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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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„DRECKIGE HUMANITÄT“! Die Erregung breitester Schichten der österreichischen Oeffent-lichkeit über die Morde und Sittlichkeitsverbrechen der letzten Tage und Wochen hat naturgemäß die alte Auseinandersetzung über die Todesstrafe wiederbelebt. Todesstrafe — ja oder nein? Hier scheiden sich quer durch religiöse, politische, weltanschauliche und ständische Fronten hindurch die Geister. Es wird viel Geduld, Umsicht und gebotener Zurückhaltung auf beiden Seiten dieser Frontbildung bedürfen, soll hier nicht ein Graben aufgerissen werden, der in seiner Weise dann Oesterreichs Volk zerklüffen würde, wie heute die Auseinandersetzung über Atomwaffen in Deutschland, wo sich bereits zwei Lager gegenüberstehen, die kaum mehr die Sprache des Gegners zu verstehen vermögen. Lassen wir uns diese innerdeutsche Situation mit ihrer zunehmenden Radikalisierung ein warnendes Beispiel sein. Eben deshalb halten wir es für einen schlechten Dienst gerade an der Sache jener, die für Wiedereinführung der Todesstrafe sind, wenn ein bekannter Herausgeber einer österreichischen Tageszeitung in seinem sonntägigen Leitartikel die Gegner der Todesstrafe als Vertreter einer „dreckigen Humanität“, von „maximal humanitätsvertrottelten Systemen“ anspricht, ihre publizistische Tätigkeit als „ein förmliches Aufheulen ganzer Breitseilen der sozialistischen und sonst linkseingestellten Journaille gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe“ an den Pranger stellt. Nein, Freunde, nicht solche Töne. Das „christliche Abendland“, für dessen Verteidigung man die Feder tief in die Tinte des Grolls taucht, kann nie und niemals mit einer Anklage der Humanität verbunden werden. Die „Menschenrechte“ (im Deutschen durch einen Schweizer Jesuifen eingebürgert) sind heute nicht eine Sache von „Jakobinern“ und Revoluzzern, sondern das gemeinsame verpflichtende Erbe aller Bürger der freien Welt, mögen sie „links“ oder „rechts“ stehen, Anhänger oder Gegner der Todesstrafe sein. Vornehmste und*- heikelste Aufgabe einer Journalistik, die sich von der „Journaille“ sachlich distanziert, ist das Bekenntnis zu einem gewissen gemeinsamen politischen Grundalphabet, gerade mitten in harter tagespolitischer und weltanschaulicher Auseinandersetzung. Eben deren erste gemeinsame Vokabel heißt: Humanität.

FÜR DEN FRIEDEN RÜSTEN soll die Ostpriesterhilfe. So lautet die Grundlinie, die P. Werenfried van Straaten, Gründer der Osfpriesterhilfe und des Bauordens, im Rahmen einer Pressekonferenz im Prämonstratenserstift Geras skizzierte. Es gelte, neben der Hilfe für die 50 Millionen Katholiken, die sich jenseits des sogenannten Eisernen Vorhangs befinden, den „Tag der offenen Türen“ vorzubereiten. Kein osteuropäischer Flüchtling soll in Hinkunft für das Priester-tum verlorengehen. Neben dem polnischen Seminar in Paris, wo 154 Priesterstudenfen weilen — von den 27 geweihten Priestern hat Kardinal Wyszynski bereits zwei zu sich beordert —, erblickt P. Werenfried van Straeten besonders für Oesterreich eine große Aufgabe, weil dieses Land am besten die Völker des Ostens kenne. Das alte Oesterreich habe sich in der Behandlung aller Fragen, welche das Zusammenleben dieser Völker angehe, durch sein Fingerspitzengefühl ausgezeichnet. Geras komme dabei durch seine geographische Lage große Bedeutung zu. Es stelle die Basis geistlicher Hilfe für die Tschechoslowakei dar. Dem Studium slawischer Sprachen müsse erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. „Helfen und dienen“ heiße der Leitspruch und nicht „eine Rolle spielen“. Ein „geistiger Lastenausgleich“ (Erziehung und Bereifstellung der nötigen Priester) müsse über die Klöster gehen. „Die Atombomben sind keine Lösung der Probleme“, sagte der Mann, der im Monat 10.000 Kilometer zurücklegt und 100 Predigten im Monat hält. Im Etat von 45 Millionen eines Jahres werden im Rahmen des Bauordens heuer an 18 Orten in 36 Turnussen eine ansehnliche Zahl österreichischer Baugesellen bei uns tätig sein, an fünf Plätzen im Ausland die österreichische Gesinnung einer Volksbegegnung führend beteiligt werden.

ATOMSCHATTEN UBER DER WELT. Als zynisch, unwissentlich zynisch, wurde in unserer Oeffent-. lichkeit die Meldung aufgenommen, die ungemein gesteigerte Radioaktivität der Luft in Wien an gewissen Tagen dieses April bedeute noch keine lebensgefährliche Erscheinung. Diese Meldung wieder wurde in Zusammenhang gebracht mit dem Gerücht, in der Sowjetunion habe eine gewaltige Ueberexplosion von Atomwaffen, eine „Fehlleistung“, weife Teile Südwestrußlands verseucht; mit dieser Annahme hat man bekanntlich auch das überraschende Reiseverbot für ausländische Diplomaten, diese Gebiete betreffend, in Zusammenhang gebracht. Wie immer dem sei: Schwerer, von Tag zu Tag, legt sich der Schatten der Atomwaffen über die Menschheit. Aus Westdeutschland nur zwei Blinksignale für diese zunehmende Zerklüftung. Die „evangelische Kirche in Deutschland“ steht, wie das von Bischof Dibelius herausgegebene Organ „Die Kirche“ eben in ihrem Leitaufsatz zur Synode, die vom 26. bis 30. April in Berlin stattfindet, bekennt, in der Gefahr der Spaltung. Die kirchlichen Bruderschaffen (Bekennende Kirche, Niemöller nahestehend) fordern eine vorbehaltlose Weigerung an der Mitwirkung zur Vorbereitung eines Atomkrieges, Propst Asmussen und die konservativen Kreise werfen den Bruderschaften vor, auf die kirchliche Betreuung der Jugendlichen in Taufe, Unterricht und Konfirmation (in der Ostzone) zu verzichten zugunsten einer Bewegung gegen die Atombombe. Auf der anderen Seite hat die greise katholische Dichterin Gertrud von Le Fort — sie war die einzige, die Reinhold Schneider in seinen schweren Jahren zur Seife stand — den Aufruf gegen die Atomwaffen unterschrieben. — Es berührt fast ergreifend, daß gleichzeitig aus Amerika Stimmen lauf werden, die offene Horizonte ansagen. Auf der Washingtoner Tagung des Internationalen Presseinstitufs erklärte der amerikanische „Gewerkschaffszar“ Walfher Reuther, die Afom-gefahr habe aus den einzelnen Völkern nur noch eine „menschliche Familie“ gemacht, niemand könne vor der Gefahr, die alle bedroh), davonlaufen. Dann erklärte, ebenda, Robert Offen-heimer, jefzt Leiter des Instituts für fortgeschrittene Wissenschaft in Princefon: Der Fortschritt der Wissenschaff ist unaufhaltsam, nur „eine Welt*ohne Geheimnisse“ kann dem gemeinsamen drohenden Verderben entrinnen. — Wie als eine Bestätigung dieser größeren Hoffnung präsentiert sich auf der Brüsseler Weltausstellung das Atomium: als ein offenes „Haus“ für die Menschheit.

RUND 10.000 WAHLVERSAMMLUNGEN, also ein Generalaufmarsch der Christlich-Demokratischen Partei in Italien, bildeten am 12. und 13. April den Rahmen für die Verkündigung des Wahlprogramms zum 25. Mai durch Aminfore Fan-fani, das eine auserlesene Kommission von 102 Sachverständigen, unterteilt in sechs Ausschüsse von je 17 Persönlichkeiten, in sorgfältiger Kleinarbeit ausgearbeitet halte. Die wirklichkeitsnahen Richtlinien muten so gar nicht wie ein Parteiprogramm an, eher wie wohlerwogene, an das bewährte Vergangene anknüpfende Regierungsmaximen, die nicht für alle Zukunft gellen, sondern eben für die fünf Jahre der kommenden Legislatur. Die hervorstechendsten dieser Maximen sind: Fortsetzung der sich auf die Privatinitiative gründenden Wirtschaftsführung, wobei die aus der faschistischen Zeit angefallene Erbschaff der Staafsunternehmen nach privatwirf-schaffliehen Gesichtspunkten verwaltet werden soll; Weiferführung der sozialpolitischen Errungenschaffen, wie z. B. der Arbeiferfürsorge in jedem Betracht (besonders aber im sozialen Wohnungsbau); zielbewußte Hebung des unterentwickelten Südens, wie sie durch das große Südhilfewerk seif sieben Jahren geschieht; schrittweiser Einbau der italienischen Wirfschaft in den Gemeinsamen Markt und in die Weltwirtschaft, im Hinblick darauf großangelegte, unter Einsatz gewaltiger Mittel betriebene Berufsschulung, die auch der völligen Beseitigung der Erwerbslosigkeit dienen soll. Den Unternehmern ober wird ein „fiskalischer Waffenstillstand“ versDrochen, dem ein energischer Kampf gegen die Steuerhinferzieher gegenübersteht.

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