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Das Jahrzehnt der Unterdrückten
Auch wenn außer den üblichen spendenbringenden Klischees über Indiens katholische Kirche kaum etwas bekannt ist, so befindet diese sich in einem umfassenden Aufbruch. Nicht nur, daß der alte unter der Oberfläche schwelende Ritenkonflikt zwischen dem von europäischen Missionaren eingeführten lateinischen Ritus und den schon vorher etablierten syro-malabari-schen (soll auf den Apostel Thomas zurückgehen) und den syro-malan-karischen Ritus („zurückgekehrte" Orthodoxe) gelöst wurde, auch die Basis, die Laien, werden aktiver.
Damit tauchen die alten sozio-demographischen Probleme auf. Fast 70 Prozent der Katholiken Indiens leben in den vier südlichen Staaten, die jedoch weniger als 25 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Im politisch wichtigeren Zentralland und im Gangesbecken konnte die katholische Kirche keinen Fuß fassen, dafür in der Peripherie, im Norden und Nordosten Indiens.
Anfangs versuchte die katholische Kirche über die höheren Kasten das Land zu missionieren. Dies schlug fehl und man mußte sich vor allem mit den Kastenlosen bescheiden. Um als Außenseiter der indischen Gesellschaft anerkannt zu sein, versuchte die Hierachie, das Ansehen der Hindus durch besondere Nützlichkeit im Bildungs- und Gesundheitswesen zu gewinnen und errichtete vor allem höhere Schulen für die Oberschichten. Die pa-storale Arbeit baute sehr stark auf den Einsatz der Priester auf. Obwohl es viel mehr Ordensschwestern als Priester gibt und die Wachstumsraten in den vergangenen Jahren groß sind, wurden Ordensfrauen nur in traditionellen Hilfsdiensten (Schulen, Krankenhäuser) ohne pastorale Verantwortung eingesetzt.
Mittlerweile beginnen die bisher eher passiven Laien sich zu engagieren und eine Neuausrichtung der Kirche Indiens zu verlangen. Beim „Nationalen Treffen der Katholiken" im Sommer 8 9 in Bombay forderten sie, in den nächsten fünf Jahren den Vorrang der Ausbildung von Laienführern einzuräumen und besonders Frauen aus den sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen.
Im Kampf gegen die Kastendis-kriminierung haben die Laien die neunziger Jahre zum Jahrzehnt der Dalit-Christen ausgerufen. „Dalits" heißt wörtlich „die Unterdrückten" und ist die neuere Bezeichnung für die Kastenlosen, die Un-berührbaren. Die Arbeit in Ausbil-dungs-, Gesundheits- und anderen Entwicklungsbereichen soll neu auf die Ärmsten ausgerichtet werden. Im Erziehungsbereich soll der jahrelange Trend zur Errichtung höherer Schulen umgekehrt werden und die leicht zurückgegegangene Zahl der Grundschulen, die vor allem den Armen zugute kommen, wieder erhöht werden. Auch die Kastendiskriminierung in der Kirche selbst soll beseitigt und die Arbeitsbedingungen für Hausangestellte in katholischen Familien und für Beschäftigte in von Katholiken geführten Firmen sollen verbessert werden.
Es gibt sogar so etwas wie eine „Befreiungstheologie soft", als deren wichtigster Vertreter der Leiter der Caritas Indiens, P. Yvon Am-broise gilt.
Auf die Unterstützung der pasto-ralen Weiterentwicklung der Kirche Indiens haben sich die Katholische Jungschar und die Katholische Frauenbewegung Österreichs spezialisiert. Die Frauenbewegung ist eine Partnerschaft mit der Caritas Indien eingegangen und unterstützt Projekte des von Jesuiten, Theologen und Sozialarbeitern betriebenen „Indian Social Institute". Dabei geht es um dezentrale, interkonfessionelle Sozialprojekte in Dörfern, wo katholische Laienführungskräfte ausgebildet werden und die Ausbildungs- und Bewußtseinsarbeit in Frauengruppen unterstützt werden. Geld wird über das alljährliche Familienfasten-opfer aufgetrieben.
Die Jungschar hilft der „Jyotirmai"(„Erleuchtungs")-Bewegung. Sie kam in den fünziger Jahren auf, als es Hindu-Fundamentalisten gelungen war, die Ausweisung ausländischer Missionare zu erreichen, und die indische Kirche vor dem Problem stand, selbst für die Ausbildung ihres geistlichen Nachwuchses sorgen zu müssen. Jyotirmai ist hauptsächlich in Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung tätig.
Über Projekte und Arbeitsschwerpunkteentscheiden Priester, Ordensschwestern und Laien gemeinsam in der Generalversammlung autonom über die von den Partnerorganisationen in Europa gesammelten Gelder.
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