Mit Flüchtenden kommt Gott NACH EUROPA

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Katholische Laien aus Ost und West berieten in Klagenfurt über Flucht und Migration. Neben Analysen und Visionen kamen da auch fundamentale Differenzen zur Sprache.

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Katholische Laien aus Ost und West berieten in Klagenfurt über Flucht und Migration. Neben Analysen und Visionen kamen da auch fundamentale Differenzen zur Sprache.

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Brücken statt Grenzen. Hilfe für die Menschen in den Kriegs-und Krisengebieten. Legale We ge in die Aufnahmeländer. Integration der Flüchtlinge. Kein Schüren von Neid, Missgunst, Ängsten und Vorurteilen: Die hier genannten Eckpunkte finden sich in einer Erklärung der größten katholischen Laienorganisationen Deutschlands und Österreichs. Das von Gerda Schaffelhofer, der Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), und Alois Wolf, dem Vizepräsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) unterzeichnete Dokument, bildete den Abschluss einer internationalen Tagung zu Flucht und Migration, die von KAÖ, ZdK und dem deutschen bischöflichen Hilfswerk Renovabis in Klagenfurt veranstaltet wurde.

Bruchlinien auch unter Katholiken

Die Tagung brachte erstmals rund um die Flüchtlingsfragen kirchlich Engagierte aus Deutschland und Österreich mit Vertretern aus Ost(mittel)- und Südosteuropa zusammen. Dabei zeigte sich, wie unterschiedlich Bewusstseinsstand und Einschätzung jeweils sind. Wo die Bruchlinien auch innerhalb der Katholiken Europas verlaufen, wurde an den Ausführungen des Flüchtlings-Beauftragten der polnischen Bischofskonferenz, Krzysztof Zadarko, deutlich, der das einander Zuhören beschwor und eindringlich warnte: "Wenn sich in Europa West und Ost in der Flüchtlingsfrage auseinanderdividieren lassen, dann kommt ein neuer Eiserner Vorhang."

Zadarko bekräftigte mit Nachdruck, dass sich die polnische Kirche für Flüchtlinge engagiere, er wies aber zugleich darauf hin, dass Polen als monoethnisches und monoreligiöses Land schlicht keine Erfahrung mit Muslimen habe: Auch von daher rühre das Misstrauen der Bevölkerung. Außerdem gebe es in Polen Hunderttausende Migranten aus der Ukraine, auch das werde im Westen wenig gesehen. Schließlich wies der Bischof darauf hin, dass von den wenigen syrischen Flüchtlingsfamilien, die in Polen Aufnahme gefunden hatten, fast alle wieder weggezogen seien: Die Flüchtlinge wollten einfach nicht in Polen bleiben.

Zadarko sprach sich für ein Resettlement-Programm aus, wie es die Gemeinschaft Sant'Egidio in Italien praktiziert. Dabei werden im Libanon besonders Bedürftige ausgewählt, die dann nach einer Sicherheitsüberprüfung durch den Geheimdienst eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Mehrmals betonte der Bischof, dass die Zusammenarbeit mit der Regierung in der Flüchtlingsfrage unabdingbar sei. Eine Ansicht, die bei weitem nicht alle der Teilnehmer teilten. Die Frage, warum die Kirche, die sich früher niemals auf den Geheimdienst verlassen hätte, nun so auf ein Einvernehmen mit der Regierung poche, blieb unbeantwortet.

Der lange Atem der Geschichte

Eine ungarische Tagungsteilnehmerin warb analog um Verständnis für die Reserven ihrer Landsleute gegenüber Flüchtlingen: Die historische Erinnerung an die 150 Jahre währende Besetzung Ungarns durch die Osmanen im 16./17. Jahrhundert und die Angst vor einer Bedrohung der Nationalstaatlichkeit bestimme das ablehnende Verhalten der ungarischen Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen aus islamischen Ländern mit.

Es war wichtig, dass diese Stimmen zu Gehör kamen, ebenso waren die Optionen und Expertisen aus "westlicher" Perspektive kraftvoll. Wobei natürlich nicht zu verschweigen war, dass auch in Österreich und Deutschland die Stimmung gegenüber Flüchtlingen und Migranten bei weitem nicht so positiv ist, wie es wünschenswert wäre, auch die vorgestellten Initiativen für Flüchtlinge konnten darüber nicht hinwegtäuschen. Aber es waren starke Worte und eindringliche Appelle, die bei der Tagung vorgebracht wurden.

Es geht dabei auch um kleine Schritte und Gesten: Der maltesische Jesuit Tony Calleja, der im Libanon den Jesuiten-Flüchtlingsdienst leitet, meinte, Gastfreundschaft gehöre zur DNA des Christentums. Und diese gelte erst recht den Flüchtlingen gegenüber. Man müsse ihnen Hoffnung geben, so Calleja. Oft reiche es schon, einem Flüchtling zuzuhören: "Ich helfe ihm dadurch nicht unmittelbar, aber lasse einem Menschen Gerechtigkeit widerfahren, der so viel an Gewalt erfahren hat."

Kilian Kleinschmidt, langjähriger UN-Mitarbeiter und ehemaliger Leiter des Flüchtlingslagers Saatari in Jordanien, wo Hunderttausende Syrer leben, rief dazu auf, Flüchtlinge nicht mehr unter dem Blickwinkel eines Opferdenkens anzusehen. Denn Flüchtlinge seien sehr wohl in der Lage, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Kleinschmidt, der heute switxboard.net, ein Startup für technologische und logistische Innovation für humanitäre Projekte leitet, brachte Beispiele dazu: 200 Milliarden Euro werden weltweit jährlich für Entwicklungszusammenarbeit aufgewendet, 900 Milliarden Euro schicken die Migranten jährlich in ihre Heimatländer zurück. Allein diese Zahlen zeigen, dass die Geflüchteten selber am meisten zur "Entwicklungshilfe" beitragen. Hierzulande nimmt Kleinschmidt, der die österreichische wie die deutsche Regierung berät, die Politik in die Pflicht: Sie muss, ist er überzeugt, wieder gestalten, anstatt nur mehr auf soziale Medien zu reagieren.

Aus der Angst-Ecke herauslieben

Dieses Anliegen teilt der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner, der auch Geistlicher Assistent der KAÖ ist. Zulehner diagnostizierte in seinen Wortmeldungen einmal mehr die Angst, die die gegenwärtige Gesellschaft in Europa auseinandertreibt, und er trat auch in Klagenfurt für sein Projekt einer "Entängstigung" ein: Moralisieren helfe nicht, so Zulehner. Es gehe vielmehr darum, dass Menschen "aus ihrer Angst-Ecke herausgeliebt werden". Der Pastoraltheologe rief dazu auf, der Sprache der Abwehr, die sich in Worten wie "Flüchtlingsstrom","Lawine","abschotten", "Zäune" manifestiert, "gute Geschichten" entgegenzusetzen. Die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak legte dazu eine Theologie der Migration vor, mit Hilfe derer und anhand vieler biblischer Belege sie darlegte, wie der Fluch der Migration zum Segen werden kann: "Mit den flüchtenden Menschen kommt Gott nach Europa", brachte es Polak auf den Punkt.

Viel und Wichtiges wurde bei der Tagung in Klagenfurt ausgesprochen und angemahnt. Aber noch am Sonntag sprach sich - erwartungsgemäß - eine Riesenmehrheit der Abstimmenden in Ungarn für eine extrem restriktive Flüchtlingspolitik aus (auch wenn das Quorum für die Gültigkeit des Referendums verfehlt wurde). Und Österreichs Außenminister Sebastian Kurz stärkte Viktor Orbán auch in deutschen Medien den Rücken.

"Europa soll das Christentum leben statt um sein Erbe zu bangen": Diesen Appell, mit dem KAÖ-Präsidentin Schaffelhofer die Zusammenkunft in Klagenfurt eröffnet hatte, wird sie noch oft wiederholen müssen.

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