Indiens geistige Brandstifter

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Die religiöse Wahnidee von der Reinheit der Rasse ist - keine sechzig Jahre nach dem Untergang des Dritten Reiches - wieder politisch mächtig. In Indien.

Weiße Hemden, Khaki-Shorts, den rechten Arm vor der Brust angewinkelt, Handfläche nach unten. Nur das Ausstrecken des Armes fehlt noch zum Hitlergruß. Der Vergleich ist nicht ganz abwegig, denn das, was das gute Dutzend Männer jeden Morgen um sechs Uhr im Stadtpark der nordindischen Stadt Benares zusammenführt, ist eine totalitäre, rechte Ideologie.

Die Männer sind Mitglieder des hinduistischen Raschtria Swayam Sewak Sangh, des Nationalen Freiwilligen Bundes, kurz RSS. An zigtausend Orten in ganz Indien treffen sich jeden Morgen die Aktivisten dieses streng hierarchisch organisierten Männerkampfbundes, um sich mit einer Mischung aus Yoga, Gymnastik, Spiel, Exerzierübungen und ideologischer Schulung geistig und körperlich auf ihre Aufgaben für ihr Mutterland - für Hindusthan - vorzubereiten.

Militärisch exakt haben sich die Männer vor einer safranfarbenen Flagge aufgestellt. Es ist die Flagge des Hindu-Heerführers Schivaji, der im 17. Jahrhundert erfolgreich den muslimischen Moghulen Widerstand geleistet hat. Gleichzeitig ist die Safranflagge das Symbol eines zu schaffenden Hindureiches. Eine patriotische Hymne an die heilige Muttererde Indiens und ein emphatisches "Sieg dir, Mutter Indien!" beenden jedes der morgendlichen RSS-Treffen.

Alles fürs Mutterland

"Schakas", zu deutsch "Zweige" nennt man die lokalen Männergruppen oder Zellen, die sich Tag für Tag treffen und das organisatorische Gerüst des RSS bilden. Die Männer sind sympathisch. Da ist beispielsweise der Beamte R.P. Chaurasia, der seit seiner Kindheit beim RSS dabei ist, oder K. D. Pandey, ein Student. Er kommt seit drei Jahren zu den Treffen. Der Eisenbahnschaffner Hemnath Tripathi kommt erst seit Kurzem. Sie alle zählen zur Mittelschicht und gehören den oberen Kasten an. Warum Sie dabei sind? Die Antwort ist immer die gleiche. "Aus Liebe zum Mutterland! Wir sollen dieser Nation dienen und bereit sein, ihr jegliches Opfer darzubringen." erklärt RSS-Mitglied Mahendra Singh. "Wir haben nichts gegen andere Religionen. Jeder ist bei unseren Schakas willkommen. Man muss nur die Safran-Flagge verehren und unsere Tradition befolgen!"

Hinter den schlichten Worten von Indien als dem Mutterland der Hindus verbirgt sich einer der wichtigsten ideologischen Grundsätze des RSS. Indien, so wird behauptet, sei das Land der Hindus, denn nur für die Hindus ist Indien auch ein heiliges Land. Muslime und Christen hingegen hätten ihre heiligen Stätten außerhalb Indiens, ihre Loyalität zu Indien sei also zweifelhaft. Der RSS und die mit ihm assoziierten Gruppen und Bewegungen wollen Indien zu einem Hindustaat umformen. Wobei dem RSS die Aufgabe zukommt, die Ausbildung der dafür nötigen Kader zu übernehmen. "Hindutva", also Hindu-tum nennt sich die gemeinsame Ideologie, die sich auf die Formel bringen lässt: "Ein Land, ein Volk, eine Kultur."

Nicht-Hindus, wie zum Beispiel der Muslim Syed Shahabuddin, ein Anwalt beim Obersten Gerichtshof und ehemaliger Parlamentarier, empfinden das Angebot, sich dem RSS anzuschließen, als zynisch. "Natürlich kann ich einer RSS-Schaka beitreten, aber ich bezahle dafür mit meiner Würde. Und ich bin gezwungen, eine systematische Beschimpfung meiner Vorfahren, meiner Religion und des säkularen Staates hinzunehmen. Wer will das schon?"

Führerprinzip pur

Seit 77 Jahren arbeitet der RSS für den Hindustaat. Gegründet wurde er 1925 von Keschaw Baliram Hedgewar in der mittelindischen Stadt Nagpur, wo der RSS bis heute sein Hauptquartier hat. Der Sohn eines Brahmanen war während seines Medizinstudiums in Kalkutta Mitglied revolutionärer bengalischer Geheimgesellschaften und hatte sich dort mit terroristischen Methoden vertraut gemacht. Zurück in Nagpur begann er nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Hindus zu Beginn der zwanziger Jahre mit dem Aufbau des Nationalen Freiwilligen Bundes. Zunächst eine kleine, auf Nagpur beschränkte militante Stoßtruppe für Hindu-Muslim-Konflikte, hat sich der RSS im Laufe der Jahrzehnte zu einer pan-indischen Organisation mit mehreren Millionen Mitgliedern entwickelt.

An der Spitze des Bundes steht jeweils ein auf Lebenszeit von seinem Vorgänger ernannter Führer. 1940 starb Hedgewar, der Gründer des RSS, und Madhaw Rao Golwalkar trat an seine Stelle. Er war der wichtigste Ideologe der Organisation. In seinen 1966 erschienen "Gesammelten Gedanken" beschreibt er die Ziele des RSS.

"Das Endziel unserer Arbeit ist eine perfekt organisierte Gesellschaft, in der jedes Individuum in die Form des idealen Hindumenschen gegossen wurde und zu einem lebendigen Glied der Gesamtpersönlichkeit unserer Gesellschaft geworden ist.

Natürlich ist das eine Vision, die sich nicht in ein paar Tagen oder wenigen Jahren verwirklichen lässt. Sie bedarf der unermüdlichen, stillen Anstrengung von Hunderten und Tausenden von Missionaren, die sich ganz dieser Sache verschrieben haben."

Die ideologische Schulung der RSS-Mitglieder beginnt früh. Bereits im Schulalter werden die Kinder durch assoziierte Organisationen mit dem hindu-nationalistischen Gedankengut vertraut gemacht. Später folgen Sommerlager, auf denen die Buben bei Sport, Spielen und einer paramilitärischen Ausbildung Gemeinschaftsgefühl erleben und zu einer disziplinierten Bruderschaft zusammengeschweißt werden. Das Wichtigste sind aber die täglichen Treffen in der Nachbarschaft, bei denen sich die Gleichgesinnten zu ihren Übungen in den Schakas zusammenfinden. Für Golwalkar sind sie die Zellen des RSS-Organismus.

"Die Personen, die sich dort versammeln, lernen, einem einzigen Befehl zu gehorchen. Disziplin geht ihnen in Fleisch und Blut über."

Bei den morgendlichen Treffen wirkt die Disziplin ein wenig aufgesetzt, um nicht zu sagen lächerlich. Doch einige Gruppen trainieren auch mit Bambus-Schlagstöcken und dann gewinnt das ganze einen durchaus martialischen Charakter. Das militante Gehabe erinnert dann an die Schlägertrupps der Nazis. Und tatsächlich haben die Ideologen des RSS die Nationalsozialisten und ihre Organisation als das große Vorbild bewundert.

NS-Diktion auf indisch

"Um die Reinheit ihrer Rasse und ihrer Kultur zu bewahren, haben die Deutschen die Welt schockiert, indem sie ihr Land von der semitischen Rasse reinigten - von den Juden. Das war die deutlichste Manifestation des Rassenstolzes. Deutschland hat auch gezeigt, dass es für Rassen und Kulturen, die grundlegende Differenzen aufweisen, fast unmöglich ist, sich in einem vereinigten Ganzen zusammenzuschließen. Eine wertvolle Lektion, die wir in Hindusthan zur Kenntnis nehmen sollten."

Im Gegensatz zu den Nazis geht es den Hindu-Nationalisten aber nicht um eine physische Eliminierung der Nicht-Hindus, sondern sie fordern eine kulturelle Angleichung an die Hindu-Mehrheit.

"Die fremden Rassen in Hindusthan müssen die Kultur und Sprache der Hindus annehmen, sie müssen lernen, die Hindu-Religion zu respektieren und zu verehren, und sie dürfen keine anderen Vorstellungen pflegen, als die der Verherrlichung der Hindu-Rasse und -Kultur. Ansonsten können sie zwar im Land bleiben, doch völlig der Hindu-Nation untergeordnet, ohne Forderungen, ohne den Anspruch auf jegliche Rechte, von Sonderrechten ganz zu schweigen. Sie werden nicht einmal Bürgerrechte haben."

Golwalkar, der zweite Führer des RSS, war nicht nur ein bedeutender Ideologe sondern auch ein hervorragender Organisator. Unter seiner Leitung rief der RSS ein dichtes Netzwerk von Organisationen ins Leben, die der gleichen Ideologie anhängen und auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind. Man spricht vom Sangh Pariwar, der Sangh-Familie. Dazu zählen zum Beispiel die bereits 1936 gegründete Frauenorganisation, der allindische Studentenrat, der die größte Studentenorganisation Indiens bildet, oder der Indische Arbeiterbund. Einen Schwerpunkt bilden diverse Erziehungsinstitution und Lehrervereinigungen. Die RSS-nahen Organisationen verfügen nach der Regierung über die meisten Bildungseinrichtungen Indiens. Zur Sangh-Familie gehören Organisation, die mit den indischen Ureinwohnern arbeiten, ebenso wie historische und literarische Gesellschaften, der indische Bauernbund ebenso wie Institutionen zur Verbreitung des Sanskrit oder Rettungsorganisationen, die den Opfern von Naturkatastrophen beistehen. Die Liste ist schier endlos und erstreckt sich über alle Lebensbereiche.

Eine der einflussreichsten Organisationen ist die Vishwa Hindu Parishad, der Welt-Hindu-Rat. Er wurde 1964 als Sprachrohr der Hindus gegründet und umfasst viele der wichtigsten Hindu-Würdenträger. Der Welt-Hindu-Rat ist weltweit aktiv. Sektionen existieren auch in Deutschland, besonders aber in Großbritannien und den USA, wo er auch seine großzügigsten Geldgeber hat. Jahr für Jahr überweisen sie Millionen-Dollar-Beträge nach Indien.

Tausendfache Blutspur

Kritiker werfen dem Welt-Hindu-Rat vor, dass er eine sehr enge und beschränkte Version des Hinduismus propagiere, einer Religion, die gerade für ihre Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit bekannt ist.

Seit seiner Gründung hat der Welt-Hindu-Rat zahlreiche Aktionen initiiert, die Konflikte zwischen Hindus und Muslims herbeigeführt haben. Er organisiert zum Beispiel religiöse Prozessionen. Nicht selten führen sie durch Muslimenviertel und es werden dabei Parolen gerufen wie: "Für Muslime gibt es nur zwei Orte: Pakistan oder Qabristan - den Friedhof!". Regelmäßig kommt es dabei zu gewalttätigen Ausschreitungen. Diese provokanten Demonstrationen ziehen eine Blutspur von Tausenden von Toten nach sich.

Höhepunkt der anti-muslimischen Agitation war die Zerstörung der Babri-Moschee am 6. Dezember 1992 in Ayodhya. Angeblich befände sich der Geburtsort des Hindugottes Rama genau unter der Moschee. Archäologen können das freilich nicht bestätigen. Die Bilanz der anschließenden Ausschreitungen: 1.200 Tote in Ayodhya, über 1.000 Tote in Bombay und viele weitere Tausend in ganz Indien.

Der Welt-Hindu-Rat und die anderen Organisationen der hydraköpfigen Sangh-Familie haben durch die Mobilisierung der Hindus die Ernte vorbereitet, die die BJP im April 1998 einfahren konnte. Die BJP, die Bharatiya Janta Party oder Indische Volkspartei ist der politische Arm des RSS. Sie wurde 1980 vom heutigen Premier Atal Behari Vajpayee gegründet, der wie alle BJP-Minister seine ganze politische Prägung durch den RSS erhielt. Als stärkste politische Kraft steht sie an der Spitze einer Koalitionsregierung. Unter anderem katapultierte sie Indien kurz nach ihrem Amtsantritt in die Riege der Atommächte.

Aus Rücksichtnahme auf die Koalitionspartner kann die BJP nicht die radikal-hindu-nationalistische Politik betreiben, die sich der RSS gewünscht hätte. Auch hat sich die BJP in den letzten Jahren deutlich vom RSS distanzieren können, doch im Erziehungswesen und der Wissenschaftspolitik ist der Einfluss der Hindunationalisten noch immer sehr stark.

Nicht wenige halten auch Premier Vajpayee trotz seines liberalen Auftretens im Kern für einen RSS-Mann. In einem Essay hat er einmal geschrieben: "Der Sangh ist meine Seele!"

Der Autor ist freier Print- und Hörfunkjournalist.

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