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Nach Siegestaumel Bestürzung

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Von der Weltöffentlichkeit nur unzureichend beachtet, führt das Blutvergießen in Bengalen schon jetzt zu beachtlichen Änderungen im Kräftespiel der Weltmächte. Die zunehmende Verschlechterung der Lage in Bangla Desh veranlaßt jetzt Scheikh Mujibur Rahman zu Besuchen in Moskau, wo er zwar als „hervorragende Führerpersönlichkeit“ gefeiert wird, aber nur Zusagen unzureichender Hilfeleistungen erhält.

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Von der Weltöffentlichkeit nur unzureichend beachtet, führt das Blutvergießen in Bengalen schon jetzt zu beachtlichen Änderungen im Kräftespiel der Weltmächte. Die zunehmende Verschlechterung der Lage in Bangla Desh veranlaßt jetzt Scheikh Mujibur Rahman zu Besuchen in Moskau, wo er zwar als „hervorragende Führerpersönlichkeit“ gefeiert wird, aber nur Zusagen unzureichender Hilfeleistungen erhält.

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Nach vorläufigen Berechnungen bengalischer Experten wären etwa dreieinhalb Milliarden Dollar nötig, um in zwei Jahren Bengalen wieder hochzubringen, während zur Linderung der größten Not allein in diesem Jahr mindestens eine Milliarde Dollar erforderlich wäre. Nach bengalischen Schätzungen wurden durch Krieg und Partisanenkämpfe vierzig Prozent der Häuser im ehemaligen Ostpakistan beschädigt oder zerstört, und amerikanische Beobachter berichten, daß auch jetzt noch drei Viertel der Fabriken des Landes nicht voll betriebsfähig sind. Derzeit seien zwanzig Millionen Bengalen — also mehr als ein Viertel der Bevölkerung des neugeschaffenen Staates — mittellos. Das selbst gegen sehr große wirtschaftliche Schwierigkeiten kämpfende Indien hat Bangla Desh Hilfeleistungen im Wert von 53 Millionen Dollar (also ein Zwanzigstel der noch in diesem Jahr zur Linderung der größten Not erforderlichen Summe) zukommen lassen, während andere Länder insgesamt 95 Millionen Dollar (also etwas weniger als ein Zehntel des obenerwähnten Betrages) zugesagt haben. Das Land, das Bangla Desh wirkungsvoll unter die Arme greifen könnte, sind die USA, die ja im Lauf der Jahre sechzig Prozent der zur Stützung Indiens erforderlichen ungeheuren Geldmittel hergaben, aber jetzt in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend sein dürften.

Anti-UNO-Stimmung

Die Verschlechterung der indischamerikanischen Beziehungen bereitet nach vertraulichen Berichten aus Neu-Delhi indischen Regierungsund Wirtschaftskreisen öffentlich nicht eingestandene sehr große Sorgen. Trotzdem stellt Indien für eine

Verbesserung dieser Beziehungen an Washington Forderungen, die von vielen Amerikanern als unerfüllbar bezeichnet werden, wie die völlige Abkehr von Pakistan und eine offizielle Anerkennung des Staates Bangla Desh. Außerdem hat Indien durch die kürzlich fast demonstrativ vorgenommene volle diplomatische Anerkennung Nordvietnams (während es in Südvietnam nur konsularische Vertretungen beibehält) führende Amerikaner verärgert. Auch können sich die USA durch Zickzackkurse bei ihrem Verhalten zum indischen Subkontinent keine Prestigeverluste leisten, obwohl sie auch dort größere Achtung genießen als etwa die Vereinten Nationen, denen heute auch keineswegs UNO-feind-lich eingestellte Persönlichkeiten den Vorwurf machen, daß sie „fast nichts für die bengalischen Flüchtlinge getan haben, den Krieg nicht verhinderten, dann keinen Waffenstillstand zustandebrachten und hilflos zusahen, wie eines ihrer Mitglieder — Pakistan — territorial zerschlagen wurde“.

Nicht wenige unparteiische Asienkenner bezeichnen manche gegen Nixons Asienpolitik (vor allem durch gegnerische Präsidentschaftskandidaten) erhobene Vorwürfe als unfair. Vor allem hätte ein anderes Verhalten das gegenwärtige Hauptziel der amerikanischen Politik, die Annäherung an Peking, in Frage gestellt. Außerdem hatte Neu-Delhi Nixons Vorschläge zur Verhinderung des Krieges (Rückzug aller indischen und pakistanischen Truppen bis auf acht Kilometer beiderseits der Grenzen usw.) schroff abgelehnt. Und sogar nach der Zerschlagung Ostpakistans fielen in Indien Äußerungen maßgeblicher Politiker wie jene des Abgeordneten Radsch Narain: „Der 25. Jahrestag der Teilung Indiens — 14. August 1972 — muß auch der Tag sein, an dem die Wiedervereinigung des ganzen indischen Subkontinents — also die Liquidierung ganz Pakistans — vollzogen wird.“

Bisher konnte Mudschibur Rahman die Leiden seines Volkes mit Handlungen Pakistans begründen. Auch nach dem Siegestaumel hält die Bestrafung von Kollaborateuren usw. das Volk noch eine Zeitlang in Atem. Doch hört man schon jetzt pessimistische Äußerungen über aufbauhemmende sentimental-unpraktische Tendenzen vieler Bengalen und die Abschreckung ausländischer Helfer und Investieren durch eine zunehmende Bürokratisierung und anti-privatwirtschaftliche Propaganda. Die weitere Gewährung großzügiger amerikanischer Hilfeleistungen an Indien und die Gebiete unter direktem indischen Einfluß erscheint sehr zweifelhaft, so daß Dacca eine auffallende indische Präsenz im neugeschaffenen Staat als Hemmschuh effektiver Wirtschaftshilfen zur Rehabilitierung des Landes ansieht, was in diesen Tagen unter anderem durch die Forderung des vorzeitigen Abzuges der indischen Truppen aus Bangla Desh unterstrichen wurde. Mudschibur Rahman soll sogar beabsichtigten, seiner gegenwärtigen Abhängigkeit von Moskau eine Annäherung an die USA entgegenzusetzen. Alles in allem haben aber Asienkenner den Eindruck, daß die Zerreißung Pakistans weder Indien noch irgendeinem anderen an dieser Entwicklung direkt Beteiligten Nutzen gebracht hat und daß der indische Subkontinent noch schwereren Zeiten entgegengeht.

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