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Vom heißen zum kalten Völkermord

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Das Militärregime von Islamabad hofft, die Lösung gefunden zu haben. Bangia Desh soll in einer Religionsschlächterei untergehen. Wo die Kämpfe in Ostpakistan am Versiegen sind, beginnt Westpakistans Armee schon die Hindu-Hatz. Die Bengalensolidarität soll durch den Bengalenhaß zerstört werden: Moslem-Bengale gegen Hindu-Bengale.

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Das Militärregime von Islamabad hofft, die Lösung gefunden zu haben. Bangia Desh soll in einer Religionsschlächterei untergehen. Wo die Kämpfe in Ostpakistan am Versiegen sind, beginnt Westpakistans Armee schon die Hindu-Hatz. Die Bengalensolidarität soll durch den Bengalenhaß zerstört werden: Moslem-Bengale gegen Hindu-Bengale.

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Unbekannt ist die Zahl der Hindus unter den Hunderttausenden, die in Ostpakistan in der westpakistanischen Militäraktion umigekommen sind. Unter den sechs Millionen aus Ostpakistan, die Kalkutta zur verseuchten Metropole der Flüchtlinge machen, sind aber 80 Prozent Hindus. Der Hindiu-Anteil am täglichen Flüchtlingsstrom von 50.000 bis

60.0 Menschen wird immer stärker. Acht Millionen Ostbengalen-Hindus haben in Ostpakistan gelebt. Mit den 67 Millionen ostbengalischen Muslims sind sie durch die Ereignisse zu Bangia Desh verschweißt worden: Nation Bengalen. Im Untergang von Bangia Desh sollen die Schweißnähte platzen. In einer wilden Paraphrase der großen Vorbilder werden von den westpakistanischen Militärs in ganz Ostpakistan Massenaktionen des „Friedens“ organisiert. Was in diesen „Friedensaktionen“ an Hindus nicht uritergeht, wird über die Grenze gejagt, noch ein Monat, dann ist Ostpakistan hindurein.

So löst Islamabad die brennenden Probleme mit einem Schlag. Den Freiheitskampf der vorwiegend islamitisch-ostbengalischen Awami- Liga müssen jetzt die ostbengalischen Hindus büßen. Die Bereinigung der pakistanischen Probleme soll auf Kosten des feindlichen Nachbarn Indien gehen. Der „Sieg“ über die ostbengalischen Hindus soll die ostbengalischen Muslims wieder an den islamitischen Staat Pakistan binden. In Kalkutta aber warten schon die beiden Parteien des Linksextremismus, die linkskommuni- sitische KPI (Marxisten), stärkste Partei Westbengalens, und die Naxa- liten, (Mao-Aktivisten) auf den Zusammenbruch der indischen Administration unter der Menschenlawine aus Ostpakistan.

Noch während der Kämpfe mit Bangia Desh begann Thika Khan, westpakistanischer Militärgouver- neur in Ostpakistan, „Friedenskomitees“ zu organisieren. Die Bangla- Desh-Führer waren schon verhaftet, die dünne Schicht ostbengalischer Intellektueller und Studenten war schon vernichtet. Sein Friedenswerk konnte beginnen. Die in Ostpakistan fremden und zugewanderten Muslims aus Bihar und aus dem Pand- schab wußten, was der Militär gouverneur meinte, und sie gaben dem in aller Welt mißbrauchten Namen eine neue Bedeutung, und die Friedenskomitees wurden zu Organisationszentren der Hinduverfolgung.

Die erste Welle der Flüchtlinge aus Ostpakistan waren fast nur Muslims der Awami-Liga gewesen. In Kalkutta vergaßen die Hindus, die vor 25 Jahren von Muslims aus Ostpakistan verjagt worden waren, die Massaker in den Jahren der Teilung. Sie machten den Neuen Plate, sie teilten mit ihnen versiegende Trinkwasser. Mit der Zusammensetzung des Flüchtlinigsstromes ändert sich die Stimmung in Kalkutta. Die Ben- galen-Solidarität beginnt sich unter dem Religionshaß zu biegen. Ein Drittel der Bevölkerung Westbengalens ist mohammedanisch: der rückständigere Teil. Rache für die Austreibung der Hindus aus. Ostpakistan an den westbengalischen Mohammedanern liegt in der Luft. Die indische Regierung muß nicht nur aus der ganzen Republik Ärzte gegen die Seuche, sondern auch Militär gegen die drohende Rache der Hindus nach Westbengalen bringen.

Für die Naxaliten sprach Emissär AH Tariq: „Hier ist der Himmel für die Revolution Es kann gelingen, Indien und Pakistan in den Zusammenbruch zu treiben. Bengalen ist der Funke.“ Auch die offizielle, die moskautreue KPI, will nicht zu weit zurückstehen. Obwohl Koalitionsgefährte des Indira-Gandhi-Kon- gresses im Bundesstaat Westbengalen, beginnt sie zugleich mitzu- mischen und zu bremsen. Angesichts der drohenden Katastrophe spricht die Regierung der Indira Gandhi mit erstaunlicher Fassung. Jetzt kommt die Kälte der Tochter Nehrus zur Geltung.

Was Pakistan als innerpakistanisches Problem ausgegeben hat, sei ein Problem Indiens. Kein Friede sei auf diesem Subkontinent zu erwarten, wenn den Flüchtlingen nicht die Rückkehr ohne Sanktionen garantiert wird ... „Hindustan Times“ schreibt: „Die Situation an den Grenzen ist so explosiv, daß Indien zur bewaffneten Intervention gezwungen werden könnte.“

Wenn dieser Artikel erscheint, werden wahrscheinlich schon sieben Millionen Flüchtlinge aus Ostpakistan in Westbengalen lagern; die Seuche wütet unter ihnen, aber nicht tödlich genug, die täglichen Getourten in den Flüchtlingslagern auszugleichen. Man muß sich in Erinnerung rufen: Es handelt sich um einen Subkontinent, auf dem so viele Menschen leben wie im kommunistischen China. Die Großmächte sind zur Zeit an diesem Subkontinent nicht mehr interessiert. Sie sind etwas ratlos. Der Geruch von Pulver weckt das Interesse zumindest jener Großmacht, die „Macht kommt aus den Mündungen der Gewehre“ proklamiert. Die treibt ein Doppelspiel; unterstützt das westpakistanische Militärregime- und den extremistischen Sektor der ostbengalischen aufständischen „Nationalen Awami- Liga“. Hilfssendungen nach Indien löschen leider den Krisenherd nicht. Der liegt im westpakistanischen Kolonialregime über Ostbengalen und in seinem Liquidierungsrezept: Zerstörung von Bangia Deäh durch heißen und durch kalten Völkermord.

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