von sich, wonach es in ihrer Amtszeit zu verstärkter Gewalt gegen die Minderheiten gekommen sei. Trotz der Übergriffe gegen die Christen heißt es in der BJP, daß es insgesamt weniger Gewalt gegeben habe als unter früheren Kongreß-Kabinetten. Selbst ein Teil der Intelligenzija scheint bereit, sich diesem Argument anzuschließen. Welche Berechtigung hat diese These?

John Dayal: Die Behauptung der BJP, es habe unter ihrer Regierung keine Gewalt gegeben, man solle sich vielmehr ansehen, zu wieviel Gewalt es unter früheren Kongreß-Regierungen gekommen sei, entbehrt jeder Grundlage. Von den fünfziger bis in die achtziger Jahre hat es mehr als ein Dutzend Untersuchungen gegeben, laut denen die BJP selbst, ihre Vorläufer oder (ideologischen) Verwandten in jeden Fall von Gewalt gegen Muslime verwickelt waren.

Und dasselbe gilt für die großen, gegen die Christen gerichteten Unruhen 1982. Selbst in dem Zeitraum, in dem also der Kongreß an der Macht war, waren die Schuldigen dieselben, nämlich die Nationalisten. Nunmehr aber ist es noch schlimmer geworden, denn die Schuldigen und die Regierung kommen aus derselben Hindu-Familie (Sangh Parivar, eine Gruppe von Hindu-Organisationen, der auch die BJP angehört, Anm.).

dieFurche: Ging die Kongreßpartei, als sie noch an der Macht war, massiv gegen diese Art der Übergriffe vor?

Dayal: Die Schuldigen wurden freilich auch früher nur selten gefaßt. Das ist ein großer Schandfleck für dieses wunderbare Land, daß in 50 Jahren Unabhängigkeit kaum jemandem wegen seiner Verantwortung für religiös motivierte Unruhen der Prozeß gemacht wurde. Üblicherweise werden ein paar kleine Kriminelle gefaßt, denen dann die ganze Schuld zugeschoben wird. Der indische Staat hat in dieser Hinsicht versagt. Er hat kein System geschaffen, das die Täter faßt, und er hat sich nicht um die Eindämmung dieser Gewalt bemüht.

dieFurche: Richtet sich diese Gewalt vor allem gegen missionarisch ausgerichtete Christen?

Dayal: Ich spreche da nicht nur als Christ und Vertreter einer christlichen Menschenrechtsorganisation. Ich spreche als jemand, der sich mit der Gewalt zwischen den Religionsgruppen, insbesondere auch zwischen Hindus und Muslimen, beschäftigt. Die Muslime machen gerade zwölf Prozent der Bevölkerung aus, in der Mehrheit sind sie sehr arm, sie führen keine Konversionen durch. Und dennoch wird so leichthin einmal jeder Muslim verdächtigt, ein feindlicher Agent zu sein. Was für ein Skandal in unserer Demokratie, daß wir nicht einmal glauben, unseren eigenen Leuten vertrauen zu können.Vergessen wir auch nicht: Buddha wurde auf dem Subkontinent geboren. 1000 Jahre lang blühte der Buddhismus hier, dann verschwand er fast zur Gänze. Warum denn? Ich denke, wir müssen einmal die sogenannte Toleranz mancher Kreise in unserer Gesellschaft einer gründlichen Untersuchung unterziehen.

dieFurche: Die Art der Gewalt hat sich aber geändert. Im Gegensatz zu den großen Unruhen in der Vergangenheit sind heute mehr Zwischenfälle zu verzeichnen, die jeweils nur kleine Gruppen oder wenige Personen betreffen. Worauf führen Sie das zurück?

Dayal: Das hat zu tun mit den Ereignissen in den neunziger Jahren, insbesondere der Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya 1992 (durch fanatische Hindus). Das war ein kataklysmisches Ereignis, das unter anderem auch eine Veränderung in der Haltung der Muslime bewirkt hat. Sie reagieren heute nicht mehr mit Gewalt auf Gewalt, sie versuchen sich auf dem Rechtsweg zur Wehr zu setzen. Nach 1992 ist die Gewalt eine Art Untergrund geworden. Heute wird die Gesetzgebung und die Erlassung von Vorschriften vielfach auf die Ebene der Gemeinden verschoben und das trifft besonders auch die Christen. Es ist damit nämlich extrem schwierig geworden, etwa die Erlaubnis für die Errichtung einer neuen Kirche oder den Erwerb von Land für einen neuen Friedhof zu bekommen oder ein neues Seminar zu errichten. Dabei legt die indische Verfassung ausdrücklich fest, daß ich meine eigene Schule leiten kann, um meine Kultur und meine Traditionen weiterzugeben.

Doch in den Händen der BJP wird "Hindutva" (Hindutum) zu einer gewaltvollen Lehre. Ihre Begründer hatten auch keinerlei Hemmungen festzustellen, daß ihre Inspiration von Hitler kam. Es ist ein Hohn, wenn BJP-Vertreter dann sagen, es liege an den Minderheiten, der Mehrheit die Angst zu nehmen. Was ist denn das für eine Logik? Vertreter der Mehrheit verbreiten Lügen, um mich zu einem Außenseiter zu machen, und dann soll ich sie besänftigen. Seit zwei Jahrtausenden erklären wir, wer wir sind. Seit zwei Jahrtausenden führen wir einen Dialog mit Hindus. Aber mit der RSS (Nationalen Freiwilligen-Organisation, der ideologischen Mutter der BJP und aller radikalen Hindu-Organisationen, Anm.) kann es keinen Dialog geben. Kann eine vergewaltigte Frau mit ihrem Vergewaltiger in einen Dialog eintreten?

dieFurche: Der entscheidende Unterschied zwischen der Kongreßpartei und der BJP liegt doch darin, daß der Kongreß sich vieler Versäumnisse schuldig gemacht hat, vieles und auch viel Gewalt hat geschehen lassen, die BJP aber bewußt hinter der Gewalt steht. Wie weit wird sie mit dieser Strategie politisch kommen?

Dayal: Bei allen seinen Fehlern vertritt der Kongreß keine Ideologie des Hasses. Die BJP tut das. Wir müssen aber auch bedenken: Wenn es der BJP bis heute nicht gelungen ist, eine Alleinregierung zu bilden und sie, um an die Macht zu kommen, auf die Unterstützung zahlreicher Bündnispartner angewiesen ist, dann hat das nichts mit den Christen zu tun, die gerade einmal 2,5 Prozent der Bevölkerung stellen, oder mit den Muslimen. Es ist darauf zurückzuführen, daß die meisten Hindus die Ideologie der BJP nicht unterstützen. Die BJP wird nicht alleine regierungsfähig werden, dazu wird sie in diesem Land keine Mehrheit bekommen.

dieFurche: Auch nicht beim nächsten Mal?

Dayal: Nein, keine Chance. Sehen Sie sich doch dieses Land und seine Vielfalt an. Indien verabscheut die Hindutva-Ideologie der BJP und ihren Slogan "Eine Nation, ein Volk, eine Kultur". Dieses so vielfältige Land wird diese monolithische, faschistische These nicht akzeptieren. Nie.

dieFurche: Was ist dann das Schlimmste, das passieren kann?

Dayal: Es wird unter einer neuen BJP-Regierung mehr Gewalt gegen Christen, Muslime und liberal wie säkular eingestellte Personen geben. Und ich verstehe Gewalt nicht nur als physische Gewalt, sondern auch als Angriff gegen die Wahrheit, als Angriff auf die Gesetze und Bestimmungen unseres säkularen Staates, als Verweigerung von Rechten. Einen Menschen kann man nur einmal töten, aber quälen und terrorisieren kann man Minderheiten auf vielfältige Art und Weise.

Aber lange wird das nicht angehen. Die Inder verstehen die faschistische Logik der BJP-Thesen. Da sind zunächst die Christen und Muslime die Feinde, morgen aber werden es vielleicht gewisse Sekten innerhalb des Hinduismus sein, der ja eine sehr komplexe Struktur hat, mit einer Elite aus der Brahmanenkaste, die jahrtausendelang einen Gutteil der Menschen schlechter als Tiere behandelt hat.

Nein, nochmals: Unsere Analyse muß sich nicht darauf konzentrieren, warum die Kongreßpartei so verliert, sondern warum die BJP allein keine Mehrheit bekommen kann in einem Land, in dem 82 Prozent der Bewohner Hindus sind: Sie kann es nicht, weil ihre Ideologie Gift für die Mehrheit der Inder und Inderinnen ist. Frauen, Dalits (Unberührbare), Angehörige niedriger Kasten werden nie in großer Zahl die BJP wählen.

Das Gespräch führte Brigitte Voykowitsch.

ZUR PERSON Chefredakteur und Förderer des Dialogs John Dayal ist Herausgeber und Chefredakteur der Tageszeitung "Midday" (Delhi). Zugleich ist er Generalsekretär des "United Christian Forum for Human Rights" mit Sitz in der indischen Hauptstadt Neu Delhi, das unter der Leitung des Erzbischofs von Neu Delhi, Alan de steht und sich im Vorjahr besonders um die Aufklärung der Gewalttaten gegen Christen bemüht hat. Dayal ist zugleich Herausgeber von "Vishal Jagruti", einer Publikation für Minderheitenfragen, Menschenrechte und ökumenischen Dialog, sowie Direktor des "Indian Centre for Plural Heritage", das die Kulturen der Minderheiten und insbesondere der indischen Christen dokumentiert.

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