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Ein friedloser Kontinent ruft laut nach Frieden

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Indien ist gewiß eine wichtige Stimme in der Dritten Welt. Und wenige erstaunte es, daß vor einem halben Jahr bei der Block- freien-Konferenz in Neu Delhi über hundert höchste Staatsmänner mit Indira Gandhi voll übereinstimmten, als sie im Namen des Südens den Norden um mehr Frieden und Gerechtigkeit anging.

Uber die Art dieses Friedens variierten die blockfreien Länder zwar in ihrer Ansicht. Auch das verwundert nicht, wenn man zusieht, wie sie selbst ihre liebe Mühe und Not mit politischer Ruhe und Ordnung haben. Und sie alle — Indien an erster Stelle — dürfen daher auch nicht murren, wenn der Ruf nach einem friedlichen Treffen aller Weltführer anläßlich der kommenden UNO-Gene- ralversammlung in New York wenig Gehör fand.

Das Mächtespiel, das die Großen dieser Welt vom Gang dorthin abhält, verhindert aber auch, daß sich die Kleinen und Abhängigen ehrlich um eine Völkerverständigung zu bemühen wagen.

Diese exportierten Spannungen der Mächtigen — ob rein ideologisch oder um der Hegemonie willen — lassen sich am Beispiel der aktuellen Lage auf dem indischen Subkontinent klar belegen:

Indien als das größte südasiatische Land gibt sich demokratisch, und ein gewisser innerer Kräfteausgleich ist auch kaum wegzuleugnen. In seinem Osten liegt Bangladesh, von einem viel liberaleren Geist beseelt als die indische Politik, jedoch durch Kriegswirren und Armut den Fängen von ein paar Generälen ausgesetzt. Strategisch nur mäßig interessant, haben trotzdem zumindest die Chinesen am Golf von Bengalen immer Gefallen gehabt. Volkswirtschaftlich (Arbeiterexport) und religiös (Islam) sind seit jüngstem auch die Araber hier am Werk.

Sri Lanka im Süden Indiens hat eben eine Welle von blutiger Gewalt erlebt, die Regierung gibt den Kommunisten die Schuld, die Minderheiten beklagen sich über den Ausverkauf der Insel an den Westen. Auch hier sind sozioöko-

nomische Mißverhältnisse von Bedeutung, ausgenützt werden sie erwiesenermaßen durch die Weltstrategen USA und UdSSR, die diese Bastion im indischen Ozean kontrollieren möchten.

Im Westen Indiens liegt Pakistan, gerade jetzt von internen Stürmen erschüttert. Es ist Frontstaat gegen die Sowjets in Afghanistan, von Reagan und Frau Thatcher gehegt und gepflegt. „Ihnen macht es nichts aus, für die 40 Millionen Afghanen 90 Millio-

nen Pakistaner zu opfern“, kommentieren die pakistanischen Oppositionellen die Lage.

Schließlich bleibt Nepal, das Königreich am Himalaya, von allen Ausländern mehr oder weniger eigennützig mit Entwicklungsgeldern überhäuft. Die Chinesen sind wiederum die tüchtigsten Helfer. Und auch die kleine Monarchie ist in ein westliches und ein sozialistisches Lager gespalten. Die Westlichen konservieren jahrhundertealte Rückstände, die Studenten revoltieren.

Dazu kommt, daß alle diese Spannungen in den südasiatischen Ländern grenzübergrei- fend sind. Die Engländer haben mit ihrer Grenzziehung hier wie dort Völker durchschnitten, und wenn sich nun die Punjabis in Pakistan angegriffen fühlen, kommen die indischen Nachbarn zu Hilfe und umgekehrt; wenn Dac- cas Generäle die Schraube anzie- hen, schlagen die indischen Bengalen Krach und umgekehrt; und als Colpmbo gegen die tamilische Minderheit losging, protestierte ganz Süd-Indien.

So einfach und doch so kompliziert ist es in dieser Dritten Welt, von wo im März in Neu Delhi einstimmig der Ruf nach Abrüstung und Entspannung erging. Indien kommt als Wort- und Anführer der Blockfreien nach New York, ist indessen selbst vom Tauziehen zwischen den Machtblöcken betroffen. Seine Moskau-Hörigkeit

ist bekannt, wenn sie auch im Abklingen ist. Und doch war sie nie ganz hausgemacht:

Das enge Verhältnis zwischen Pakistan und Amerika hat bewirkt, daß Delhi im Konfliktfall — im Krieg mit China, gegen Pakistan und in Bangladesh — immer einsam dastand. Die Waffen aber kamen aus dem Kreml. Zum Dank gab es Treueschwüre.

Mit den nunmehrigen wirtschaftlichen Kursänderungen und dem Gang nach „Canossa“, zu US-Präsident Reagan nach Washington im Sommer 1982, wollte sich Frau Gandhi glaubwürdiger machen, auch China gegenüber. Nun brennt es plötzlich ringsherum, in Sri Lanka, in Pakistan, bald wieder in Bangladesh, schon länger in Afghanistan, und West wie Ost wollen klare Stellungnahmen.

Mit diplomatischen Katz-und- Mausspielen will sich Delhi aus der Schlinge ziehen, die anderen — Sri Lankas Jayewardene, Pakistans Zia, Ershad von Bangladesh und Afghanistans Babrak Karmai — haben es leichter, sie haben sich bekannt und ihre Nationalisten müssen schweigen.

Indiens Unsicherheit führt zudem zu Infiltrationen von rechts und links und oben und unten, immer ein wenig ferngelenkt von den Großen. Und wenn Assam sowie Punjab und die vielen anderen „Kommunalisten“ Indira Gandhi zu Fall bringen, dann ginge das Wettrennen erst recht los. Heute herrscht wenigstens ein Gleichgewicht, wenn auch auf wackeligen Beinen.

Und doch dürfte die indische Premierministerin in New York auf treten und zu Frieden und Entspannung aufrufen. Zu Hause ist sie der Bösewicht, im UNO- Hauptquartier darf sie den anderen die Schuld geben. Dennoch ist es eine Tatsache: Der indische Subkontinent, Südasien brennt, wer immer die Verantwortung dafür trägt. Auch Nahost und Lateinamerika stehen in Flammen, die UNO darf aber auch den Orient nicht vergessen. Hier leben mehr Menschen, und das Menschenleben muß überall gleich viel zählen.

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