6796632-1971_14_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Kolonialismus der Antiimperialisten

19451960198020002020

Katanga, Biafra sind vergessene Vergangenheit. Aus dem südlichen Sudan, wo nichtislamitische Stämme und islamitische Zentralmacht* einander im klassischen Stil der Kolonialkriege dezimieren, dringen keine Nachrichten. In allen Ecken und an allen Enden der „Dritten Welt’ kämpfen gegeneinander Zentralregierungen im Namen der „Nationalen Integrität”, Aufständische im Namen des Antikolonialismus. Sind die Kämpfe beendet, ist die „Nationale Integrität” wieder gerettet, kräht kein Hahn mehr. Die Kräfte der „Dritten Welt” sind mit einem Elefantengedächtnis behaftet, wenn es um die relativ ferne Vergangenheit geht; die Demokratien des Westens sind mit opportunem Gedächtnisschwund gerne dienstbar, geht es um die unmittelbare Vergangenheit und um die Gegenwart.

19451960198020002020

Katanga, Biafra sind vergessene Vergangenheit. Aus dem südlichen Sudan, wo nichtislamitische Stämme und islamitische Zentralmacht* einander im klassischen Stil der Kolonialkriege dezimieren, dringen keine Nachrichten. In allen Ecken und an allen Enden der „Dritten Welt’ kämpfen gegeneinander Zentralregierungen im Namen der „Nationalen Integrität”, Aufständische im Namen des Antikolonialismus. Sind die Kämpfe beendet, ist die „Nationale Integrität” wieder gerettet, kräht kein Hahn mehr. Die Kräfte der „Dritten Welt” sind mit einem Elefantengedächtnis behaftet, wenn es um die relativ ferne Vergangenheit geht; die Demokratien des Westens sind mit opportunem Gedächtnisschwund gerne dienstbar, geht es um die unmittelbare Vergangenheit und um die Gegenwart.

Werbung
Werbung
Werbung

Anders wird es um die Kämpfe in Bengalen bestellt sein. Wie immer das Endie sein sollte: Westpakistans zentrale Mächte in Rawalpindi und Ost Pakistan, das untergebt, oder als Nation Bengalen leben wollte, werden das Gedächtnis der Welt wachhalten. Der Sieg der 70.000 westbengalischen Soldaten in Ostpakistan könnte nur endgültig sein, wenn die Bevölkerung ausgerottet, das Land zur Savanne des Krieges niedergewalzt wird. Ein Sieg Ost- pakistans und die Gründung der Republik „Nation Bengalen” wäre nur möglich gewesen, wenn Westpakistans Kräfte des Nationalismus ohne ausländische Hilfe geblieben wären.

Die Namen der beiden Territorien bürgen für die Unlösbarkeit des Problems. Nie haben die Menschen in Ostpakiisitan darauf verzichtet, sich als Ostbengalen zu bezeichnen, Muslimen, durch die unglückliche Grenzlinie zwischen den Hinduterritorien und den Islamterritorien des Subkontinents von den Blutsbrüdern und Glaubensfremden im Süden getrennt. Nie haben die Menschen in Westpakistan vergessen, daß der Name des Landes „Rechtgläubigkeit” bedeutet. Und die älteren Politiker, dlie Führer der Armee, erinnern sich, der ursprünglichen Bedeutung: P für Bandschab, A für Afghanistan, K für Kaschmir, S für Sind, TAN für Belutschistan (bis 1944 nach Gandhis Korrespondenz mit Jinnah).

In Westpakistan gibt es eine dominierende Macht und eine dominierende Persönlichkeit. Die Macht ist die Armee, die Persönlichkeit ist Zulflkar Ali Bhutto. Meistens stehen die beiden einander als Feinde ge genüber. Die Armee ist konservativ, in religiösen Fragen ultramontan. Bhutto, 1928 geboren, Absolvent der Universitäten von Kalifornien, Oxford — Professor für Islamitisches Recht, dann Außenminister und feuriger Experte des Anschlusses Kaschmirs an Pakistan, prägte den „Islamsozialismus”. Er war darauf aus, seine persönliche Macht und Pakistans Nationalismus durch das Verwerfen der alten Bindungen mit SEATO und CENTO bei gleichzeitiger Intensivierung der neuen Bindungen mit Moskau und mit Peking aufzubauen. Schließlich als Außenminister abberufen und von jeder Verantwortung befreit, erwies Bhutto sich als skrupelloser denn je zuvor. Planmäßig steigerte er Westpakistan in eine Hysterie des Chauvinismus. Der „Kaschmir-Anschluß” wurde wieder bis an die Grenze der bewaffneten Aktion gegen Indien getrieben. Die Entführer des indischen Flugzeuges begrüßte er als Helden der Nation.

So bereitete Bhutto die Ereignisse vor, die als Folgen der Wahl im Dezember 1970 sich einstellten. Als Bhuttos „Islamsozialisten” in Westpakistan, Mudschibur Rahmans Bengalische Awami-Partei in Ostpakistan siegte, standen die konservative Armee und die feurigen Islamsozialisten doch zusammen; „die Falken” der Armee wurden die schärfsten Vorkämpfer von Bhuttoo Allpakistaiuschem Islamsoziialismuis.

Die älteren Generale sorgten für die technische Rückendeckung: Während Bhutto, mit nur 85 Parlamentssitzen, aber der gesamten Armee hinter sich, Mudschibur Rahman, der 167 Parlamentsitze errungen hatte, durch Versprechen und Erpressung vom bengalischen Hinterland trennen wollte, wurde von den Zentral- regierumg der zivile Transport- und Güterverkehr zwischen Ostpakistan und Westpakistan fast vollständig gesperrt. Jeden Quadratmeter Transportraum brauchte die Armee, um Truppen und Panzer nach Ostpakistan zu verlegen. Mit 95 Prozent westpakistanischen Offizieren ist die Armee sicher in den Händen Rawalpindis und Islamabads. 70.000 schwerbewaffnete Soldaten standen 60 Millionen ausgebeutetem, halbverhungerten „Kolonialsklaven” gegenüber. Als die Panzer losfuhren, sah man die Abschnitte der kurzen Geschichte Pakistans:

Die ältesten Modelle waren aus den USA — Restbestände aus der Zeit des Bündnissystems mit den USA. Neuere Waffen waren sowjetischer Herkunft oder chinesisches Erzeugnis. Die Sowjets beeilten sich zwar, Sympathie für Bangia Desh zu zeigen. China blieb keine Zeit zur Stellungnahme. In Dacca stürmten die Massen das chinesische Missionsgebäude, zogen die chinesische Fahne ein und die bengalische Fahne hoch.

Jenseits der Grenze liegt der Bundesstaat Westbengalen in der föderativen Republik Indien. Dort geht der Trend nach links — extrem. Indira Gandhi konnte bei den Wahlen im März dieses Jahres die Linksbewegung einigermaßen abfangen. Doch „wir kämpfen für eine Allbengalenrevolution”, erklärte der Führer der Mao-Kommunisten. „Die allbengalische Wirtschaft könnte uns retten”, sagte der Sohn des Stahlfürsten Biria. Und „nirgends ist der Schnitt, der den Subkontinent trennt, so schmerzhaft wie in Bengalen, zwischen Hindu und Muslimen denselben Sprache und derselben Vergangenheit”. Dem Bengalensturm folgt der Bengalenmythos. Der Sieg von Bangia Desh würde aus der Grenze, die feindliche Staaten — Pakistan und Indien — voneinander trennt, eine Grenzmarkierung durch ein Brudervolk machen. Das könnte die Kriegsgefahr auf dem Subkontinent zur Weißglut anfachen — aber es könnte auch jene Konföderation der Staaten auf dem Subkontinent langsam näherbrimgen, an die Nehru gedacht hat, die Jinnah nicht verwarf. Dem Bengalenmythos folgte die Bengalentragödie.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung