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Aufbruch in Basel

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Basel war eine Reise (und einen “Pilgerlnnenweg“) wert. Für gründliche. Arbeit wären freilich nicht sieben Tage, sondern mindestens sieben Monate notwendig.

Nach einer Woche Einüben von “Frieden in Gerechtigkeit“, haben dieDelegierten, Mit-Arbeitende ans ökumenischen Initiativen und interessierte Besucher dieser ersten wirklich ökumenischen Konferenz der Neuzeit in Basel gemeinsam die Vision einer geeinten Christenheit ein gutes Stück weiterentwickelt.

Offiziell war die Konferenz der europäischen Kirchen als ein Schritt im “konziliaren Prozeß“ hin zur Weltvers ammlung über “Gerechtig-

keit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ konzipiert, die sich im Frühjahr 1990 in Seoul (Südkorea) treffen soll. Daß die Beratung eines Gremiums von 638 Delegierten aus (fast) allen Kirchen Europas (mit Ausnahme von Albanien) diese Größe und Eigendynamik erreichte, konnte niemand voraussehen. Sonst hätte wohl die Verantwortlichen eine Angst vor ihrer Coinage befallen.

Einen wesentlichen Anteil daran hatten unter anderem christliche Initiativgruppen, die zum Teil in “Ökumenischen Netzen“ Zusammenarbeiten. Die Österreicher und Österreicherinnen bereiteten sich auf einem “Pilgerlnnenweg“, der von Wien und Graz aus nach Westen zog, in Stationen auf die Beratungen brennender Probleme vor. Flüchtlinge, Arbeitslose, von Atomgefahren, Militarismus oder Transitverkehr Betroffene, um nur einige zu nennen, fanden in Basel in den Kojen der “Zukunftswerkstätte Europa“, bei Seminaren im “Peace House“, auf dem “Frauenschiff“, im “Ökumenischen Jugendtreffen“ und vor allem bei den “Hearings“ in den Pfarrkirchen Informationen und Begegnungen mit Gleichbetroffenen.

Kirchenasylgruppen hielten zum Beispiel mjt politischen Flüchtlingen vor dem Münster eine Mahnwache. Sie schilderten die Grenzen von einer bedrückenderen Seite als jene 6000 Friedenspilger, die ohne Behinderung durch Zollformalitäten über das Drei-Länder-Eck marschieren konnten. Auch wenn es E Gr- Befürworter (wie der Brite Anthony Steel) lautstark dementierten, wirkt das geeinte (West-)Europa von 1992 auf viele wie eine Festung der Besitzenden. In der Warnung vor den sozialen und ökologischen Gefahren dieser Integrationspolitik waren sich Sprecher aus osteuropäischen, neutralen Ländern und aus anderen Kontinenten einig.

Ein eigenständiges Konzept eines geeinten Europa, wie es auch der Arbeitskreis 13 forderte, wurde leider nur in Ansätzen deutlich. Zu Recht beklagten sich viele der Osteuropäer über den “westlich geprägten Ablauf der Konferenz“, der der Dynamik von Veränderungen in ihren Ländern zu wenig entgegenkomme. Besonders eindrucksvoll waren die Initiativen aus der DDR mit ihrem großen Infostand und jungen Mitarbeitern, von denen elf zum ersten Mal ausreisen durften, präsent. Die CSSR-Behörden blieben leider ihrer Politik treu und verweigerten Vaclav Maly, einem katholischen Priester, der als Berater eingeladen war, den Reisepaß. Trotz allem aber schimmerte in den vielen Ost-West-Begegnungen etwas von der Vision eines “gemeinsamen Hauses Europa“ durch.

Viele der Mitarbeiter bekamen ausgerechnet im “freien Westen“ einen - gar nicht so billigen - Schlafplatz im Atombunker zugewiesen, obwohl ein Drittel der Privatquar tiere leer blieb. Sie konnten so fast eine Woche lang Nacht für Nacht Zivilschutz am eigenen Leib erleben. Die wenigen Delegierten (darunter auch Österreicher), die bei ihnen Quartier bezogen, konnten sich davon überzeugen, wie sicher die wertvollen Basisleute gelagert wurden.

“Und das Wort ist Papier geworden und hat über uns geherrscht.“ Mit dieser provokanten Paraphrase auf ein Bibelwort versuchte ich bei der Schlußpressekonferenz von der Konferenzleitung etwas über die Vorstellung einer weiteren und intensiveren Einbindung und - organisatorischen und finanziellen - Unterstützung von Basisinitiativen zu bekommen.

Obwohl auch dieses Mal die Antworten eher vage und imverbindlich blieben, bemühten sich die beiden Präsidenten (Kardinal Carlo Maria Martini und der russischorthodoxe Metropolit Alexy) und die Sekretäre (Bischofsvikar Ivo Fürer von der katholischen und Jean Ziegler von der reformatorischen Europakoordination der Kirchen) den Eindruck zu korrigieren, daß Zeit druck, Geschäftsordnung und andere Mechanismen den Dialog mit den Delegierten zu kurz kommen ließen. “ Gemeinsam müssen wir ims darum bemühen, daß das Wort auch wieder Fleisch wird“, war gemeinsamer Konsens.

Wie das in die Praxis umgesetzt werden kann, bleibt den einzelnen Kirchen überlassen, die autonom entscheiden können, ob und wie sie die Empfehlungen verwirklichen wollen. Die Selbstverpflichtung der Delegierten sei nur ein erster Schritt dazu. Gemeinsam mit den am “Konziliaren Prozeß“ mitbeteiligten Initiativen werden sie innerhalb ihrer Kirchen und auch in den politischen Entscheidungsgremien mit einem entsprechenden Nachdruck für die Umsetzung der Forderungen eintreten müssen.

Die Geschäftsordnung verhinderte es, daß Forderungen zu aktuellen Problemen noch bei der Beratung des Schlußdokumentes durch Textergänzungenberücksichtigt werden konnten. An der Forderung einer großen Mehrheit unter den Delegierten, den Waffenhandel und -export ohne Einschränkung ein zustellen, entzündete sich eine heftige Debatte um den Sinn solcher restriktiver Regelungen und auch über den unerträglichen Zeitdruck, der statt überlegter Lösungsvorschläge nur unnötige Polarisierungen provozierte. Schließlich waren solche Forderungen ebenso unter die 34 Minderheitserklärungen einzureihen, wie jene, die Menschenrechtsverletzungen und Konfliktherde in Europa (vor allem inNord- irland, Rumänien, Albanien, Tschechoslowakei) namentlich erwähnen wollten.

Gerade auch bei den österreichischen Delegierten zeigte sich ihr Unbehagen an manchen Schwächen des Textes durch konkrete Altema- tiventwürfe zur allzu unkonkreten

Schlußbotschaft und auch in einigen Minderheitsvoten. So etwa zur Konkretisierung eines gewaltfreien Lebens, zum Ausstieg aus der Atomenergie-Nutzung (mit 86 Unterschriften) und gegen die Zerstörung der Alpenregion und der Donau bei Nagymaros. Die generelle Warnung davor, ökologische Zerstörungen und gefährliche Produktionen in wirtschaftlich abhängige und finanziell geschwächte Regionen auszu- lagero, wurde auch von ungarischen Delegierten unterstützt.

Unter den wenigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen zum Dokument und der Botschaft waren auch Österreicher vertreten. Während Carl Friedrich von Weizsäcker, einer der Inspiratoren der Versammlung, ernüchtert davon sprach, daß für eine gründliche Arbeit “nicht sieben Tage, sondern sieben Monate“ nötig wären, wurde schon um die Vorbereitung für die Weltkonferenz in Seoul gerungen, bei der anscheinend die katholische Kirche nur Beobachterin sein will

Welch schonungsloses Urteil überreiche Europäer dort erwarten könnte, machteinBasel die Inderin Aruna Gnanadason an den Beispielen Schuldenkrise, Export von Giften und Waffentechnologien und anderer Sünden deutlich. Das Urteil im und über den konziliaren Prozeß wird uns nur eine kurze Bewährungsfrist lassen. Dann könnte uns gerade noch Zeit für ein letztes (ökumenisches) Gebet bleiben.

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