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Asiatische Pax Russica

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Im Dezember 1971, vier Monate nach dem Abschluß des sowjetisch-indischen Bündnisses, siegte Indien in Ostpakistan. Das pakistanische Militärregime brach zusammen. Was Ostpakistan gewesen war, wurde das befreite Bangladesch. Die Großmächte hinter Pakistan, China und die USA, konnten nur protestieren. Im August 1973, wenige Tage nachdem die überwiegend regierungsgesteuer-te Presse Indiens „Zwei Jahre Sowjetbündnis“ gefeiert hatte, wurde von Pakistan und Indien das Abkommen zur Beseitigung der Kriegs-falgen, vor allem zur Repatriierung der Kriegsgefangenen und Internierten unterzeichnet. Die sowjetfreundliche Linke feierte das Abkommen als den Beginn einer Epoche der Einheit auf diesem von Religionsmassa-kern und pakistanisch-indischen Kämpfen aufgewühlten Subkontinent. Die Sowjetpresse feierte mit.

Doch einheitlich ist für die drei Staaten auf dem Subkontinent nur die größere Not und Zerrüttung als Folge des Bangladesch-Krieges. Nur der UdSSR brachte dieser Krieg Vorteile: Moskaus Einfluß ist gestiegen, bei Siegern, Befreiten, Besiegten. Auf dem Subkontinent kann es keine Neuordnung zwischen den drei Staaten geben, die Indiens Verbündeten mißfällt. „Eine Drei Jahresoperation, den ganzen Subkontinent als Basis des asiatischen Sicherheitssystems auszubauen“ definierte Pankaj Bat-terchee, Generalsekretär der oppositionellen Natdonal-Awami-Partei in Bangladesch, die sowjetische Südasiendiplomatie. „Unsere Befreiung wurde der Ausgangspunkt“. Diese Partei ist prochinesisch. Selbst ein enger Freund und Vertrauter des Bangladesch-Ministerpräsidenten, der Anwalt Moadud Hamid, sagte mir schon Anfang August in Dakka: „Die Sowjets haben nach unserer Befrei-

ung den Subkontinent unter ihren Einfluß gebracht, um ihn fest gegen China abzuriegeln.“

Die Feinde des Bangladesch-Krieges diskret gegeneinander ausspielend und Wirtschafts- wie Rüstungshilfe in alle drei Staaten verteilend, drängte Moskau Indien — und damit auch Bangladesch — zu Konzessionen an die Unterlegenen, die neue pakistanische Führung aber zur Anerkennung der Realität, die durch den Sieg geschaffen worden war, der Existenz des Staates Bangladesch. Das indisch-pakistanische Abkommen kam zustande. Es war ein subkontinentales Abkommen. Bangladeschs Interessen wurden durch Indien vertreten. Jetzt war das Ziel der Sowjetdiplomatie auf dem Subkontinent scheinbar nah. Doch Pakistan zeigt, eingeklemmt zwischen Afghanistan und Indien, die alte Beharrlichkeit und will die Beziehungen mit Peking und mit den USA nicht abbuchen. Auch in Bangladesch zeichnen sich Schwierigkeiten ab. Der aufgepeitschte Nationalismus beginnt sich gegen die Bevormundung durch den Befreier Indien und dessen Verbündeten, die UdSSR, zu wenden.

In Indien beginnt 1974 der fünfte Fünf jahresplan in einer Atmosphäre des wirtschaftlichen Tiefs. Der Sieges- und Großmachtseuphorie nach der Befreiung Ostbengalens folgte 1972 die Wirtschaftsdepression, 1973 die Nahrungsmittelknappheit. Die Unterernährung erreichte auf weiten Gebieten die Grenze der Hungersnot. Depressionsinflation und akademische Arbeitslosigkeit drängte den unteren und den niederen Mittelstand in die Nähe der Verarmungs-grenze. Nie hat es während des Kolonialismus so viele Polizeisalven auf demonstrierende Massen gegeben wie in diesem Jahr 1973. Die Stabili-

tät des Indira-Regimes ist felsenfest, doch eingebettet in eine soziale und wirtschaftliche Mondlandschaft.

Bangladesch ist zum Stillstand gekommen. Nur die von Peking und von ausländischen Organisationen des Islam unterstützten Oppositionen des Maoismus und des Islam-Fanatismus sind aktiv und bilden gemeinsam Terrorgruppen. Seit 1970 ist das Nationalprodukt um fast 40 Prozent gesunken. Ostbengalische Jute muß der westbengalisch-lndi-schen Konkurrenz auf der Börse von London den Platz räumen. Der Tee in Bangladesch ist schwer und ohne Geschmack, seit er nicht mehr mit ceylonischem Tee verschnitten werden kann, unverkäuflich im Westen. Und Jute und Tee sind die einzigen Exportwaren. Doch die UdSSR kauft Jute auf. Die CSSR, Ungarn, Rumänien kaufen den Tee für ihre Fabrikskantinen. Die UdSSR restauriert seit 1971 den Hafen von Chitta-gong. Die Brücken und Bahntrassen werden mit sowjetischen Krediten von Indiens „Nordindischer Eisen-bahngesellschaft“ aufgebaut. Nach dem gezielten Morden des pakistanischen Regimes sind zur Führung des jungen Staates nur wenige Berufene und viele Opportunisten geblieben.

Für sie haben Sowjethilfe und Sowjeteinfluß als Sanierung und als Sicherheit große Attraktion. Und ewig kann sich ein einzelner Mann — Ministerpräsident Mujibur Rah-man — nicht allein gegen den indirekten und den direkten Sowjeteinfluß stemmen.

In Pakistan ist nach der Sezession von Bangladesch der Separatismus virulent. Die Niederlage der Armee hat 1971 den schillernden Demagogen Bhutto an die Macht gebracht. Bhutto entwickelte staatsmännisches Format. Doch er scheiterte bei allen Versuchen, die Macht der „200

Familien“ zu sprengen und der Armee ihre Machtpositionen zu entreißen. Die Irredenta in Pakthunien und in Belutschistan zwang ihn zur Konzentration aller Kräfte. Er mußte die Macht mit der Armee und der Oligarchie teilen und blieb dennoch in der Defensive. Als die Zersetzungsarbeit von außen durch den Putsch in Afghanistan dem Erfolg nahe war, zog Bhutto die Konsequenz und begann, sich dem subkontinentalen Spiel einzufügen, die sowjetischen Spielregeln zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Er linterzeichnete das Abkommen mit Indien, zur Anerkennung von Bangladesch läßt er sich aber Zeit, stellt Bedingungen. Weder Pekings noch Washingtons Freundschaft hat er bisher der sub-kontinentalen Ordnung und den sowjetischen Wünschen geopfert. Als Gast in Washington sprach er selbstbewußt, freilich nicht mehr von Waffenlieferungen. In Peking beteuerte er seine Loyalität. Diese Situation bot Pakistan eine Atempause. Bhutto nützte sie aus. Mit einem Federstrich reformierte er Mitte September den Verwaltungsapparat, der bisher der Machtapparat der 200 Familien gewesen war. Trotz der heiklen Situation schwoll der Separatismus nicht

an. Die Verbündeten Moskaus an den Grenzen verhielten sich ruhig. Ob diese Ruhe so lange dauern wird, daß Bhutto ein funktionierendes Pakistan neu aufbaut, liegt zum großen Teil in Moskaus Händen.

Trotz dieser Positionen der UdSSR sind die drei Staaten noch weit von der Erfüllung des sowjetischen Programms für den Subkontinent entfernt. In Indien entstanden, von Moskau-Kommunisten und den Linken im Kongreß inspiriert, indischpakistanische Freundschaftsgesellschaften. Die Formulierung ihrer Forderungen ist klar: „Ein asiatisches Sicherheitssystem der friedliebenden Völker“. Diese Forderung ist nicht in Pakistan und nicht in Bangladesch zu hören. Dort scheut man vor den Konsequenzen dieses Programms zurück, selbst wenn es in Washington stillschweigendes Verständnis findet. Denn über Chinas Reaktion gibt es keine Zweifel — und China läßt sich Zeit und hat Zeit, mehr als die krisenerschütterten Staaten auf dem Subkontinent. Eine „Pax Russica“ auf dem Subkontinent nannte im Gespräch mit mir der indische Verteidigungsminister Anfang August die große Herausforderung Pekings.. ,

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