"Das Evangelium kennt keine Klassen"

19451960198020002020

Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Alan de Lastic, Erzbischof von Delhi, ist unerschrockener Kämpfer für die Rechte der Armen in Indien. Doch fanatische Hinduorganisationen fürchten die politische Sprengkraft des Evangeliums und antworten mit Gewalt.

19451960198020002020

Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Alan de Lastic, Erzbischof von Delhi, ist unerschrockener Kämpfer für die Rechte der Armen in Indien. Doch fanatische Hinduorganisationen fürchten die politische Sprengkraft des Evangeliums und antworten mit Gewalt.

Werbung
Werbung
Werbung

'dieFurche: Ende des letzten und Anfang dieses Jahres gab es in Indien eine Welle der Gewalt gegen Christen: Kirchen brannten, Nonnen wurden vergewaltigt und ein baptistischer Missionar wurde mit seinen beiden Kindern in einem Wohnwagen bei lebendigem Leib verbrannt. Wer steckt hinter diesen Gewalttaten?

Alan de Lastic: Zuerst will ich ganz deutlich sagen: Das ist kein Angriff von Hindus gegen Christen! Das ist der Angriff einer kleinen fanatischen Gruppe, die gar nicht das Recht hat, sich Hindus zu nennen. Hindus sind sehr tolerant. Die große Mehrheit von ihnen hat uns verteidigt.

dieFurche: Wie schätzen Sie die Lage heute ein? Haben diese fanatischen Hindus an Einfluß gewonnen?

de Lastic: Im Moment gibt es keine Angriffe, aber ich habe den Eindruck, daß der Fanatismus schlimmer wird. Die BJP, die Indische Volkspartei, ist die stärkste Gruppe in der derzeitigen Regierungskoalition. Sie ist der politische Arm der hinduchauvinistischen Sangh Parivar, der "Hindu-Familie". Das ist ein Zusammenschluß radikaler Organisationen, die ganz Indien mit ihrer Ideologie hinduisieren wollen: "Ein Volk, eine Nation, eine Kultur."

dieFurche: Was tut die Regierung, um die Christen zu schützen?

de Lastic: Premierminister Atal Behari Vaipayee (BJP) ist ein Freund von mir. Persönlich ist er ein guter Mann, der die radikalen Hindus selbst als Verrückte bezeichnet. Politisch ist er sehr schwach, er hat immer Angst um seinen Job! Ich habe ihm offen gesagt: Du hast für die christlichen Kirchen nichts getan, überhaupt nichts! Du hast die Angriffe gegen Christen zwar öffentlich bedauert und eine große Show abgezogen - und zu Weihnachten haben unsere Kirchen gebrannt!

dieFurche: Was befürchten diese radikalen Hindu-Parteien denn bei rund 960 Millionen Indern von 2,5 Prozent Christen?

de Lastic: Die kleine Zahl täuscht. Die Christen genießen großes Ansehen und sind eine starke moralische und spirituelle Macht. Wir leisten gute Arbeit in Schulen und Spitälern. Wir unterrichten jedes Jahr vier Millionen Kinder! Wieviele Schulen hat denn die BJP? Sehr wenige. Und wieviele arbeiten für die Leprapatienten, für Blinde und Arme?

Diese radikalen Hindus sind eifersüchtig und haben Angst. Sie kämpfen gegen die Christen, weil das Evangelium keine Klassen kennt. Es zerbricht das Kastensystem, das eines der größten Übel Indiens ist. Wir müssen diese ungerechten Strukturen ändern.

dieFurche: Die radikalen Hindus werfen der Kirche vor, daß sie ihre Arbeit für die Armen benutzt, um neue Christen zu gewinnen.

de Lastic: Und sie werfen uns Zwangskonversionen vor, ich weiß. Aber es gibt keine erzwungene Konversion - so wenig wie es erzwungene Liebe gibt. Ich verberge es nicht: Ja, es gibt Massenkonversionen. Vor allem die "Church of the Tribals", die Kirche der Ureinwohner in Zentral- und Nordostindien, wächst sehr schnell. In zehn Jahren ist hier der Anteil der Christen von 15 auf 60 Prozent gestiegen. Diese junge, fröhliche Kirche evangelisiert sehr stark. Viele bekehren sich, oft zwanzigtausend in einem Jahr an einem Ort. Da müssen wir manchmal regelrecht bremsen und sagen: Langsam, langsam!

Die Leute fragen mich oft: "Vater, was muß ich tun, um zu konvertieren?" Dann sage ich immer: "Du mußt die Zehn Gebote einhalten. Aber ich sage dir gleich: Wenn du konvertierst, wirst du keine Arbeit mehr haben und verfolgt werden!" Und dann konvertieren sie trotzdem!

dieFurche: Wieso verlieren Konvertiten ihre Arbeit?

de Lastic: Wenn ein Dalit, ein Unberührbarer, Christ wird, fällt er aus dem Kastensystem heraus und verliert alle Privilegien, die er hatte, beispielsweise staatliche Hilfe und politische Ämter. Aber seine soziale Situation ändert sich durch die Konversion nicht. Er bleibt ja arm!

Wenn Du Sikh wirst, kannst du deine Privilegien behalten. Wenn du Buddhist wirst, auch. Wenn du dich aber in den Mantel des Christentums hüllst, dann verlierst du alles. Das ist religiöse Diskriminierung, und dagegen kämpfen wir. Die Regierung darf keine Religion bevorzugen. Das versteht man in Indien unter dem Begriff Säkularismus.

Ich habe so oft zu unserer Regierung gesagt, daß dieses ganze System ungerecht ist, denn ich habe keine Angst. Mir ist es egal, wer auf dem Thron der Macht sitzt. Dann argumentieren sie immer, daß sie erstens kein Geld hätten, und daß zweitens das Land gespalten würde ohne Kastensystem. Ich sage dann immer: Das Land ist doch schon gespalten! Und Geld für Atombomben ist anscheinend da!

dieFurche: Die radikalen Hindu-Parteien behaupten, daß das Christentum eine ausländische Religion sei, und damit Teil der "kulturellen Invasion des Westens".

de Lastic: Wielange muß man eigentlich in einem Land sein, um dazuzugehören? Wir sind seit zweitausend Jahren in Indien, und sie sagen, wir seien keine Inder. Das trifft mich! Jesus stammte nicht aus dem Westen, sondern aus Asien. Und Buddha, der übrigens selbst das Kastensystem bekämpft hat, stammt auch aus Asien.

dieFurche: Sehen Sie trotz der politischen Auseinandersetzungen in Indien Ansätze zu einem Dialog zwischen Christentum und dem Hinduismus?

de Lastic: Es gibt natürlich Berührungspunkte: Auch die Hindus kennen göttliche Inkarnationen, allerdings in Tiergestalt. Für uns Christen nimmt Gott Menschengestalt an. Aber die Idee ist dieselbe: Gott kommt herunter. Die Schwierigkeit für einen Hindu ist es zu begreifen, wie Gott sich mit Materie vermischen kann. Hindus glauben, daß man die Materie loswerden muß. Wir Christen dagegen glauben, daß alles von Gott erschaffen wurde, und daher heilig ist. Deshalb kämpfen wir ja auch für die Würde des Menschen.

Sehr schwierig zu verstehen ist für einen Hindu auch, daß das Christentum eine sehr historische Religion ist. Die Gottheit Rama ist keine historische Tatsache. Sie existiert im Herzen. Das Christentum dagegen spielt sich in Zeit und Raum ab.

dieFurche: Sie verstehen Ihren Einsatz als Christ durchaus im politischen Sinn. Inspiriert Sie die Theologie der Befreiung?

de Lastic: Ja, Teile der Theologie der Befreiung gefallen mir und inspirieren mich. Ich halte allerdings überhaupt nichts von parteipolitischen Auseinandersetzungen. Ich halte mehr von der Kraft der Tugenden und der inneren Werte.

dieFurche: Aber Sie wollen im September bei den Neuwahlen in Indien politische Veränderungen?

de Lastic: Ja. Aber wir Bischöfe können dafür nichts tun. Unsere Aufgabe ist eine moralische, spirituelle. Die politischen Veränderungen müssen die Laien herbeiführen. Wir geben den Leuten nur die Empfehlung, für diejenigen Parteien zu stimmen, die sich für die Armen einsetzt und die gegen die Korruption kämpft.

dieFurche: Wie werden die Christen Indiens in Zukunft mit den Angriffen gegen sie umgehen?

de Lastic: Wir werden beten und weitermachen mit unserer Arbeit für die Armen. Das Christentum muß das Gewissen der Nation sein, wenn die Regierung ihre Pflicht versäumt! Wir wollen keine Rache und keine politische Gewalt, sondern wir wollen unsere Ziele mit friedlichen Mitteln erkämpfen. Wir schlagen nicht zurück. Deshalb sind wir ja auch ein so gutes Ziel für Angriffe. Vor den Muslimen haben sie Angst, weil die sich wehren. Und dann gibt es ein Blutbad in Indien! Der Haß gegen die Muslime ist groß, viel größer als der gegen die Christen. Sie sind das eigentliche Ziel der Angriffe. Das hat historische Wurzeln in der dreihundertjährigen Fremdherrschaft der Muslime in Indien.

dieFurche: Haben Sie keine Angst vor einer neuen Welle der Gewalt?

de Lastic: Wir Christen haben mehr Kraft als je zuvor. Wir sprechen mit einer Stimme: Katholiken, Orthodoxe und Protestanten. Die "Christliche Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte" (UCFHR) hat nach den Angriffen zu Demonstrationen und zu einem Tag des Protests aufgerufen. Das Spitalspersonal trug schwarze Armbinden, die Schulen waren geschlossen. Zum ersten Mal haben wir offen protestiert. Wir haben öffentlich im Fernsehen gepredigt, und an diesem Tag gebetet und gefastet. Die Hindus respektieren diese spirituelle Kraft.

Die Frau des verbrannten Missionars sagte im Fernsehen, daß sie den Mördern ihres Mannes vergibt. Was für ein Gottesgeschenk an uns, dieses Glaubensbekenntnis! Nein, wir haben keine Angst mehr!

Das Gespräch führte Angelika Walser.

ZUR PERSON Vom Schiffsbauer zum Erzbischof Alan de Lastic, geboren 1929 in Burma, ist seit 1991 Erzbischof von Delhi (Indien) und seit kurzem auch Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz Indiens. Sein Lebensweg führte ihn von Kalkutta, wo er fünf Jahre als Schiffsbau-Lehrling arbeitete, bis nach Rom und Dublin, wo er seine Ausbildung als Priester absolvierte. De Lastic kennt die großen Herausforderungen der indischen Kirche - Armut, Bildungsmangel und Verstädterung - aus eigener Erfahrung: Von 1962 bis 1979 arbeitete er in Indien als Seelsorger in Pfarren und Schulen. 1979 wurde er von Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof von Kalkutta geweiht und 1984 zum Bischof von Lucknow ernannt. In Kalkutta arbeitete de Lastic eng mit Mutter Theresa und ihrem Orden zusammen. Der heutige Erzbischof von Delhi ist auch politisch aktiv: Er wurde vom ehemaligen indischen Premierminister zum Mitglied des Nationalen Rates für Integration berufen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung