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Indira ist wieder da

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Die Wahlen in der „größten Demokratie" der Erde, dem 640-Millionen-Reich Indien, haben das von politischen Auguren vorausgesagte Ergebnis gebracht: Ohne jeden Zweifel wird die 62jährige einstige Ministerpräsidentin Indira Gandhi, die vor knapp drei Jahren von der vereinigten Opposition geschlagen worden war, ins höchste Regierungsamt zurückkehren. 1977 erntete sie nach elfjähriger Regierungszeit die Früchte ihrer ins Totalitäre entarteten Herrschsucht. Jetzt erbt sie - unter anderen Schwierigkeiten - das Problem, gegenüber muslimischen Wählern nahezu unerfüllbare Erwartungen erfüllen zu müssen.

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Die Wahlen in der „größten Demokratie" der Erde, dem 640-Millionen-Reich Indien, haben das von politischen Auguren vorausgesagte Ergebnis gebracht: Ohne jeden Zweifel wird die 62jährige einstige Ministerpräsidentin Indira Gandhi, die vor knapp drei Jahren von der vereinigten Opposition geschlagen worden war, ins höchste Regierungsamt zurückkehren. 1977 erntete sie nach elfjähriger Regierungszeit die Früchte ihrer ins Totalitäre entarteten Herrschsucht. Jetzt erbt sie - unter anderen Schwierigkeiten - das Problem, gegenüber muslimischen Wählern nahezu unerfüllbare Erwartungen erfüllen zu müssen.

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Die Botschafter der arabischen Staaten in Delhi taten schon Wochen vor der Wahl so, als ob Indira Gandhi bereits gewonnen hätte. Damit halfen sie ihr, die Wahl zu gewinnen. Arabisches Erdölgeld wird seit Jahren in den Konfliktzentren von Hindu-Majorität und Muslim-Minderheit als Stütze des mohammedanischen Selbstbewußtseins eingesetzt. Jetzt aber wurden große Beträge in Indiras Wahlkassen kanalisiert.

Die ehemalige Ministerpräsidentin zeigte sich vor den arabischen Diplomaten und vor den mohammedanischen Wählern als Schützerin des Islam in Indien. Mit ihren Wahlreden vor den mohammedanischen Gemeinden mußte sie den Namen „San-jay - Sheitan" („Satan Sanjay") auslöschen. Sohn Sanjay ist für seine Sterilisierungskampagne während ihres Ausnahmezustandes in allen Moscheen verteufelt worden.

In ihrer Angst, der Islam in Indien würde sich von ihrer neuen Rolle nicht überzeugen lassen, ritt sie im Wahlkampf die aggressive Welle, die aus der Nachbarschaft eindringt. In ihrem Wahlkreis Rae Bareilly erweckte sie vor Tausenden Mohammedanern die Erinnerung an die ge-

genseitige Schlächterei von Hindus und Mohammedanern zur Morgendämmerung der Freiheit 1947.

Die Spannung zwischen den beiden Religionsgemeinschaften ist schon während der regierungslosen Zeit der unfähigen Unionskabinette seit 1977 gewachsen. Indira Gandhi trieb sie in ihrem Entscheidungskampf für die Wiedereroberung zur Macht dem Höhepunkt zu. M. Singh, ein Sikh und Funktionär der Gandhi, fragte mich nach der Versammlung in Rai Baereilly: „Wie wird sie als Ministerpräsidentin der Spannung Herr werden, die Explosion verhindern?"

Der Bruch zwischen der neuen Union Indien und der muslimischen Welt war 1947 tief und schien irreparabel. Zwischen der weltlichen indischen Union und dem Islamstaat Pakistan lagen die Millionen in Gemetzeln Getöteten. Der Islam auf der ganzen Welt sah in Indien einen Mörderstaat. Nehru wollte die Kluft zuschütten. Er billigte den Mohammedanern den Schutz der Regierungspartei und das Schariat-Familien-recht zu.

In Indien selbst versuchte die mohammedanische Minderheit, die Wirklichkeit der Hindumehrheit hinzunehmen. Religiöse Parteien und Organisationen standen im Widerspruch zu dem Staatsgedanken des Jawaharlal Nehru. So leckten sich die Mohammedaner in ihren Ghettos und Altstädten um die verfallenen Moscheen ihre Wunden von 1947 und wählten ihre Schutzmacht, Neh-rus Kongreßpartei.

Indira Gandhi übernahm den indischen Islam als Schutzbefohlene und wahlpolitisch verläßliche Minorität. Flammten Kämpfe zwischen Hindus und Mohammedanern auf, fanden die Klagen der Hindus in der Regierungspartei wenig Verständnis. Er-

folgreicher wandten die Mohammedaner sich an Nehru und Indira um Schutz und Förderung. Obwohl Indiens Muslime sich als Pakistan-Diaspora fühlen, hielt ihre Beziehung zu Indira der Belastungsprobe des Sieges Indiens über Pakistan in Bangladesh stand. Die autoritäre Politik störte nur wenig die durchaus nicht antiautoritären Mohammedaner.

Erst Sanjay Gandhi verstand es fast über Nacht, die Schutzbefohlenen in Jehad-Stimmung gegen die Schutzherrin Indira zu bringen. Der Ausnahmezustand scheiterte an der radikalen Familienplanung des Sohnes: Der Indien-Islam besiegelte Frau Gandhis Niederlage vom 16. März 1977.

Die heiße Luft des radikalisierten Islam hat die indische Minderheit gründlich verändert. Der Drang, die „verlorenen Gebiete" wiederzugewinnen, erfaßte nun die Minderheit, die sich im Innern immer als enterbte Nachfolger der Herrschaftsschicht

im Königreich der Mogulen empfunden hat. Hatten die Mohammedaner sich nach 1947 in ihre wirtschaftliche Rückständigkeit und in den Konservativismus des Schariat-Familien-rechtes zurückgezogen, so verwandelten sie nun ihre Enklaven in Konzentrationspunkte der Unzufriedenheit und Brutstätten für immer neue Forderungen an die Adresse der Hindu-Majorität.

Shahi-Imam Sayed Bukhari, geistiger Herr von Jama Masjid, der Hauptmoschee in Delhi, hatte während Indiras Ausnahmezustand erfolgreich zum Kampf gegen Sanjays Sterilisierungsfeldzug gerufen. Die Nachfolgeregierungen belohnten nach seiner Ansicht seine Leistung zuwenig. Auf dem Weg über Bahu-guna, einem Vertrauten der UdSSR und patentierten Freund der arabischen Staaten, wandte der Imam sich Indira Gandhi zu. Er wollte Wahlhilfe

leisten. Sie sollte dafür mit Privilegien für die Mohammedaner zahlen.

Der Preis war hoch. Sie mußte Ba-huguna in ihre Partei aufnehmen: den künftigen Rivalen! Einen offenen Brief an den Imam mußte sie schreiben und bitten, daß der Herr des indischen Islam ihr die Vergehen gegen seine Religion und gegen seine Gemeinde vergebe! Sie schrieb den Brief, ließ aber die Hauptforderung des bärtigen Machthabers von Old Delhi unbeantwortet: Ernennung eines Mohammedaners, dessen Name vom Imam bestimmt würde, zum Minister für Minderheitsangelegenheiten. (Das hätte sofort den Rückschlag aus der Hindu-Majorität ausgelöst.)

Die Botschafter der arabischen Staaten kennen die Schwierigkeiten und operieren auf verschiedenen Wirkungsfeldern. Schwerpunkt vor allem der Saudi-Arabier ist Indira Gandhi selbst, Schwerpunkt der Libyer ist Indiras moskautreuer Rivale in der eigenen Partei, Bahuguna. Alle streben sie aber die Stärkung des Machtbewußtseins der Muslime gegenüber den Hindus und damit des arabischen Brückenpfeilers in Indien an.

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