Auftrag zu politischer Diakonie

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Österreichs Kirche interessiert sich wenig für Ost-Mitteleuropa. Ein Blick nach Deutschland hingegen offenbart Beispielhaftes.

Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 haben der damalige Wiener Weihbischof Florian Kuntner und seine Mitarbeiter in der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission, der Dachorganisation der katholischen Hilfswerke für die Dritte Welt, vorgeschlagen, eine ähnliche gesamtösterreichische Stelle für die Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit Mittel- und Osteuropa zu schaffen. Die Mittel sollten unter anderem durch eine österreichweite Sammlung aufgebracht werden. Der Vorschlag wurde ohne ernsthafte Diskussionen zurückgewiesen. Die Bischöfe konnten sich nicht über eine gemeinsame Vorgangsweise der österreichischen katholischen Kirche einigen. Eine gemeinsame Sammlung wurde von den meisten Bischöfen ebenfalls abgelehnt. Auch die Dritte-Welt-Hilfswerke standen einer solchen Sammlung ablehnend gegenüber. Sie hatten die - wohl unbegründete - Angst, eine Sammlung für den Osten würde zu Lasten der Spenden für den Süden gehen.

Die österreichische Bevölkerung hingegen hatte die Erfordernisse und Möglichkeiten der neuen Situation erkannt. Eine Welle der humanitären Hilfe rollte in die ehemaligen kommunistischen Länder. Freilich waren diese Aktivitäten zum Teil spontan von Einzelpersonen initiiert und selten koordiniert und in Zusammenarbeit mit der Caritas oder ähnlichen Organisationen durchgeführt. Eine systematische, kontinuierliche und inhaltliche Auseinandersetzung über die Rolle der Kirche in West und Ost in einem Europa ohne Eisernen Vorhang blieb aus.

Der aus strategisch-politischen Gründen in Wien angesiedelte "Europäische Hilfsfonds der deutschen und österreichischen Kirche", der während des Kalten Krieges die Kirche hinter dem Eisernen Vorhang unterstützt hatte, verlagerte angesichts der neuen Möglichkeiten seinen überwiegend deutschen Teil nach Deutschland zurück. Übrig blieb der österreichische Teil, der mit geringen Mitteln der Österreichischen Bischofskonferenz Projekte in Mittel-/Osteuropa finanzierte und sich um eine Registrierung und Koordination der Projekte mit dem Hilfsfonds in Deutschland bemühte. Dies blieb wegen des geringen Interesses inner- und außerhalb Österreichs weitgehend erfolglos. Der in den letzten Jahren unter dem Namen "Pro Europa" auftretende Ostfonds der Österreichischen Bischofskonferenz wurde zuletzt nur mehr mit sieben Millionen Schilling dotiert und steht vor der Auflösung in dieser Form.

Dies bedeutet nicht, dass es auf diözesaner und österreichweiter Ebene nicht zu lokalen oder punktuellen Aktivitäten kommt. Als Beispiele seien die Tagung der Bischofskonferenz über "Identität und Integration", die im September vergangenen Jahres in Kleinmariazell stattfand, oder das Ende August in Graz abgehaltene "Pastoralforum 2001", wo 60 Bischöfe, Priester und Laien, vornehmlich aus den Reformstaaten, auch über den gesellschaftspolitischen Auftrag der Kirche nachdachten. In den Diözesen Wien und Linz gibt es eigene Sammlungen für den Osten. Die Dritte-Welt-Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz hat ab 1991 mit Mitteln aus Österreich und der Schweiz versucht, die Idee der Solidarität über die eigenen Grenzen, insbesondere Richtung Dritte Welt, in die Kirche in den mittel-/osteuropäischen Nachbarländern zu tragen.

Zu wenig Schwung

Trotz all dieser Initiativen kann man sich eines Eindrucks nicht erwehren: Der grosse Schwung fehlt und die inhaltliche Auseinandersetzung kommt aus Mangel an Interesse und an einer gesamtösterreichischen Einrichtung, die dabei Hilfestellung geben könnte, zu kurz . So gelingt es nicht, die vielen isolierten Initiativen so zusammenzubringen, dass die Kirche in Österreich in der Öffentlichkeit als anerkannte Vermittlerin und Wertelieferantin im Prozess der Europäisierung der EU wahrgenommen wird.

Dies scheint beim deutschen Nachbarn besser zu glücken und wurde Anfang September im bayerischen Freising beim 5. Internationalen Kongress von "Renovabis", dem 1993 in der Nachfolge des "Europäischen Hilfsfonds" gegründeten Osthilfswerks der deutschen Kirche, bewusst. 350 Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien aus 23 west- und osteuropäischen Ländern stellten sich der Frage "Europa wächst zusammen - aber wie?"

Für den deutschen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD), der beim "Renovabis"-Kongress referierte, sind die Kirchen "unersetzlich" als Brückenbauer zwischen den Menschen in West und Ost. Sie sollen ihre Vorstellungen einer menschlichen Gesellschaft in die Gestaltung des künftigen Europa einbringen. Ein Beispiel dafür, was das bedeuten könnte, gab unter anderem der Hildesheimer Bischof und Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der EU, Josef Homeyer: Die Kirchen haben eine Verpflichtung, an der "Integration kultureller Andersartigkeit" mitzuwirken. Notwendig sei ein "Programm der politischen Diakonie", nach dem Kirchen Orte kulturellen Austausches sein sollten, in denen über die Zukunft der Zivilgesellschaft und die Gestaltung einer gerechten Weltordnung diskutiert wird. Außerdem sollten sie sich in die Auseinandersetzung um eine europäische Verfassung einmischen, freilich unter Berücksichtigung der religiösen und kulturellen Traditionen des Ostens. Auch der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner und der Budapester Religionstheologe Miklos Tomka forderten auf Grund neuerer Untersuchungen, die Kirchen sollten die neuen Chancen der Demokratie stärker nutzen und die Menschen zu einer verantworteten Freiheit ermutigen und erziehen.

In Österreich scheint diese Auffassung von "politischer Diakonie" in der katholischen "Amtskirche" eher selten vorhanden zu sein. Umso wichtiger wäre es für die österreichische Kirche, die von Bischof Homeyer postulierte Verpflichtung ernst zu nehmen und neben der wichtigen und schon relativ gut funktionierenden Zusammenarbeit im spirituell-pastoralen Bereich auch die "politische Diakonie" in den Blick zu nehmen. Wenn die Christen ihre Vorstellungen einer menschlichen Gesellschaft in das zusammenwachsende Europa einbringen sollen, dann bedarf es der Mithilfe und des Beispiels der Kirchen in Westeuropa für die Heranbildung einer Zivilgesellschaft, die sich diese Werte zu eigen macht, sie selbst lebt und ihre Berücksichtigung von den Politikern nachdrücklich einfordert. Dafür genügt aber nicht die gebetsmühlenartige Wiederholung von Schlagworten, sondern es bedarf eines Programms "politischer Diakonie" und der daraus folgenden, gemeinsamen konkreten Schritte von Amtskirche und Laien.

Der Autor, langjähriger Koordinator der kirchlichen Dritte-Welt-Arbeit in Österreich, ist Vizepräsident der Katholischen Aktion Österreich.

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