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Man kehrte nichts unter den Teppich

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Das Welttreffen der christli- chen Kirchen für „Gerech- tigkeit, Frieden und Bewah- rung der Schöpfung“ in Seoul ist keineswegs ge- scheitert, sondern setzte wichtige Akzente.

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Das Welttreffen der christli- chen Kirchen für „Gerech- tigkeit, Frieden und Bewah- rung der Schöpfung“ in Seoul ist keineswegs ge- scheitert, sondern setzte wichtige Akzente.

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Bei jeder größeren christlichen Versammlung sind Akzentsetzun- gen entscheidender und für die Wirkungsgeschichte bedeutender als Beschlüsse und Inhalte langer Reden. Jede größere Versammlung ist selbst eine Akzentsetzung und setzt selbst wieder Akzente. Wel- che Akzente setzte Seoul?

Aus Medienberichten, vor allem aber aus den Begegnungen mit den aus Seoul zurückgekehrten Teilneh-

mern - Sr. Maria Andreas Weißba- cher, die Besucherin der Weltver- sammlung war, und Rektor Werner Wehrenfennig, der offizieller Dele- gierter der Evangelischen Kirche A.B. in Seoul war - heben sich fol- gende Akzente heraus.

„Ich erlebte sehr tief das Fehlen der katholischen Kirche in Seoul, vor allem bei den Gottesdiensten. Meine Gefühlswelt schwankte zwi- schen Zorn, Wut und Trauer.“ Worte, die Sr. Maria Andreas in ihrem Vortrag über Seoul beim VI. Ökumenischen Netztreffen in Inns- bruck vergangenes Wochenende gesprochen hat. Sie erzählte von der Überraschung auf Seiten der zwanzigköpfigen vatikanischen Delegation, als diese den gut 100 katholischen Besucherinnen in Seoul begegnete.

Bekanntlich lehnte Rom eine Mitverantwortung an der Weltver- sammlung ab und war dann ledig- lich mit zwanzig nicht stimmbe- rechtigten Beraterinnen in Seoul vertreten. Dennoch kann auch die- se minimale offizielle Teilnahme als positive Einstellung Roms gegen- über der Weltversammlung gewer- tet werden. Der Akzent wurde je- doch durch die katholischen Besu- cherinnen gesetzt. Sie konnten die römische Entscheidung zur nicht mitverantwortenden Teilnahme etwas „korrigieren“.

Der Generalsekretär des Öku- menischen Rates der Kirchen (ORK), Emilio Castro, nannte die Absenz katholischer Delegierter einen „ökumenischen Unfall“. Die Unfallursachen lagen nicht nur in der Haltung Roms. Hätte der Welt- kirchenrat anstelle der vatikani- schen Zentrale die kontinentalen Bischofskonferenzen zur vollen Teilnahme eingeladen, so hätte die Weltversammlung eventuell uni- versal ökumenisch sein können. Die Unfallfolgen wurden jedenfalls durch die starke Präsenz der ka- tholischen „Visitors“, unter ihnen 30 Ordensleute und drei Österrei- cher, geheilt. Eine heilende Hand- lung war die Begegnung der vati- kanischen Delegation unter der Leitung eines neuseeländischen Bischofs mit den Katholikinnen im Besucherstatus. Aus dieser Begeg- nung entstand eine offizielle ka- tholische Grußbotschaft an die Versammlung, die namens der Päpstlichen Kommission für Ge- rechtigkeit und Frieden und des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen verabschiedet wurde.

Wegen vatikanischer Redaktion zwar weniger deutlich als Ursprung-

lieh vorgesehen, dennoch unmiß- verständlich drückten die katholi- schen Teilnehmerinnen in dieser Grußbotschaft ihre Bereitschaft zur Weiterarbeit im konziliaren Pro- zeß, ihre Zustimmung zur Weltver- sammlung und ihre Bitte um Ver- zeihung wegen ökumenischer Feh- ler aus: „Unser Glaube ermächtigt und verpflichtet uns, daß wir ge- duldig und bescheiden für das Wachstum der ökumenischen Gemeinschaft arbeiten. Wir wissen um die Notwendigkeit der Verge- bung von Gott und voneinander. Wo immer möglich, sind wir ver- pflichtet zur Zusammenarbeit für Gerechtigkeit, Frieden und Bewah- rung der Schöpfung, wo wir leben und arbeiten.“

„Viele der Beiträge zu den The- men des konziliaren Prozesses sind zu abstrakt und für unsere Ohren zu männlich.“ Solche feministische

Kritik, geäußert von einer Frau im Versammlungsplenum, blieb nicht unerhört. Die Delegierten, unter ihnen rund 40 Prozent Frauen, blie- ben nicht stumm gegenüber der himmelschreienden Not und Un- terdrückung, von der besonders Frauen betroffen sind. Die Wirkun- gen eines eigenen Frauenforums mit 150 Teilnehmerinnen im Rahmen der Versammlung beschränkten sich nicht darauf, Auswege aus patriarchalen Strukturen einzufor- dern, sondern prägten den Gesamt- charakter.

„Auffallend bei den Gottesdien- sten war die starke Prägung durch die leitenden Frauen“, sagte Sr. Maria Andreas. Dort blieb es nicht bei Worten. Es wurde getanzt,

Analysen wurden mit theatrali- schen Mitteln aufgezeigt, Forderun- gen in Poesie gekleidet. Es wird wohl kein Zufall gewesen sein, daß die (noch) einzige Bischöfin (von der anglikanischen Kirche der USA) bei .einem Gottesdienst predigte. Der aus diesem Anlaß demonstrati- ve Auszug orthodoxer männlicher Delegierterzeigt jedenfalls, daß das Zeichen für eine Vision einer ge- schwisterlichen Kirchenstruktur verstanden worden ist.

In den Affirmationen, die genau- so wie die Bundesschlüsse von den Delegierten auf der Weltversamm- lung fast einstimmig angenommen wurden, heißt es: „Deshalb ver- pflichten wir uns, ermutigt von der Beharrlichkeit der Frauen in ihren Bemühungen um die Bewahrung des Lebens in aller Welt, nach einer neuen Gemeinschaft von Frauen und Männern Ausschau zu halten.“ Strukturen, die eine „Mitwirkung an den Entscheidungsprozessen in Kirche und Gesellschaft verweh- ren“, müssen überwunden werden.

„Am stärksten beeindruckt war ich von den Zeugnissen der Men- schen aus der Dritten Welt.“ Was in diesen Worten Rektor Wehrenfen- nig formulierte, unterscheidet sich nicht im geringsten von den Erzäh- lungen von Sr. Maria Andreas. Europäerinnen und Nordamerika- nerinnen waren zwar unter den 398 anwesenden Delegierten deutlich überrepräsentiert (70 aus den USA, sieben aus Kanada, 124 aus Euro- pa, 65 aus Afrika, 70 aus Asien, 28 aus Lateinamerika, 14 aus der Karibik...), sie wurden auf der Weltversammlung aber förmlich zur Anteilnahme mit der Not der verarmten und unterdrückten Menschen des Südens gezwungen. Zeugnisse vom Schreien dieser Völker und ihrer Kämpfe für Ge- rechtigkeit waren Elemente der langen Gottesdienste, mit denen jeder Tag der Versammlungswoche begonnen wurde.

Was sich als Reaktion darauf auf Papier festhalten läßt, steht zum Teil in den Affirmationen und Bundesschlüssen. Da werden bei- spielsweise Schritte zur Befreiung von der Last der Auslandsschulden genannt und Anforderungen an eine Weltwirtschaftsordnung gestellt, die mit dem herrschenden markt- wirtschaftlichen System des Welt- handels kaum Gemeinsamkeiten

haben. Es waren auch vor allem die Stimmen aus der Dritten Welt, die das Thema „Gerechtigkeit“ zum zentralen Thema der Weltversamm- lung machten.

„Es war für mich eine neue Er- kenntnis, daß es mit den Latein- amerikanern kaum mehr möglich ist, über gewaltfreie Konfliktlösun- gen zu reden.“ So Sr. Maria An- dreas. Unisono dazu Rektor Weh- renfennig: „Lateinamerikaner ta- ten sich schwer mit Formulierun- gen, die auf prinzipiellen Gewalt- verzicht hinauslaufen.“ Zu dieser Frage gab es Kontroverspositionen. Anhand der Behandlung dieser Frage kann aber beispielhaft auch wieder der Wert und die Funktions- fähigkeit der Weltversammlung erkannt werden.

Das Miteinanderringen um das richtige Wort auf der Basis der gemeinsamen christlichen Bot- schaft einerseits und der politischen und wirtschaftlichen Realität an- dererseits soll anstrengend und mühsam gewesen sein. Ja, es gab Spannungen und Konflikte. So sehr, daß einige Journalisten schon vor Ende der Versammlung ein Schei- tern präjudiziell hatten. Agentur-

meidungen strichen die strittigen Punkte hervor und ließen so ein Bild einer mißglückten Versamm- lung entstehen. Rektor Wehrenf en- nig räumte mit diesem Bild auf. Es mache gerade Seoul so wertvoll, sagte er auf einer Pressekonferenz, daß Konflikte weder vom Tisch gewischt noch unter den Teppich gekehrt wurden.

Um Einigkeit wurde bis zuletzt gerungen. Auch in der Frage der revolutionären Gewaltanwendung. Die errungene Formulierung in dieser Frage lautet: „Wir verpflich- ten uns zu Frieden auf der Grund- lage der Gerechtigkeit. Deshalb werden wir uns tatkräftig für eine Kultur der Gewaltlosigkeit einset- zen ...“ Elemente dieser „Kultur der Gewaltlosigkeit“ finden sich im zweiten Bundesschluß: Überwin- dung der Institution des Krieges, Ablehnung der Praxis der Ab- schreckung, Einstellung von Waf- fenhandel...

„Es widerspricht dem konzilia- ren Prozeß, wenn Seoul als Höhe- punkt und nicht als eine Station verstanden wird.“ So Bischof Mi- chail Staikos von der griechisch- orthodoxen Kirche in Österreich in einer Stellungnahme kurz nach der Weltversammlung. Seoul war eine Station. Sie kann den konziliaren Prozeß an den vielen „kleinen“ Orten in Österreich beleben. Die Akzente der Weltversammlung ermutigen, provozieren, fordern heraus - auch für die lokale und konkrete Arbeit. Seoul war kein Endpunkt. Auf einem Vortrag in Innsbruck träumte Weihbischof Florian Kuntner vergangenes Wo- chenende von einem „Weltkonzil“, wo die Kirchen die volle eucharisti- sche Gemeinschaft leben werden und mit einer Stimme sprechen werden. So eine „Versammlung“ sollte laut Carl Friedrich von Weiz- säcker aber nicht eine Woche, wie in Seoul, dauern, sondern einen ganzen Monat.

Der Autor ist unter anderem Koordinator des Ökumenischen Netzes in Österreich und Mit- glied der Gemeinsamen Arbeitsgruppe Öster- reichische Bischofskonferenz/Ökumenischer Rat der Kirchen in Österreich.

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