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Lieber arm, aber asiatisch

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Anfang Oktober war der Schah von Persien in Indien. Ende Oktober war Kissinger hier zu Gast. Die beiden Gäste des Monats Oktober markieren das Spannungsfeld, auf dem die rohstoffarmen Staaten Asiens ihren Weg suchen, allen voran Indien, auf dem Weg aus tiefer Armut zur Großmachtposition. Die Wegrichtung ist deutlich zu erkennen. Präsident Fords scharfe Sprache gegen die Preispolitik der Erdölstaaten beantworteten die destituten Staaten Asiens mit Deklarationen der Solidarität mit den Erdölstaaten. Der grandiose Empfang für den Schah von Persien in Indien galt zum Teil als Antwort auf Washingtons Drohungen.

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Anfang Oktober war der Schah von Persien in Indien. Ende Oktober war Kissinger hier zu Gast. Die beiden Gäste des Monats Oktober markieren das Spannungsfeld, auf dem die rohstoffarmen Staaten Asiens ihren Weg suchen, allen voran Indien, auf dem Weg aus tiefer Armut zur Großmachtposition. Die Wegrichtung ist deutlich zu erkennen. Präsident Fords scharfe Sprache gegen die Preispolitik der Erdölstaaten beantworteten die destituten Staaten Asiens mit Deklarationen der Solidarität mit den Erdölstaaten. Der grandiose Empfang für den Schah von Persien in Indien galt zum Teil als Antwort auf Washingtons Drohungen.

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Der Reichtum der Erdölstaaten Asiens hat nur wenig „Klassengegensätze“ zwischen Besitzenden und Besitzlosen unter den asiatischen Staaten aufgeworfen. An die unüberbrückbare Schere zwischen Armut und Reichtum ist man in jedem einzelnen Land Asiens und bei den internationalen Beziehungen der asiatischen Staaten gewöhnt. Die Machtposition der Erdölstaaten gegenüber den westlichen Konsumenten wird aber als ein asiatischer Triumph empfunden. Und die unveränderte Abhängigkeit der armen Staaten Asiens von den Lieferungen aus dem Westen — in Form von Entwicklungshilfe oder rein kommerziell — stärkt die alten Ressentiments gegen den Westen. Die Krisen dieses Jahres, Folgen der Erdölpreise, des Zusammenbruches der Grünen Revolution, der internationalen Nahrungsmittelsituation und der Inflation, haben das asiatische Solidaritätsbewußtsein und die antiwestlichen Strömungen nur gestärkt. Dies gilt freilich nicht für die Staaten mit Erfolgen aus eigenen Kräften, wie Malaysia und Singapur. Aus dem Hochkommissariat von Malaysia in New Dehli hört« ich die beste Begründung für diese Solidarität der Ärmsten mit den Reichen: „Das Erdöl der Mitteloststaaten 1st eben asiatisches Erdöl; vviė die Armut in Bangladesh, fei Šri-Lanka, in Indien und in Burma eben asiatische Armut ist. Diese Staaten wollen untereinander nichts teilen, weder Armut noch Reichtum. Für sie alle ist aber das Erdöl ein Machtmittel gegen den Westen. Die Armut dagegen die Schuld, und ihre Überwindung die Verantwortung des Westens.“

Die Massenmanipulation durch das Irrationale sproß zwischen dem Schahbesuch und dem Kissingerbesuch in Indien. Die Bombayer Zeitung „Blitz“ feierte den Besuch des Schah von Persien mit einer Kampagne gegen die Erdölkonsumjenten des Westens. Vom alten „kolonialen Raub“ bis zu dem auch in Europa so modern gewordenen „westlichen Raubbau an Energie und Rohstoff“ war da alles drin. Nach „Blitz“ entreißen die Erdölstaaten — linke wie Irak, rechte wie Persien — durch ihre Preispolitik dem Westen nur das Raubgut aus dem Osten. Dann kam die „Blitz“-Enthüllumig: CIA und Israel bereiten den Interventionskrieg gegen die Erdölstaäten in drei Stufen vor. Und die Folgerung: ganz Asien müsse zur Verteidigung der Erdölstaaten bereit sein.

Knapp vor der Ankunft Kissingers stimmte dann die Zeitung „Patriot“ in das Solidaritätsmotiv des „Blitz“ ein; penetrant seriös, schulmeisterlich-marxistisch, Moskau und der Indira ergeben, tischte „Patriot“ dann die asiatische Version der Brunnenvergifter auf: CIA setzt Probekulturen giftiger Moskitos auf indischem Territorium anos, um die Volkskraft und den Bündniswert Indiens für die UdSSR und für die Brdölländer zu zerstören. Die Stimmung, von „Blitz“ und „Patriot“ entfacht, griff auf die moskautreuen Fraktionen der In- dina-Kongreßpartei über, also auf die Majorität des elitistischen Kongreß-Establishments. Zur Perversion des Klässenkampfes in einen Kampf der Rohstoffländer gegen die Industrieländer kamen nun die verschiedenen Versionen von der „Expropriation der Expropriateure“; die Erdölländer als die Exekutoren, die asiatische Masse als „Klassenbasis“.

Wieder gab ein asiatischer Beobachter den relevanten Kommentar. Angesichts des Zeitungsjubels über den Besuch des Schah und des politischen Feuerwerks über eine gemeinsame indisch-iranische Groß- raumpalitik in Südasien und im Indischen Ozean, meinte der Korrespondent von „Mainiehl“: „Renaissance des japanischen Traumes einer Südostasiatischen Koprosperitätszo- ne in Mittel- und Südasien. Gestern bot die Armee des Tenno, heute bietet das Erdöl der Erdölherren den asiatischen Staaten die Möglichkeiten, von der Überwindung des Westens zu träumen.“ Solche Träume waren immer für die Ärmsten am schönsten, auch wenn sie selbst die Rechnung begleichen mußten. Und erfolgreicher denn je vorher, gelingt es der UdSSR, sich aus der Gruppe der „Rohstofffresser“ zu lösen und zur Stütze der Rohstoffländer, der Besitzenden und der Habenichtse, zu werden, hauptsächlich auf Kosten Chinas, dessen Nachfolge-Mao-Pro- bleme, von sowjetischen und indischen Quellen propagandistisch hochgetrieben, zur objektiven Wertver- minderung Chinas, in dieser so sehr der realen Werte bewußten Welt führen.

Der Besuch des Schah von Iran in Indien hat tatsächlich Möglichkeiten gemeinsamer Programmgestaltung gezeigt. Doch diese wurden in den Kommundąuės und ln der Presse ‘steil hochgespielt und brachten In -

dien vor allem die Isolierung des Erbfeindes Pakistan von Pakistans ehemaligem Verbündeten Iran ein. Über diesen taktischen Wert hinaus gingen die Vorstellungen von einer gemeinsamen Großraumpolitik, vor allem einer gemeinsamen Kontrolle der anliegenden Gewässer und der wichtigen Sektoren des Indischen Ozeans. Taktvoll unterließ es der Schah, seinen Dariuskomplex zu zeigen, und so saßen der prospektive Herr des Mittleren Ostens und die Herrin über Südasien einander ebenbürtig gegenüber. Vereint im Gefühl, einem zukünftigen Asien den Stempel ihrer Macht aufzuprägen. Auch gemeinsame Wirtsehaftsprojekte wurden skizziert; Zellulosefabriken, Zementfabriken, Raffinerien, Rü- stungsbetriebe sollen aus iranischen Krediten und zum Teil aus den Erlösen iranischer Erdöillieferungen mit indischer Technik auf indischem Boden errichtet werden. Tatsächlich,

das wäre eine Kooperation mit großem Potential hinter sich: Arbeitskraft und Technologie aus Indien, Kapital und Erdöl aus dem Iran. Es ist aber Zukunftsmusik. Der Warenaustausch dagegen ist Gegenwart. Indischer Zucker, indischer Zement gegen iranisches Erdöl. In Indien selbst ist Zement nur auf dem schwarzen Markt zu haben. Und Zuk- ker, den man privilegierten Handelspartnern wie der UdSSR und Iran um 60 Paesas pro Kilo überläßt, 1st mit vier Rupiahs pro Kilo — trotz Rekordernte — unbekannter Luxus für hunderte Millionen von Indern.

So enthebt die Solidarität mit den asiatischen Erdölstaaten Indien nicht der Notwendigkeit, die Finanzierung der Erdölmporte bei den internationalen Geld- und Finanzinstituten zu suchen. Witteven, Direktor des International Monetary Fonds, hält sich zur Zeit in Indien auf und schätzt deii’ Mischen Devisenbedarf für

Erdölimporte, in diesem Jahr 800 Millionen Dollar für Erdölprodukte, um 600 Millionen Dollar höher ein als 1973. Das ist mehr, als an Devisen eingebracht werden kann und jeglicher andere Import, wie Nahrungsmittel, wäre damit ausgeschlossen. Weltbankdirektor McNamara schätzt den ungedeckten Devisenbetrag der Entwicklungsländer auf vier Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren. Witteven und McNamara suchen die Ratlosigkeit der Regierungen der armen Länder durch Zusagen zu steuern. Doch sie müssen die Fragwürdigkeit der finanziellen Basis ihrer Zusagen eingesitehen. Aus den westlichen Industriestaaten kommt jetzt das Geld für Hilfe in Form von Krediten zur Festigung def Herrschaf ts Struk turen in den Entwicklungsländern spärlicher. Und die Erdölstaaten haben dem internationalen Erdölfonds zwar zugestimmt — fließt doch das ausgeworfene Geld letztlich in ihre Kassen — doch sie bestehen auf direkte Hilfe, auf direkten Verhandlungen der Erdölländer mit dem Erdölhungrigen in Asien.

In dieser Situation liegt über dem Besuch Kissingers ein klimatisches Tief. Es ist kein Zweifel, daß man in Delhi eine Verbesserung der Beziehungen mit Washington wünscht und der sowjetische Bündnispartner scheint, im vollen Vertrauen auf die indische Regierung, keine Schwierigkeiten zu machen. Dringend bedarf man der Lieferungen aus den USA, besonders der Getreidelieferungen — deren Umfang und deren Verrechnung freilich durch die isolationistischen Kräfte in Washington und durch die Linke in Delhi unter Kontrolle. gehalten werden. So geht die Kampagne der Linken darauf aus, daß Indira Gandhi möglichst große Lieferungen bei einer möglichst; geringen Verbesserung der Beziehungen erwirkt. Für Kissinger hängt aber der Glanz und der Erfolg seines Besuches davon ab, ob und wieweit die USA Indiras Fernziele unterschreiben wollen: Indiens Großmachtposition in Asien, die sowohl die Weltmächte wie auch die Erdölstaaten letzten Endes zur Unterstützung des Sechshundertmillionen- Staates zwingen.

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