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„Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“

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„Ausgerechnet die Zukunft scheint uns am Ende der Neuzeit abhanden zu kommen. In dem Ausmaß, wie wir sie machen können, wird sie uninteressant. Sie hört auf, Zukunft zu sein. Sie läßt sich ablesen am vorgefertigten Programm. Wir sind alt von Jugend auf und bemühen uns deshalb krampfhaft um Jugendlichkeit. Das Leben ist gelaufen, wenn es anfängt; denn was an Möglichkeiten drinnen steckt, ist schon bekannt. Gerade davor haben wir Angst, gerade das macht uns unfrei. Gerade das gibt uns den Hunger nach jenefn neuen und ganz anderen Wort, das uns wahrhaft Zukunft und Hoffnung schenkt.“

Diese Worte stammen von Bischof Dr. Klaus Hemmerle, Aachen, dem Geistlichen Assistenten des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken; sie wurden bei der Eröffnung des 85. Deutschen Katholikentags in Freiburg in Breisgau gesprochen. Dieser Katholikentag trug das Motto „Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ (Gottes Wort beim Propheten Jeremias) und war gedacht als Antwort auf die heute weitverbreitete Zukunftsangst angesichts der Grenzen des menschlichen Herzens, der Natur, des Miteinanders; als Antwort auch auf Enttäuschung und Resignation angesichts entlarvter Utopien universeller Planbarkeit und Machbarkeit (außerhalb und auch in der Kirche). Es wurde eine überzeugende Antwort.

Die Zukunft, von der die Bibel spricht, ist nicht die Zukunft, die wir selbst prognostizieren, planen und gestalten, sondern die Zukunft, die Gott uns schenkt, ja die Gott selbst für uns ist; die Frohbotschaft, die zur Danksagung führt und die uns festen und feiern läßt. Der Katholikentag hatte in diesem Sinn nicht Resolutionen zu verkünden; er wirkte durch die Kraft einer großen, betenden und feiernden, einer hörenden und abwägenden, eigner diskutierenden, um Lösungen ringenden Gemeinschaft

Die Fülle katholischen Lebens zeigte sich in den Treffen der verschiedenen Vereinigungen und Verbände und in der anschaulichen Darstellung von kirchlichen Diensten an der Gesellschaft. Es ereignete sich Gemeinschaft, ein Geben und Empfangen, Schenken und Beschenktwerden, eine neue Freiheit, die aufbricht im Gespräch, in der Beziehung zwischen Gott und Welt und Mensch.

Es wurde aber nicht „heile Welt“ vorgetäuscht. Die vielen, unlösbar scheinenden Probleme unserer Welt waren in den überfüllten Gesprächsforen Gegenstand der Auseinandersetzung, oft auch der heftigen Kontroverse. Die jahrelange Beschäftigung der Katholiken mit sich selbst und die innerkirchlichen Strukturdebatten waren in den Hintergrund getreten und gaben Raum für eine thematische Öffnung, wobei die Bereiche „Grundwerte unserer Gesellschaft“ , „Zukunftsfragen der Jugend“, „Dritte Welt“ und „Europa“ im Vordergrund standen.

Der Theologe Johann B. Metz rief die katholischen Christen zu einer Mobüi-sierung der moralischen Reserven auf, um angesichts der apokalyptischen Bedrohungen - Atomkrieg, Rüstungswahn, Terror, Umweltvernichtung, Gefahren des Nord-Süd-Gefälles - zwischen den Leisetretern und Beschönigern einerseits und den „Strategen des Klassenkampfs“ anderseits zu vermitteln.

Starke Auseinandersetzungen betrafen den Begriff der Gewalt und die Notwendigkeit der Bundeswehr. Im Forum .Atomzeitalter - Fortschritt oder Bedrohung?“ warf man den Befürwortern einer Atomzukunft vor, sich nur auf ihre Experten zu verlassen; bitter beklagten sich selbsternannte „Nuklear-Regimekritiker“ und „Atomstrom-Dissidenten“ über die Praktiken, ihre Demonstrationsaktivitäten zu behindern. Trotz Ubergewicht der Kernenergiebefürworter auf dem Podium ergab die Plenumsdiskussion ein „Im Zweifelsfall für den Menschen“.

Nie zuvor fand die Jugend auf einem Katholikentag einen so breiten Raum zur Darstellung ihrer Wünsche, Vorstellungen und Forderungen. Unter dem Motto „Jugend lädt ein“ hatten Jugendliche die Regie über 17 Foren übernommen. Die Jugendlichen wollten konkret Hoffnung erfahren, und hielten mit ihrer Meinung gegenüber mancher Präsentation von „Modellen“ nicht hinterm Berg: „Die Vorstellung war gut, aber konkret anfangen konnten wir damit nichts“. „Kommt doch heraus aus euren leeren, festgefahrenen Formen“, rief eine ehemalige Entwicklungshelferin. „Vergeßt über Euren Aktiönchen und Initiativen nicht die wirkliche Umkehr!“ Ihr spontaner Auftritt wurde von vielen Jugendlichen als Hoffnungsschimmer gewertet.

Eine Jugend, die beten will, die geistliche Erlebnisse sucht, die den Tagen in Freiburg das Gepräge gibt durch ihre zahlreiche Anwesenheit - wo hat man sie bisher versteckt? Mancher Funktionär stellte die bange Frage: Wie werden wir der Hoffnung und Erwartung einer solchen Jugend gerecht werden können?

Vieles hat sich bei diesem Umschlagplatz der Ideen und Impulse ereignet, was vom einzelnen Teilnehmer nicht überblickt werden konnte. Es wäre noch zu berichten von der großen Europa-Kundgebung vom Samstag, mit dem für manchen überraschenden Auftritt des Bundeskanzlers Schmidt, der diese Stunde zu nutzen wußte: „Wer aus der Geschichte lernen will, der weiß, das geschichtliche Europa umfaßt Rom und Byzanz, es umfaßt Aachen und Prag, es umfaßt Krakau und Paris.“ Durch die Entscheidung der Veranstalter, als Hauptredner zum Thema „Europa“ den belgischen Ministerpräsidenten Leo Tindemans einzuladen, wurde die Möglichkeit einer eigenen, profilierteren Aussage vergeben.

Zu berichten wäre auch von der Anwesenheit von Christen aller Kontinente: Mutter Teresa aus Kalkutta, Kardinal Lorscheider aus Brasilien waren wohl die bekanntesten Persönlichkeiten. Der Präsident des Zentralkomitees, Kultusminister Hans Maier (München), sprach bei der Hauptkundgebung vor 100.000 Menschen die Uberzeugung aus: „Wir werden in Europa bald mehr Nehmende als Gebende sein, staunend vor dem Reichtum anderer Kontinente, dankbar für ihr Glaubenszeugnis, das uns beschenkt und zu neuem Aufbruch führt.“

Ahes in allem: Viele Zeichen einer spirituellen Erneuerung des Katholizismus. Die geistige und geistliche Auseinandersetzung zwischen den Generationen, zwischen den politischen Gruppierungen findet statt, wenn auch oft wider alle Hoffnung. Das Engagement für das „große demokratische Potential“ (H. Maier) der Katholikentage ist gewachsen. Eine Beobachtung, die auch für Österreich Bedeutung hat.

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