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Ungeduldige Geier

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Im Schatten ihrer Gipfelharmonie präparieren beide Großmächte, die USA und die UdSSR, ihre Klienten in Mittel- und in Südasien für die nächste Runde im regionalen Nervenkrieg. Es geht jetzt um Pakistan: Kann der Rumpf Ruhe und Sicherheit innerhalb seines alten Verbündetenkreises der USA, Chinas und Irans finden oder wird er in die Arme des sowjetischen Freundschaftsbündnissystems getrieben?

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Im Schatten ihrer Gipfelharmonie präparieren beide Großmächte, die USA und die UdSSR, ihre Klienten in Mittel- und in Südasien für die nächste Runde im regionalen Nervenkrieg. Es geht jetzt um Pakistan: Kann der Rumpf Ruhe und Sicherheit innerhalb seines alten Verbündetenkreises der USA, Chinas und Irans finden oder wird er in die Arme des sowjetischen Freundschaftsbündnissystems getrieben?

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Im Rumpf-Pakistan herrscht eine machiavellistische Allianz des Demagogen, Präsident Bhutto, mit den feuerfresserischen Militärs; beide tragen Schuld an der Katastrophe von Bangladesh. Das Land befindet sich im Zustand permanenter Krise. Stammesverbände und Banden kämpfen ihre traditionellen Scharmützel als „nationalen Freiheitskampf“ gegen die Zentralmacht. Die politischen Bindemittel sind hauchdünn geworden. Washington päppelt als Schutz der Einheit Pakistans die Armee des benachbarten Iran zur größten in West- und Mittelasien auf. Moskau dressiert seine Geier in den pakistanischen Randterritorien und in der irakischen und afghanischen Nachbarschaft Pakistans auf den Nervenkrieg gegen den vom Zerfall bedrohten Staat.

Aus den amerikanisch-sowjetischen Gesprächen schien dieser Teil Asiens bis jetzt ausgeklammert zu sein. Nunmehr beeilen sich beide

Gesprächspartner und auch China, eine Lösung des Mittel- und Süd-asdenproblems, dessen Zentrum Pakistan geworden ist, zu erzwingen. Von hier wollen die drei Weltmächte eine neue Machtsystematasierung in Asien aufrollen.

Für Breschjnew ist diese Situation der Ausgangspunkt für sein „asiatisches Sicherheitssystem“ der Isolierung Chinas. Nixon will hier die ersten Erfolge seiner neuen Politik der Machterweiterung durch stellvertretende Regierungen und Armeen erringen. Und China wiederholt anläßlich dieser Situation unausgesetzt Tschu-En-lais Prophezeiung: die Aufteilung Pakistans wird der Beginn einer Kette von Unruhen und Kriegen in Südasien sein. Die Gründung eines dritten Staates auf dem indischen Subkontinent wird die gesamte Region in einen Brennpunkt der imperialistischen Auseinandersetzungen verwandeln.

Tatsächlich hat mit der Gründung von Bangladesh der Staat Pakistan — oder was von ihm geblieben ist — seine Existenzberechtigung von 1947 verloren. Das Grundkonzept der Teilung des britischen Kolonialreiches auf dem indischen Subkontinent ist gesprengt worden. Pakistan ist nicht mehr der Staat des Islam auf dem

Subkontinent — gegenüber der indischen Republik mit Hindu-Majorität. Bei der Trennung des Subkontinents 1947 waren Millionen Hindus im mohammedanischen Pakistan und Millionen Mohammedaner im hin-duistischen Indien der religiösen

„Flurbereinigung“ zum Opfer gefallen. Die Flurbereinigung hat kaum 25 Jahre lang Gültigkeit gehabt. Sie wurde ungültig mit dem Entstehen Bangladeshis unter Scheich Mujibur Rahman. Selbst im laizistischen Indien zeigen sich die Folgen in einem verstärkten Haß zwischen Hindus und Mohammedanern. In Pakistan, das sein islamitisches Monopol und seine darauf beruhende Existenzberechtigung verloren hat, sind die Folgen akute Zerfallserscheinungen. Pathanen, die während des Kriegszustandes in Ostpakistan, heute Bangladesh, die blutigsten Verteidiger der „islamitischen“ (pakistanischen) Einheit waren, fordern plötzlich unter Führung der nationalen Awami-Liga und ihres Moskaufreundlichen Führers Wali Khan Autonomie. Belutschistan, bis zur Befreiung von Bangladesh ebenfalls eine Säule der islamitischen Einheit im pakistanischen Reich, hat praktisch den Kampf um die Sezession vom Rumpf Pakistans bereits aufgenommen. Vom Zerfall bedroht, von feindseligen Nachbarn provoziert, sollen Präsident Bhutto und Armeechef Tikka Khan, der als Schlächter von Ostpakistan in der Kriegsverbrecherliste der Bangladesh-Regierung führt, zur Preisgabe ihrer alten Freunde und zur Zuflucht im Moskau-Lager gezwungen werden.

Indien, vor allem die indische Kongreßpartei, hat schon in ihrem Freiheitskampf gegen die Engländer die Unruhe der Pathaner-Stämme in ihre politische Rechnung aufgenommen. Damals predigte Mohammed Ghandi der mohammedanischen Avantgarde den gewaltlosen Widerstand. Der Pathaner-Ghandi und sein gewaltloser Widerstand sind verschwunden, geblieben ist der Pathaner Kampfgeist und das indische Spiel mit dem Unabhängigkeitswillen der pathanischen Grenzvölker in Pakistan.

Irak verwandelt seine Feindschaft mit Iran in eine fast ungehemmte

Aggressivität gegen Pakistan. Nachdem der irakischen Botschaft in Pakistans Hauptstadt Islamabad der Waffenschmuggel unterbunden worden ist — monatelang bezogen Rebellen und Räuberbanden auf pakistanischen Territorien Dutzende von El-Fatah-Guerillaexperten und Tonnen von Handfeuerwaffen — ist ein lebhafter Grenzgänger- und Infil-trantenverkehr zwischen den aufrührerischen Stämmen in Pakistan und den palästinensischen Terroristen im Irak an Stelle des diplomatischen Verkehrs zwischen den beiden Staaten getreten. „Vorkehrungen gegen einen iranischen Landraub in Pakistan“ ist die offizielle Begründung des irakischen Schutzes für die Freiheit der „pakistanischen Völker und Stämme“.

Der politische Angriff afghanischer Machtgruppen auf die Einheit Pakistans mutet wie eine Szene aus „Tausendundeiner Nacht“ an. In diesem feudalsten aller feudalen Königreiche der unbeschränkten Herrschaft von Stammeshäuptlingen, Großgrundbesitzern, Großherdenbe-sitzern, Patriarchen, meldet ein Mohammed Babrak den Protest gegen die „Unterdrückung aller demokratischen Rechte in Pakistan“ an. Babrak ist Präsident der „Demokratischen Arbeiterpartei Afghanistans“. Er fordert die vorbehaltlose Unterstützung für den Freiheitskampf von Belutschistan, er protestiert gegen den „Völkermord der pakistanischen Armee an den Stämmen der Mari und der Mengal“, er sagt den vierzigtausend bewaffneten Stammeskriegern in Belutschistan die vorbehaltlose Solidarität des „Proletariats von Afghanistan“ und der Landarmut von Afghanistan zu. Diese Solidarität ist natürlich eine gefährliche Waffe in den internen Kämpfen von Pakistan. Doch dieser „Arbeiterführer“ könnte nicht eines Mannes Hilfe zusagen, entspräche es nicht dem Willen der herrschenden Schichten in Afghanistan und vor allem dem Willen der UdSSR.

Sicher geht es in der Auseinandersetzung um das, was nach dem Dezember 1971 von Pakistan geblieben ist und nicht um eine nur einigermaßen demokratische Regierung in Islamabad. In Islamabad herrscht ein machtsüchtiger Demagoge, eine rücksichtslose Militärclique, die zweihundert reichen Familien, die zu entmachten, Bhutto zu ohnmächtig war, und einige Gruppen, besser Gangs, von undefinierbaren Parteigängern. Doch Krisen in feudalistisch-militärisch-autoritären Staaten wirbeln entsprechenden Staub auf und führen zu entsprechenden Resulataten. Nirgends und in keinem Fall geht es um das, was dem europäischen Begriff von Demokratie auch nur einigermaßen nahekommen könnte. Gerade deshalb ist diese ganze Region zwischen Bagdad und Dacca das ideale Aufmarschgebiet für eine Neuordnung Asiens. Lenin würde sagen, für die imperialistische Neuordnung Asiens.

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