6664523-1960_25_07.jpg
Digital In Arbeit

Indische Opposition

Werbung
Werbung
Werbung

Man ist unzufrieden mit Nehru, nicht nur im Westen, auch in Indien machen sich alte Freunde des Premierministers ernsthafte Gedanken, ob er sich nicht zu weit nach links abdrängen ließ. Und sie haben einigen Grund dazu.

Das ganze Leben des Staates wird mehr und mehr von den Fünfjahrplänen der Planungskommission beherrscht, die sich allmählich in die Rolle eines Überministeriums hineingespielt hat und nicht einmal mehr dem Parlament Rechenschaft schuldet. Durch Verfassungsänderungen können jetzt zudem bereits Enteignungen vorgenommen werden, bei denen ausschließlich der Staat die Entschädigung festsetzt. Eine Berufung ist praktisch unmöglich. Dazu kommt die neue Landwirtschaftsresolution (wir haben bereits darüber berichtet), die konsequent auf eine Kollektivierung hinarbeitet und den indischen Bauern praktisch zum Taglöhner auf dem eigenen Felde erniedrigen wird.

So waren es auch vor allem die Bauern, die am 4. Juni 1959 aus ganz Indien nach Madras gekommen waren und auf Abwehrmaßnahmen drängten. Dazu kamen die kleinen Lebensmittelhändler, denen eine gleiche verstaatlichte Zukunft winkt, und alle, die mit der herrschenden Steuerpolitik, die fast jede Privatinitiative hemmt, unzufrieden waren. Am 1. August 1959 war es schließlich so weit. Professor R a n g a ging als Führer der neugegründeten demokratischen Svatantra Party, in die Opposition, die Nehru in besseren Jahren ehrlich gewünscht hatte, die ihm jetzt aber sichtlich ungelegen kam, und zwar aus den verschiedensten Gründen.

Einmal war es ausgerechnet Professor Ranga, der den Widerstand organisierte. Jahrzehntelang hatte er schon eine bedeutende Rolle unter den Bauern gespielt. Jetzt gab er seinen Posten als Sekretär der Kongreßpartei im Parlament auf, um die Leitung der neuen Partei zu übernehmen. Ranga war schon immer ein scharfer Gegner des Kommunismus gewesen und hat seit Jahren gegen die Sowjetmethoden der Fünfjahrpläne protestiert. Er hatte gute Freunde in Ungarn und ist einer der wenigen in Indien, die immer wieder öffentlich nach gewissen Unterdrückungsmanövern in Osteuropa fragen.

Neben ihm steht der 80jährige Rajagopala-chari, der der neuen Partei sofort die nötige Popularität verschaffte. Ehemaliger Generalgouverneur und Innenminister, führendes Mitglied der Freiheitsbewegung und guter Freund Gandhis, dessen Sohn seine Tochter heiratete, war Rajagopalachari in letzter Zeit wiederholt Ministerpräsident von Madras. In Indien kennt ihn jeder. Daß er jetzt zur Svatantra übergewechselt ist, ist nach dem Urteil seines ehemaligen Freundes Nehru ein Beweis dafür, daß der große alte Mann sein ausgeglichenes Urteil und Verantwortungsgefühl verloren habe. Zum neuen Führungsgremium gehören ferner K. M. Munshi, seit 1930 Anhänger Gandhi, seit 57 Jahren Mitglied der Kongreßpartei, und M. R. M a s a n i, ein bekannter Parsi aus Bombay, der jetzt unabhängiges ParlamentsrmV mitglied ist.

So hatte die Svatantra, die bereits im April 1960 fast 400.000 eingeschriebene Mitglieder zählte, von Anfang an einen guten Start. Auch die Presse stellte die neue Partei, die den Trend zur Sozialisierung scharf verurteilt, sehr wohlwollend dem Publikum vor. Nehru selbst, der meist in seinem Urteil äußerst reserviert ist, reagierte ungemein scharf. Wahrscheinlich hat der alte Staatsmann doch nicht vermutet, daß so viele seiner Freunde letztlich doch so grundverschiedene Ansichten hatten. Öffentlich behauptete er, die neue Partei werde von den Kapitalisten unterstützt, und im übrigen zeigte er nichts als Verachtung für dieses „Sammelbecken der Reaktion“.

Sei ihm nun, wie ihm sei! Nehru hat jedenfalls durch seine scharfe Reaktion die junge Bewegung in ganz Indien bekanntgemacht!

Persönlich waren wir natürlich auch interessiert, wie die neue Partei sich zur Religionsfreiheit stellen würde, die in der Praxis offenbar schwerer durchzuführen ist. So stellten wir Herrn Masani, dem Generalsekretär der Partei, einige Fragen, zumal sich ein Mitglied der Svatantra unlängst energisch im Parlament für die „anticonversionbill“ im Parlament eingesetzt hatte, die von der Regierung inzwischen fallengelassen wurde. Masanis Antwort war klar: „Ich bedaure, daß es geschah, und ich bin der Ansicht, daß dieser Mann nicht zu uns gehört. Andere denken genau so wie ich.“ Wir hatten auch noch eine zweite Frage, die nach der Geburtenkontrolle. An sich hätte man von einer Partei, die die positiven religiösen Werte Indiens zu bewahren sucht, die gleiche Haltung erwarten dürfen, die Gandhi einst vertrat. Das heikle Thema wird aber im Programm gar nicht erwähnt, und so gehört es wohl zu den Punkten, in denen jedes Mitglied frei ist. Persönlich ist Masani für eine Geburtenkontrolle. Er hat das uns gegenüber offen zugegeben, geht aber wie viele, die die Geburtenkontrolle verteidigen, einer Diskussion darüber aus dem Wege und betont lediglich, daß er schon vor 20 Jahren seinen Standpunkt festgelegt habe. Aber wir fragen weiter: „Ist die Propaganda für solche Dinge denn nun wirklich eine Sache der Regierung? Sie wisseivdoeh selbst, wie -man vowaoffi-zieller Seite durch Ärzte Und Pflegerinnen wie durch Kinopropaganda fast einen moralischen Druck auf die Bevölkerung ausübt!“ Jetzt wird Masani ernst und meint, daß nach den Prinzipien seiner Partei eine solche Bewegung keine Regierungsangelegenheit sein könne, sondern der freien Initiative überlassen werden müsse. Wenn in Indien eine Partei heute den Mut aufbrächte, auch nur eine solche Ansicht öffentlich zu vertreten, wäre schon manches gewonnen.

Die neue Partei tritt ferner für das Elternrecht ein und betont daher in ihrem Programm ausdrücklich: Die Partei ist der Auffassung, daß jeder Bürger das Grundrecht habe, seine Kinder in einer freien Atmosphäre zu erziehen. Offizielle Richtlinien sollen ihn nicht daran hindern. Die Partei wird sich bemühen, dafür alle Möglichkeiten bereitzustellen ohne jede Diskriminierung durch Sperrung von Regierungshilfen oder besondere Beschränkungen, wenn sich eine Erziehung auf religiöse Überzeugungen stützen will. Die Svatantra wird ein freies Erziehungssystem ermutigen, das der Regierung teure Gebäude erspart und außerdem für eine gesunde Konkurrenz sorgt.

Im allgemeinen herrscht ein gewisser freiheitlich-konservativer Zug in dieser neuen Partei. Man nennt sich bewußt die „Partei der Freiheit“ und will seinen Anhängern nur so viele Bindungen auflegen wie nötig. Umgekehrt will man aber auch die sittlichen und religiösen Werte Indiens sichern, während Nehru der Religion keinerlei Bedeutung im praktischen Leben zumißt. Sie gehört nach ihm der Vergangenheit an.

Im übrigen hat die Svatantra alles, was sie zu einer echten Volkspartei befähigen könnte. In Indien herrscht noch viel politische Unsicherheit. 40 Prozent mögen vielleicht für den Kongreß stimmen, aber auch in den eigenen Reihen stehen viele der jüngsten Entwicklung skeptisch gegenüber. Unter ihnen und unter dem Drittel der Bevölkerung, das politisch und unentschieden ist, hat die Svatantra gute Aussichten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung