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Das Licht von Innsbruck

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Genau fünf Wochen nach dem Erlöschen der olympischen Flamme leuchtet von Innsbruck aus von neuem ein Licht in die Welt. Diesmal das Licht der Nächstenliebe, deren Verwirklichung in Heimat und Welt drei wichtige Veranstaltungen gewidmet sind, die in den Tagen vom 16. bis zum 20. März in Innsbruck stattfinden. Es sind dies die turnusmäßige Frühjahrskonferenz der österreichischen Caritasdirektoren, die 6. Mitteleuropäische Caritaskonferenz und die 20. Exekutivkomiteesitzung der Caritas Internationalis, der UNO der Nächstenliebe, wie sie auch genannt wird.

Die Teilnehmer an diesen drei Caritasveranstaltungen wissen mit Paulus, daß es ein noch viel stärker einigendes Band und ein noch höheres Ideal als das olympische gibt: „Uber alles aber habt die Liebe, denn sie ist das Band der Vollkommenheit“ (Kor. 3, 14). Diese drei Tagungen sind, so gesehen, nicht Konferenzen schlechthin, sondern Bekenntniskundgebungen unter dem die Christenheit seit je zu höchsten Leistungen anspornenden Motto: „Das Höchste aber ist die Liebe“ (1. Kor. 13, 13); die Teilnehmer aber sind lebendige Zeugen dieser Wahrheit. Sie kommen und gehen in der Überzeugung, daß alle ihre Überlegungen und Beschlüsse nichts anderes sein dürfen und können als Ausstrahlungen dieser alle Menschen umfassenden Liebe.

Die mitteleuropäischen Caritaskonferenzen

Die immer deutlicher werdende Erkenntnis, daß es so viele gemeinsame Probleme von höchster Bedeutung im werdenden Europa gibt, und der Wunsch, die Arbeit zu koordinieren, einander gegenseitig zu helfen und aus den Erfahrungen zu lernen, standen Pate an der Einrichtung dieser Konferenzen. Da gleich die erste Konferenz in der Schweiz, die „unter dem Schutz des heiligen Landespatrons Bruder Klaus“ stand, die Erwartungen erfüllte, wurde an dieser Zusammenarbeit festgehalten, und die Konferenzen wurden zu einer ständigen Einrichtung.

Nach Salzburg (1956) ist mit Innsbruck zum zweitenmal eine österreichische Stadt als Konferenzort gewählt. Teilnehmer sind die Caritasorganisationen der Länder Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Italien, Niederlande, Schweiz und Österreich.

Eine Illustration dieser Tatsache ist gerade nuc-h die Tagesordnung der Konferenz von Innsbruck, bei der sich die Fachleute der Mitteleuropäischen Caritasorganisationen mit folgenden Hauptthemen befassen werden: Staatliche Gesetzgebung und freie Wohlfahrtspflege, Die Europäische Sozialcharta und ihre Bedeutung sowohl für die EWG-Länder als auch für den gesamteuropäischen Raum, Die Zusammenarbeit zwischen Behörden und freier Wohlfahrtspflege nach der neuen deutschen Sozialgesetzgebung, Caritas und Entwicklungshilfe, Katastrophenhilfe.

Intercaritas — UNO der Nächstenliebe

Immer mehr bürgert sich im Zeitalter der Kurzformen auch diese Bezeichnung für die Weltorganisation der Liebestätigkeit der Katholischen Kirche, die Caritas Internationalis, ein (Intercaritas ist auch der Titel des vom Generalsekretariat der Caritas Internationalis in Rom fallweise in mehreren Sprachen herausgegebenen Informationsblattes, das an die Caritasorganisationen der ganzen Welt geht). Daß der Ausdruck UNO der Nächstenliebe nicht übertrieben ist, zeigen Umfang und Aufbau. Die mit Datum vom 31. Oktober 1963 vorgelegte Liste umfaßt 48 Länder als wirkliche (effektive) und 25 Länder als korrespondierende Mitglieder. Es war auch notwendig, für die einzelnen Kontinente Europa, Afrika, Asien, Nordamerika und Südamerika zur Verstärkung der Schlagkraft eigene Vizepräsidenten zu ernennen. Präsident der Weltcaritas ist der Erzbischof von Santiago de Chile, Kardinal Raoul Silva Henriquez, der durch seine sozialen Initiativen schon stark hervorgetreten ist. Diese Entwicklung der Weltcaritas, die besonders in den letzten Jahren eine fast stürmische Bewegung genommen hat, ist besonders bewundernswert, wenn man bedenkt, daß sie in ihrer derzeitigen Form erst im Heiligen Jahr 1950 begründet wurde.

Für die praktische Arbeit hat sie folgende Kommissionen:

• Die Programmkommission, die die grundlegenden und fundamentalen Caritasprobleme behandelt;

• die Nothilfekommission, die sich mit den immer wieder neu auftretenden Katastrophenfällen in der ganzen Welt befaßt;

• die Finanzkommission: wie überall hat auch der Finanzminister der Intercaritas seine großen Sorgen;

• die Statutenkommission, die für ein praktisches und zugleich juridisch einwandfreies Statut dieser Weltorganisation zu sorgen hat;

• die Sobrietas'kommission: gerade in der heutigen Zeit des Wohlstandes und der Luxusverwahrlosung sowie der Zunahme der Suchtkrankheiten besonders aktuell, und die

• Internationale Kommission der Gefängnisseelsorger.

Die weltweite Arbeit wird auch dadurch unterstrichen, daß die Caritas Internationalis bei den folgenden Einrichtungen der Vereinten Nationen dag Konsultativstatut besitzt: Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), Internationaler Kinderhilfsfonds (UNICEF) und Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen. Sie unterhält auch eigene Vertretungen in Genf und New York.

Wie fast überall in der Welt ist auch in Österreich die Caritas als Wohlfahrtsorganisation der katholischen Kirche diözesan aufgebaut. Der Bischof, der bei seiner Bischofsweihe ausdrücklich verspricht, sich der Armen anzunehmen, ist der eigentliche und erste Leiter der Caritas in der Diözese. Der Caritasdirektor und alle anderen Mitarbeiter im Bereich der Diözesancaritas sind nur ausführendes Organ. Im einzelnen hängt die Schlagkraft der Caritas vor allem von der Leistungsfähigkeit der Pfarrcaritag ab. Hier wird von vielen anderen Fürsorge- und Wohlfahrtseinrichtungen die Caritas als bis in die letzte Pfarre reichende Organisation oft bewundert. Manchmal wird dies freilich auch überschätzt. Dort und da ist schon Sand im Getriebe und manchmal fehlt es auch an der geistigen Einstellung und am offenen Blick für die Nöte des Mitmenschen, wenn selbstzufrieden erklärt wird: Wir haben keine Armen.

Die gemeinsamen Agenden der neun Diö-zesancaritasverbände werden von der österreichischen Caritaszentrale vertreten und verwaltet, deren Präsidium derzeit in Linz und deren Generalsekretariat in Wien ihren Sitz haben. Referent für Caritasangelegenheiten in der Bischofskonferenz ist der Bischof des Burgenlandes, DDr. Stefan Läszlö, der für dieses wichtige Amt seine ganzen Erfahrungen als ehemaliger Caritasdirektor im Burgenland mitbringt. Zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, treffen einander die Caritasdirektoren programmgemäß zu einer Konferenz. Immer wieder werden aber auch bei wichtigen und dringenden Anlässen Sonderkonferenzen eingeschaltet. Die merklich föderalistisch betonte Einstellung der Caritasdirektoren ist kein Hindernis für eine vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit bei der Durchführung gemeinsamer Aktionen im In- und Ausland. Als Beispiele solcher gemeinsamer Aktionen dürfen ganz besonders die Leprabekämpfungsaktion in Senegal, die Mitarbeit beim Aufbau des Caritasdorfes Im iranischen Erdbebengebiet und die Hilfe für die schwer getroffene mazedonische Hauptstadt Skoplje gelten. Bei diesen drei Beispielen wird nicht nur finanziell geholfen, es ist damit auch der persönliche Einsatz von Österreichern verbunden. Die schnelle und tatkräftige Hilfe der österreichischen Caritas bei fast allen Katastrophenfällen, zu der die Internationale Caritas aufruft, wurde im Ausland schon oft anerkannt und ist auch mit ein Grund, daß bei der Generalversammlung der Internationalen Caritas Im vergangenen Oktober Österreich ins Exekutivkomitee dieser Weltorganisation gewählt Als zur Einbegleitung des Festtages der heiligen Elisabeth ein Religionslehrer in der Schule eine Caritaskatechese hielt und fragte, was Caritas bedeute, antwortete ein Bub wie aus der Pistole geschossen: Betteln. Das ist wohl eine sehr weit verbreitete Ansicht, die auch ziemlich häufig von dem laut oder leise ausgesprochenen Vorwurf ergänzt wird, daß die guten Caritashelfer und Caritasschwestern das also Zusammengebettelte mit Vorliebe an Unwürdige ausgeben. Es zeigt sich hier, daß trotz des gewaltigen Fortschrittes in Propaganda und Informationen noch viel zu tun ist. Alle Einrichtungen der Caritas müssen im Bewußtsein des Volkes und besonders auch der Katholiken noch viel lebendiger verankert sein. Der einzelne Spender muß sich bewußt sein, daß er mit seiner Spende bei all diesen Werken mitgeholfen hat. Die Caritas, dag sind nicht die offiziellen Bettler, angefangen vom Caritasdirektor bis zu den Sammlern bei den verschiedenen Caritassammlungen, die Caritas: das sind alle, die zu den Werken der Caritas beitragen.

Alle Einrichtungen und Aktionen der Caritas brauchen für ihre Arbeit nicht nur finanzielle Hilfe, sondern auch ein verständnisvolles, freundschaftliches Klima. Zu diesem Klima gehört auch, daß die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Mitglieder der Bundes- und Landesregierungen, die Politiker aller Parteien, die Fürsorgefachleute, Ärzte, Journalisten, Rundfunk und Fernsehen, Erzieher und Künstler die Einrichtungen der Caritas kennenlernen und sie besuchen. Manchmal hat man das Gefühl, daß die Einrichtungen der Caritas gerade deshalb übersehen und zurückgestellt werden, weil es sich hier eben um eine religiöse, um eine kirchliche Einrichtung handelt. Es ist auch schon vorgekommen, daß eine Einrichtung der Caritas unverständlicherweise wegen ihres kirchlichen Charakters als „politisch“ bezeichnet und ihr Hilfsansuchen abgelehnt wurde. Dies,obwohl es ein Caritasgrundsatz in der ganzen Welt ist, nicht nach Religionen und Rasse, nicht nach Parteibuch und Sprache, sondern einzig und allein nach der Hilfsbedürftigkeit zu fragen.

In dem Bestreben, die Einrichtungen bekanntzumachen, veranstaltet die Caritas immer wieder Führungen, besonders auch für die treuen Caritashelfer, die dann bei den Sammlungen die mühsame Arbeit zu leisten haben. Der Weckung der Caritasgesinnung gilt auch die „Österreichische Caritaszeitschrift“, die sich nun im 17. Jahrgang befindet. Sie ist die einzige Fachzeitschrift Österreichs für den sozialkaritativen Bereich. In bewußt bescheidener Aufmachung bietet sie Informationen, Schulung und die für den Caritashelfer so notwendige leicht faßliche Einführung in die Sozialgesetzgebung. Seit Oktober 1963 gibt die österreichische Caritas, dem Beispiel anderer Länder folgend, in großer Auflage die Bildzeitschrift „Krieg und

Not“ heraus, die vor allem die bildhungrigen und lesemüden Zeitgenossen aufrütteln soll.

Es ist freilich auch eine Aufgabe der verantwortlichen Caritasleute, darüber zu wachen, daß auch im eigenen Bereich diese echte Caritasgesinnung immer lebendig ist. Die Gefahr einer müden Bürokratie mit allen ihren Auswirkungen bedroht auch die Caritas. Es ist immer wieder notwendig, bei der Caritasarbeit — und dies gilt für die führenden Persönlichkeiten ebenso wie für die jüngste Schreibkraft und den Mitarbeiter im Lkw — die rechte Mitte zu finden zwischen einem charismatischen Höhenflug, der alle irdische Wirklichkeit vergißt, und einer Bürokratie, die im Hilfesuchenden nur noch einen Akt, eine Nummer oder einen Fall sieht. Eine weitere Gefahr ist auch die eines übertriebenen und überorganisierten Spezialistentums, das vielleicht auf eng umgrenztem Gebiet zwar Höchstleistungen hervorbringt, aber die Verbindung mit der Umwelt und die Koordinierung mit anderen Bereichen vollkommen übersieht.

Etwas Betrübliches konnte die Österreichische Caritas bisher nicht überwinden und verbessern. Es ist dies die bedauerliche, aber aufgezwungene Vernachlässigung der wissenschaftlichen Arbeit. Diese kommt der Praxis gegenüber sehr zu kurz. Der alltägliche Kampf mit der Not läßt die vielbeschäftigten Caritasleute einfach nicht die notwendigen ruhigen Stunden für eine solche Arbeit finden. Und doch wäre sie unbedingt notwendig. Besonders auch die Geschichte der Caritas in Österreich, ihr Aufbau nach dem Kriegsende und ihre Leistungen sind noch nicht behandelt. Leider ist nicht einmal das Material gesammelt. Dabei handelt es sich hier um ein gewaltiges Werk, getragen von einer einmaligen Begeisterung von Priestern und Laien im Sinn des Diakonats der Urkirche. Vieles, was heute Im Bereich der kirchlichen Liebestätigkeit so wohl ausgebaut und vielfach beispielgebend und imponierend dasteht, wurde nur deshalb möglich, weil in den ersten Nachkriegs jähren der Grund gelegt wurde.

Die Caritaswoche von Innsbruck wird sicher einen Markstein nicht nur der Geschichte der Österreichischen Caritas, sondern auch der Europas bedeuten.

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