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Die neue Zeit im unabhängigen Indien

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Der künftigen Entwicklung Indiens wendet sich heute in Europa ein Interesse von einer Regsamkeit zu, wie es früher außerhalb Englands nicht in solcher Allgemeinheit und Aufgeschlossenheit bestanden hat, Was früher als eine unter Führung der ersten Seemacht der Welt unabänderliche Gegebenheit angesehen wurde, ist nun vor der Menschheit durch den Rückzug Englands aus diesem gewaltigen Bereich in eine Bewegung geraten, die in den verschiedensten Bereichen menschlicher Aktivität noch unabmeßbare Entwicklungen eröffnet. Wird die neue Staatswerdung auch religionsgeschichtlich eine solche Zäsur gegenüber der Vergangenheit bedeuten wie politisch?

Die aus Indien kommenden Nachrichten über das Verhältnis von Staat und Kirche in den. neuen Staaten widersprechen sich häufig. Bald hört man von Religionsverfolgung, von Schwierigkeiten mit 'den Staatsbehörden, dann wieder von größerer Freiheit und dem Fortschritt der Missionen und bestem Einvernehmen der kirchlichen mit den neuen weltlichen Behörden. Die Erklärung liegt nahe. Das heutige Indien zerfällt zwar in zwei große Staatsgruppen: Pakistan und Hindustan, von denen jede innerhalb ihrer Grenzen eine Menge kleiner Staaten mit eigener Regierung umschließt. Diese Regierungen sind recht verschiedenartig eingestellt und nicht wenige sind intolerant gegen jede Religion, die anders ist als die bei ihnen heimische. Sie richten sich gewöhnlich nach der jeweiligen Einstellung ihrer Radschas. So konnten zum Beispiel im Staate Udaipur die Missionare nie die Erlaubnis bekommen, eine Station oder Wohnung zu bauen, obwohl im ganzen Gebiet über 10.000 katholische Christen zerstreut wohnten. Nur viermal im Jahre erhielt ein Priester die Erlaubnis, die Christen zu besuchen; dabei war die Aufenthaltsgenehmigung nur sehr kurzfristig. Der Priester durfte nicht länger als 48 Stunden im Lande bleiben.

Die neue Zentralregierung hat in diesem Staate vor kurzem eine günstige Wendung gebracht. Ein Missionar, mit dem ich in Indien mehrere Jahre zusammen tätig war, schrieb mir vor kurzem: „Durch eine Verordnung von Delhi am 1. Jänner 1948 verloren vierzehn Kleinstaaten ihre Unabhängigkeit, darunter auch unser Udaipur und auch verschiedene andere, deren Radschas bisher sehr unduldsam gegen die Mission waren. Diese kleinen Machthaber, die es nicht zuließen, daß die Mission Grundbesitz für Schulen, Krankenhäuser und Kirchen erwarb, sind jetzt verschwunden. Ende Dezember 1947 rief Mr. Sadar Patal, der Vizepräsident vom höchsten Rat in Delhi, die Vertreter der vierzehn Staaten nach Nagpur zusammen und gab ihnen folgende Regierungserklärung bekannt: „Da in mehreren kleinen Staaten fremde Reisende das Volk in Aufruhr brachten und die Autoritäten der kleinen Staaten nicht imstande sind, Ruhe und Frieden in ihrem Lande herzustellen, so sieht sich die Zentralregierung in Delhi gezwungen, dieRadschasumAbdankung zu ersuchen. Nach Übergabe der Macht an die Zentralregierung in Delhi wurde überall für Ruhe und Ordnung gesorgt und der Wohlstand und Fortschritt auch in diesen kleinen Staaten gesichert. So wurden also vierzehn von den vielen kleinen Staaten dem großen Hindustan einverleibt, und nun gelten auch für diese Gebiete die allgemeinen Gesetze, welche die Freiheit der Gewissen und Religionen garantieren. Es wäre zu wünschen, daß auch noch die übrigen kleinen Staaten allmählich beseitigt werden, dann wird mehr Einheit und Ordnung in Indien herrschen. In Udaipur hat sich bereits ein Missionar niedergelassen, um die 10.000 dort lebenden Christen zu betreuen. Auch in den anderen jetzt befreiten Staaten wünscht man Missionsschulen und Spitäler. Die Bekehrungen steigen jetzt zusehends. Hätten wir mehr Missionare, um dem Rufe folgen zu können! Die neue Zentralregierung ist offenbar noch echt demokratisch eingestellt und gewährt volle Religions- und Gewissensfreiheit. Ja, und man kann sagen, daß sie die katholische Mission, deren Schulen und karitative Einrichtungen gerne sieht.“

Der Austausch von diplomatischen Vertretern zwischen dem Heiligen Stuhle und der neuen Regierung von Hindustan ist ein deutlicher Beweis für den guten Willen der Zentralregierung in Delhi.

Am 12. August überreichte der neuernannte erste apostolische Internuntius Msgr. J. Kier- kels sein Beglaubigungsschreiben in Delhi an Sir Rajagopalachari, Generalgouverneur von Indien (Hindustan). Mit diesem Akte ist Hindustan offiziell mit dem Heiligen Stuhl in diplomatische Verbindung getreten; ein historisches Ereignis von weit- tragender Bedeutung für den ganzen Fernen Osten. Die Zeremonie fand im großen Regierungsgebäude in Delhi, der Hauptstadt von Hindustan, statt. Der Internuntius war in Begleitung des Erzbischofs von Agra und Simla und mehreren hohen kirchlichen Würdenträgern erschienen. Er wurde im Festsaale des Regierungsgebäudes vom Generalgouverneur von Hindustan außerordentlich freundlich begrüßt. Der erste offizielle Akt des Internuntius war ein Pontifikalamt in der Kathedrale zu Delhi am 15. August, dem Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung von Indien.

Msgr. J. Kierkels war bereits 17 Jahre apostolischer Delegat von Indien und hatte seine Residenz in Bangalore im Staate Mysore im südlichen Teile von Indien. Mit der Errichtung der Internuntiatur wurde die Residenz des päpstlichen Vertreters nach Delhi als der Hauptstadt Indiens verlegt. Sein Abschied von Bangalore wurde zu einer grandiosen Sympathiekundgebung, an .der die gesamte Bevölkerung teilnahm und zu der an der Spitze der Regierung und ihrer Behörden der Premierminister des Staates Mysore,

Arcot Ramaswami, erschienen war. Die Bedeutung dieses Ereignisses ist um so größer, als Mysore ein ausgesprochen mohammedanischer Staat ist. In den bei dieser Abschiedsfeier gehaltenen Reden wurde immer wieder der Austausch von diplomatischen Vertretern zwischen Indien und dem Heiligen Stuhle als ein historischer Akt von großer Tragweite gefeiert. Der Heilige Stuhl hat sich die Sympathie aller indischen Völker durch seine unentwegte Anwaltschaft für das Recht, die Menschlichkeit und Gleichberechtigung aller Völker erworben. Der Internuntius in der Hauptstadt Indiens erscheint deshalb nicht nur für die acht Millionen Christen, von denen vier Millionen Katholiken sind, sondern für alle rechtdenkenden Menschen als ein Garant für die Wahrung der Menschenrechte, besonders der Gewissens- und Religionsfreiheit.

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