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Der Sieger von Lahore

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Scheich Mujibur Rahman, Ministerpräsident von Bangladesch, war aus dem dunstigen Dakka gekommen. Die Boeing des algerischen Präsidenten Boumedienne hatte ihn zur Konlerenz der islamitischen Staaten nach Pakistan gebracht. Man hatte keine pakistanische Maschine geschickt, um trübe Erinnerungen an seine Reise vor drei Jahren als pakistanischer Gefangener zu vermeiden. Auf dem Flugfeld des frostigen Lahore empfingen ihn alle Großen der islamitischen Konferenz: Könige, Präsidenten, Generäle und Arafat von der Palästinensischen Befreiungsfront. Bangladeschs „Banga-bundhu“ (Vater des Vaterlandes der, Ostbengalen) umarmte zuerst Zulfi-kar Bhutto, den Präsidenten von Pakistan. Dann schüttelte er herzlich und lange dem Chef der pakistanischen Streitkräfte, Tikka Khan, die Hände. Das war vor der Eröffnung der Konferenz in Lahore, am 24. Februar 1974.

Im Jänner 1972, nach seiner Rückkehr aus pakistanischer Gefangenschaft in das befreite Bangladesch, hatte der Scheich Bhutto der Konspiration zum Völkermord an den Ostbengalen beschuldigt. General Tikka Khan stand als Oberbefehlshaber der (west)pakistanischen Truppen und als Standreohtsexekutor an der ersten Stelle der Kriegsverbrecherliste von Bangladesch, als verantwortlich für die Ermordung von zehn Millionen Ostbengalen.

Zwischen den beiden Ereignissen liegen zwei Jahre und sechs Wochen, der totale Zusammenbruch der Wirtschaft des befreiten Landes, die steile Talfahrt der Wirtschaft des Befreiers, Indien, und der Triumph der arabischen Erdölbesitzer. Das ärmste aller islamitischen Länder will am Segen der arabischen Erdölreichen teilhaben. Die Reichen und Richtungweisenden des arabischen Lagers brauchen den ostbengalischen Freiheitshelden, auf daß die Einheit des Islam die politische Basis der neuen Erdöimacht werde. Die Großen in Lahore empfingen den Führer des ostbengalischen Sezessionismus wie einen Ehrengast — oder wie den verlorenen Sohn.

Die Sieger und die Befreier von Bangladesch sind die Übergangenen von Lahore. Indiens Hoffnungen auf Brüderlichkeit mit den islamitischen, besonders den arabischen Ländern sind wieder geplatzt. Indiens Rolle als dominierende Kraft des Subkontinents ist wieder in Frage gestellt. Vor jeder islamitischen Konferenz hatte Indien um die Einladung ersucht. Achtzig Millionen Mohammedaner auf dem Boden der indischen Union waren die Legitimation. Bei jeder Konferenz war Indien abgewiesen worden. 1974 war aber der zur Routine gewordene Vorgang besonders verletzend. Diese Konferenz wurde nach Pakistan einberufen, auf das Territorium des Feindes und Unterlegenen von 1971.

Gestärkt von dem vereinten Islam, bot Bhutto dem seit der Sezession verelendeten Bangladesch den Frieden und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen an. Der verlorene Sohn nahm dankbar an und niemand spricht mehr von Kriegsverbrecherprozessen gegen die Schuldigen am Völkermord in Ostbengalen. Doch die vereinigende Kraft des Islam, nicht die subkontinentale Bedeutung Indiens brachte das Friedenswerk zustande.

1971 glaubte Indien, als Bundesgenosse der UdSSR mit dem Sieg über Pakistan die führende Rolle auf dem Subkontinent errungen zu haben. Pakistan ließ sich zögernd in die Richtung eines subkontinentalen Friedens mit Indien als dominierender Kraft und der UdSSR als vermittelnder Kraft drängen. Die überraschende Aktion Bhuttos, der Friedensschluß zwischen dem pakistanischen Gastgeber und dem Gast aus Bangladesch in Lahore, bringt Indien sicher, die UdSSR wahrscheinlich um ihre Rollen auf dem Subkontinent. An den kommenden Drei-Staaten-Gesprächen auf dem Subkontinent wird Pakistan nicht als Unterlegener des befreiten Bangladesch und des Befreiers Indien teilnehmen, sondern als islamitischer Bruderstaat Bangladeschs, ebenbürtig dem krisenzerrütteten Indien. Mit dem Islam hinter sich hat Bhutto das Ergebnis von 1971 aufgehoben.

Die Besiegten von Bangladesch waren die Gewinner von Lahore. Seit der Trennung des Subkontinents, 1947, sucht Pakistan die islamitischen Staaten als Hilfe im Konflikt mit Indien zu gewinnen. Jahr um Jahr lud Pakistan das Sekretariat der islamitischen Staaten ein, die Weltkonferenz in einer pakistanischen Stadt abzuhalten. Die Unterstützung der islamitischen Staaten kam selbst in den schwersten Krisenstunden Pakistans nur sehr verhemmt. Alle Einladungen wurden überhört. Nach dem Krieg in Bangladesch stand Pakistan überall weit hinter Indien. Kein islamitischer Staat, kein arabischer Staat wollte Indien verstimmen.

Doch Bhutto nützte die Zeit nach der Niederlage aus. Er verwandelte den Abfall des mehr als 1000 Kilometer entfernten Ostpakistan zum Vorteil des mehr homogen gewordenen Staates. Durch Interventionen in Moskau und vorsichtige Annäherung an die arabischen Staaten isolierte er die Irredenta in Belutschistan und in Pathunien. Im außenpolitischen Freundschaftssystem verlagerte er vorsichtig den Akzent von der Freundschaft mit den USA auf die Freundschaft mit China. Die Armee des Tikka Khan wurde Bhuttos verläßlicher Verbündeter. Das Resultat ist nicht sehr originell: Ein Rechtsregime mit Armeeunterstützung und freundschaftlichen Beziehungen zu einer kommunistischen Großmacht. Solche Systeme fahren mit den Großmächten gut und finden im asiatischen Nationalismus, rechts und links, ihre Freunde.

Die arabischen Erdölbesitzer haben in Lahore verwirklicht, was bisher politische Fiktion oder romantische Illusion gewesen war: einen Block von Staaten Asiens und Afrikas. Sie selbst sind der Kern, das Erdöl ist das Bindemittel im neuen Gefüge der arabischen, Staaten, um.den sich ein Satellitenkreis der ölhungrigen und hilfsbedürftigen Staaten der dritten Welt bildet. Das neue Machtzentrum hat große Anziehungskraft und die Voraussetzungen für eine große Unabhängigkeit. Geschickt spielen die Erdölreichen mit den vielen Möglichkeiten ihres Reichtums für die Ärmeren der islamitischen und der dritten Welt, ohne irgendwo Hilfe zu leisten und konkrete Maßnahmen zu versprechen.

In Lahore wurde ein Stufensystem der Privilegien vorgeschlagen: die ersten sind die islamitischen Staaten, nach ihnen kommen die anderen Staaten der dritten Welt, vorausgesetzt, sie verhalten sich richtig. Niemand verurteilt jetzt die Hilfe mit politischen Bedingungen angesichts nackter Bindungen von Erdöllieferungen und vor allem von Erdölpreisen an politische Forderungen. Und selbst die Brüskierten, wie Indien, können es sich gegenüber dem neuen Machtzentrum nicht leisten, was gegenüber den alten, den industriellen Machtgruppen zur guten Gewohnheit geworden ist.

Das arabische Erdöl und die islamitische Übereinstimmung verleihen dem neuen Block große Unabhängigkeit. Die. Diplomaten aller Großmächte in Südasien konnten sich nach Lahore nicht beruhigen. Die Vertreter der UdSSR und die Vertreter der westlichen Mächte waren unvorbereitet und erstaunt. 1973 hörte ich in Dakka klagen, daß Indien und die UdSSR den befreiten Staat in harten Zangengriff genommen hätten. Man sagt dort, die Inder bereicherten sich und die Sowjets schützten ihren Bundesgenossen, nämlich Indien.

In diesem Jahr, knapp vor der Reise des Scheichs nach Pakistan, spürte ich in Bangladesch die Erleichterung und die Hoffnung. Der Scheich will sein säkulares Bangladesch wieder in die Arme des Weltislam zurückführen; das erfüllte die erstarkenden Gruppen des harten Tslam mit Freude. Der Scheich will in Pakistan einen Weg aus der sowjetisch-indischen Zange suchen. Das brachte den wachsenden Gruppen der Anti-Indien-Politik Erleichterung. Wenn dieser Weg aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen in absehbarer Zeit von Moskau nicht weit wegführen kann, so stört schon das Suchen Breschnews Südasienpläne. Die westlichen Größmächte müssen mit einer neuen und unabhängigen Machtgruppe in Asien rechnen. Der UdSSR und Peking ist ein neuer Rivale im Machtspiel in und um Asien entstanden.

Nirgends ist man sich dieser Unabhängigkeit so bewußt wie in den wieder unruhig werdenden Islam-Minoritäten der asiatischen Staaten. In den Staaten der mohammedanischen Führung hörte ich — wie in Bangladesch —: „Die befreiende und vereinende Kraft des Islam ...“ Und durch Fernsehen und Radio wurden Teile von Sekou Toures Botschaft an die Konferenz von Lahore gespielt; der Inhalt: „Mohammedaner aller Länder, vereinigt euch.“ In Lahore folgte der Botschaft die einstimmige Annahme der Maximalforderungen an Israel.

Natürlich sieht man auch Bruchstellen und Zukunftsprobleme. Sadat fuhr nach Lahore zu Indira Gandhi in Delhi. Sein Verhalten verriet Beunruhigung über die intransigente Führung des islamitischen Blocks auf der Basis des Erdölreichtums einiger. Und die Zukunft der islamitischen Macht könnte von den Entscheidungen der Erdölländer über ihre Hilfe für den Pauperus des islamitischen Lagers und der dritten Welt abhängen.

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