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Watschenmann Bangladesh

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Am 3. November wurde wieder der internationale Flugplatz von Bangladesh gesperrt, alle Kommunikationswege unterbrochen. Zum dritten Mal im Leben des jungen Staates und innerhalb von fünf Jahren. Beim ersten Umsturz, der Befreiung, da war noch das Volk an den Vorgängen beteiligt, leidend und handelnd. Seither ist das Volk total unbeteiligt, ausgepumpt, lethargisch. Zwei Befreiungen, von den englischen Kolonialisten und von den westpakistanischen Unterdrückern, haben eine Auslese von Machthungrigen an der Spitze bewirkt. Die im Befreiungsgeschäft Großgewordenen kämpfen jetzt gegeneinander. Hinter ihnen intrigieren und korrumpieren die am Machtspiel beteiligten Großmächte, die UdSSR, China, ein wenig auch England, die USA und natürlich auch Indien, letzteres als Aspirant auf die Position der asiatischen Groß- und Ordnungsmacht.

Im Jänner 1972, als acht Monate pakistanischer Greuel und zwei Wochen indisch-pakistanischen Krieges zur Befreiung Ostpakistans und zur Gründung des neuen Staates Bangladesh geführt hatten, sagte Pekings Führung voraus, der neue Staat bedeute nicht das Ende der Wirrsal, er sei vielmehr der Anfang von Wirrnissen, in deren Sog Indien selbst untergehen werde.

Im August 1975, nach der Ermordung des Präsidenten Sheik Mujibur -) Rahman beim Coup der „49 Majore“, sagte Radio Moskau voraus, Bangladesh werde ein Tummelplatz von Imperialisten, Maoisten und Friedensfeinden werden. Das Pendel schwang unterdessen in die Gegenrichtung.

3. November 1975. Die Putschmajore sind verhaftet. Ein neuer Stabschef hat die Macht in Händen. Präsident Mushtaq Kondhakar, Nachfolger des Mujibur, darf offenbar noch Dokumente unterzeichnen und unterzeichnet die Manifeste einer neuen Machtübernahme.

In ganz Südasien fragt man Sich, in welche Richtung nun das Pendel schwingen mag. Radio Dakka läßt die Antwort auf diese Frage ahnen. Einen Tag lang blieb die Radiostation stumm. Dann sandte sie Verse aus der Bhagavadgita, dem Nationalepos der Indus-Völker, und Zitate aus den Werken des indisch-bengalischen Dichters Rabindranath Tagore.

Pandschabis treiben andere in den Tod, Bengalen reden sich selber zu Tode; diese indische Volksweisheit hat sich nach der Befreiung in Bangladesh bestätigt. Nach ihrer Niederlage haben die Pandschabis, der Kern der Westpakistaner, in Ostpakistan einen Trümmerhaufen zurückgelassen. Nach der Gründung des Staates haben die Ostbengalen ihr Bangladesh zum asiatischen Synonym für Chaos gemacht. 1973 bot die tödliche Dürre noch eine Ausrede für die Verwahrlosung des Landes. Doch 1974 gab es schon ein wenig mehr Nahrung. Der Hunger blieb aber über dem Land. Die Lebensmittel wurden von der Elite in Dakka auf die schwarzen Märkte gebracht. Doch Bangladesh hielt auch Weltrekorde: die Geburtenzahl und die Todesquote in Bangladesh waren die höchsten ganz Asiens. Die Kon-sumation im „International Hotel“, der Nobelbar von Dakka, war die höchste von allen „Intercontinentals“ in Südasien.

Mit dem Zerfall der Befreiungshoffnung wandelte sich auch der Mann, der im Volk die Hoffnungen verkörperte, Scheik Mujibur. Im Jänner 1972 war ich noch von einem feurigen, aufrechten Scheik empfangen worden, der sich zur Demokratie genau so heftig bekannte wie zu seinem Ostbengalentum. 1974 saß ich einem schwammig gewordenen Politiker der landläufigen Sorte gegenüber. Sein Nationalismus war bereits aggressiv, sein Verhältnis zur Demokratie durch Mißtrauen und Erfolglosigkeit überstrapaziert. Wie so oft in diesen Gegenden, war der Landesfürst an der Machtgier und der Bestechlichkeit seiner Familienmitglieder gleicherweise wie an den fast unlösbaren Aufgaben gescheitert. Und im ganzen Land hörte ich von der Korruption der Seinen, der Söhne des Scheiks, des Bruders Nazir; vor allem schienen aber der terroristische und arrogante Neffe des Scheiks, Fazlul Huq Moni, Führer der Mujib-Freischar „Rakhti Bahini“, und der Familienfreund Gazi Gulam Mustafa, Präsident des Roten Kreuzes, verhaßt zu sein.

Die Armee des jungen Staates war aus Resten zusammengestoppelt worden. Englische Tradition verkörperte der erste Kriegsminister, der ehemalige Oberst der indischen Armee des britischen Reiches, Osmani. Pakistanisch-englische Schule zeigte sich noch in den Namen der Einheiten. Es waren „Bengal Lancers“, die aus ihren Panzern die Kanonen gegen Muhjib richteten. Die dritte Gruppe kam aus den zwei Schichten, die am Freiheitskampf beteiligt gewesen waren; aus den regulären pakistanischen Einheiten, die sich auf die Seite ihrer ostbengalischen Blutsbrüder geschlagen hatten, und aus den Mukthi-Bahini-Partisanen. Jede Gruppe hatten ihren Korpsgeist. Mujibur Rahman spielte sie gegeneinander aus. So wurde die Armee von den Strudeln des nationalen Chaos ergriffen.

Als Mujibur anfangs der Saison mit der Liquidierung der Demokratie das Beispiel setzte, dem später seine Nachbarin Indira' Gandhi folgte, trieben die Gegensätze in der Armee zur Explosion. Die 49 Majore vom 15. August kamen aus den Reihen der Mukthi-Bahini. Der Generalstabschef, den sie einsetzten, Ziaur Rahman, war der Kommandant der Mukthi-Bahini-Truppe zur besonderen Verwendung. Sie liquidierten, wie es die Mukthi-Bahini schon im Freiheitskampf getan hatten, den „Verräter“ Mujibur samt Familie. Sie strotzten, wie alle erfolgreichen Putschisten, von Anmaßung und Elitegeist. „Ich bin Major Dalim“, verkündete am 15. August im Radio der Führer der nationalen Erneuerer. „Das autokratische Regime ist gestürzt. Mujib ist getötet Die Armee hat die Macht übernommen. Kondhakar Mushtaq ist Präsident.“ Sicherheitshalber nisteten sich die Majore im Palast des Präsidenten ein,, als neue Herren auch über die Armee.

Das schweißte die Fraktionen der Armee mit den in die Wälder getriebenen Rakhti-Bahini und den Mujib-Treuen zusammen. Am 3. November kam dann der Gegenschlag. Der neue Machthaber, Brigadegeneral Musha-rad, kommt aus dem regulären Offizierskader der pakistanischen Armee, , JSfgen, die er im, richtigen Augenblick seine Waffen gewendet hatte. Im Machtspiel vor dem 15. August galt er als Berufssoldat, mit Sympathien für den Scheik, „Rächer des Schelk und der Ermordeten vom 15. August“.

Die Intrigen und die Putsche der nationalen Eliten und die Kämpfe der Großmächte sind ineinander verwoben. Jede Fraktion hat ihre Großmacht im Rücken. Jede Großmacht bedient sich der nützlichen Fraktionen. Bangladesh, von indischem Territorium umgeben, doch nahe dem roten China — schwach, gespalten, unglücksbeladen, ist das ideale Manöverfeld für die bodenständigen Ehrgeizlinge und für die Großmächte.

Das Mujib-Regime war den Indern, den Sowjets, aber auch dem britischen Ministerpräsidenten Wilson verbunden, den Freunden in der Not. Die Enttäuschung über die Folgen der Befreiung ließ das Pendel dann auf die Seite Rotchinas ausschwin-gen. Und China war mit massivem Einsatz da, mit Erdöl und Straßenbauhilfe. Chinesische Flugzeuge flogen illegal über indisches Territorium nach Dakka und nach Chitta-gong. Hinter dem Gegenschlag vom 3. November werden daher wieder Indien und die UdSSR vermutet.

Auf dem Subkontinent wurde nach dem 15. August das Gerücht kolportiert, Indien hege Interventionspläne. Die Ausstreuung erfolgte sicherlich aus chinesischen und pakistanischen Quellen. Es ist durchaus möglich, daß der Gegenschlag aus den gegnerischen Fraktionen kam. Er nahm aber den indischen Falken Wind aus den Segeln. Die Rückkehr zur Politik des Mujibur in Bangladesh würde die jüngste Erfolgsreihe der Sowjets fortsetzen und die Isolierung Chinas in Asien vertiefen.

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