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Christen in der Wegwerfgesellschaft

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Das Panorama dieser unserer Welt, wie es uns Fernsehen, Zeitungslektüre und eigene Anschauung jeden Tag vermitteln, trägt manche düstere Züge. Es ist eine Welt, die von Konflikten zerrissen wird. Seit der alte Ost-Westkonflikt an akuter Schärfe wenigstens nach außen verloren hat, beginnt sich das Grundmuster eines neuen Konflikts abzuzeichnen. Diesmal geht es um eine Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd, zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden, zwischen den industrialisierten Ländern, die vier Fünftel der Ressourcen dieser Welt für sich beanspruchen und den „unterentwickelten” Staaten, die von manchen als materielle Habenichtse bezeichnet werden. Die Lektion der Ölkrise war ein Vorgeschmack dessen, was auf uns zukommen könnte, wenn der soziale Konflikt des 19. Jahrhunderts, diesmal auf der Ebene der Staaten und Nationen, eine Neuauflage erleben sollte. Als Konsequenz der Ölkrise ist bereits ein Moment der Unruhe in das Weltwirtschafts- und vor allem Weltwährungssystem getragen worden, das bei vielen langsam Zweifel aufkommen läßt, ob unser Schlaraffenland-Zustand des „Mehr Pro- duzierens — Mehr Konsumierens” eine Dauereinrichtung sein kann.

Gleichzeitig werden wir uns der äußeren und inneren Grenzen unseres auf ständiges materielles Wachstum ausgelegten Systems bewußt Die Diskussion über die Belastbarkeit der wirtschaftlichen Kapazität des Ökosystems Erde durch die ständige industrielle Expansion der Wegwerfgesellschaft kommt unter Wissenschaftlern und Politikern langsam in Gang. Daß wir die inneren Grenzen bereits längst erreicht haben, zeigt ein Blick auf die ernsten gesellschaftlichen Probleme, mit denen wir auch in Österreich zu kämpfen haben.

Ältere Menschen, Kranke, Behinderte, sozial nicht hundertprozentig

Angepaßte dürfen bestenfalls als geduldete Zuschauer am GeselLschafts- prozeß Anteil haben. Unsere gesellschaftlichen Einrichtungen sind auf den Typus des erfolgreichen, mit materiellen Gütern gut ausgestatteten, um seine SelbstverwirkUchung unter Umständen auch mit Ellenbogentak- ti’k kämpfenden „Produzenten und Konsumenten” maßgeschneidert. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach Woher und Wohin des Menschen steht in der gesellschaftlichen Soll- und Habenrechnung nicht zu Buch. Die seelische und geistige Dimension des Menschseins wird sorgfältig ausgeklammert. In einer auf Perfektion angelegten Welt des Güterüberflusses bleibt der Mensch allein — allein mit seinen Problemen, seinen Fragen, seiner eigentlichen Sehnsucht. Das findet unter anderem seinen Niederschlag in steigenden Selbstmord- und Scheidungsquoten, in der Zunahme der Neurosen, der psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, in den Problemen der Jugendverwahrlosung und des Ge- nerationenkonflikts. Darüberhinaus haben viele Menschen, die das Tempo, den Rhythmus und die Riten der Wegwerfgesellischaft nach außen einzuhalten vermögen, mit einem Gefühl der Sinnlosigkeit zu kämpfen, mit einem diffusen Unbehagen.

Die nüchterne Analyse zeigt eine von Konflikten vielfach bedrängte Menschheit. Unsere österreichische Situation mag in vielen Details freundlichere Züge tragen. Das merkt man besonders, wenn man im Ausland, zum Beispiel in Italien ist. Aber es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, daß man aus der Geschichte einfach austreten könne. Noch dazu, wo in diesem Land und unter seinen Menschen manche Konflikte weiterschwelen, die der Wohlstand möglicherweise nur oberflächlich zugedeckt hat.

Vielleicht ist es gut, daß die Katholiken dieses Landes gerade in einem solchen Augenblick auf dem Katholikentag der kommenden Tage eine kollektive Gewissenserforschung halten. Das Thema Versöhnung mag spröde sein. Wir wissen nur zu gut, daß es für die Lösung vieler Konflikte keine Patentrezepte gibt. Diese Patentrezepte sind auch nicht vom Katholikentag zu erwarten. Was von diesem Treffen österreichischer Katholiken erwartet werden kann, ist ein Impuls zur Gewissenreform. Dieser Impuls enthält den notwendigen Aufbruch zur Tat. Es ist kein protokollarischer Zufall, daß der Katholikentag mit der Promulgation der Ergebnisse des österreichischen Synodalen Vorgangs im Stephansdom beginnt. Überlegt und geredet hat man genug, jetzt kommt es auf das verantwortliche Handeln an. Die synodale Phase ist zu Ende. Es geht nicht mehr um die Planung von neuen Gremien — wir müssen vielmehr deren Zahl vermindern — sondern um die konkrete Tait.

Versöhnung — das heißt aber auch Rückbesinnung auf einige elementare Grundtatsachen des Glaubens. Denn der Katholikentag will ja kein wissenschaftliches Konfliktmanagement und kein billiges Appeasement. Nur die Hoffnung gegen alle Hoffnung, die das Spezifikum des Christ- licheh ist, kann ein möglicher Aus- gangspunlkt für den Weg der Versöhnung sein. Nur wer sich bewußt ist, daß der eigentliche Grund vieler Konflikte in der Entfremdung zwischen Gott und den Menschen, in der Sünde, besteht, gleichzeitig aber weiß, daß Christus diese Entfremdung überwunden hat, kann den Weg der Versöhnung gehen.

Es wäre naiv, zu glauben, das Wort Versöhnung allein könnte eine Lösung aller Konflikte bewirken. Aber es geht darum, daß sich, ausgehend vom Impuls dieses Katholikentages, viele Menschen um eine versöhnliche Haltung mit allen Konsequenzen bemühen. Auch wenn es unmittelbar nach dem 13. Oktober keine spektakulären Veränderungen geben wird, könnte dieser Sauerteig weiterwirken — in den Pfarrgemeinderäten und kleinen Gruppen, auf denen die Zukunft der Kirche beruht. Dieser Katholikentag ist bewußt nicht als Massenveranstaltung konzipiert worden. Mit den dreitausend Delegierten sind die meisten Pfarren Österreichs beim Katholikentag vertreten. Die Delegierten müssen den zündenden Funken weitertragen in ihre lokalen Gemeinschaften.

Die Versammlung der Delegierten darf sich nicht als Synodenneuauflage verstehen, ausschlaggebend muß das spirituelle Element sein. Keine hochtrabenden Resolutionen, kein Phrasendreschen, diese dauernde Versuchung des religiös gestimmten Menschen, dürfen den Katholikentag kennzeichnen, sondern ein schlichtes und möglichst emotionsfreies Aussprechen der Konflikte und ein gemeinsames Überlegen, wie sich in kleinen Schritten, die für jeden nachvollziehbar sind, Versöhnung im Alltagsleben auswirken kann; welche Haltungsänderungen das Motto Versöhnung an der Werkbank und im Büro, in der Familie, im Wohnhaus, in der Ortsgemeinde, in der Haltung gegenüber den Fremden, den Schwachen, den Kranken, in der Pfarre, in den kirchlichen Gemeinschaften, in den Generationen zur Folge haben muß.

Wenn die kirchlich engagierten Menschen dieses Landes vom Katholikentag einen neuen Impuls erhalten, sich noch mehr zu bemühen, einen Hauch von Liebe in die kalte Perfektion unserer Maschinenwelt zu tragen und die Trenmmauern des reinen Nützlichkeitsdenkenis niederzureißen, dann hat diese Veranstaltung ihren Zweck erfüllt. „Wo die Liebe und die Güte wohnt, da ist Gott”. Die Wahrheit dieser schlichten alten Melodie kann nicht oft genug wiederholt werden. Denn nur dort, wo die Liebe und die Güte wohnt, können auf die Dauer auch Menschen wohnen. In diesem Sinn ist die Einladung des Katholikentags unter dem Motto Versöhnung offen für alle, weit über den Kreis der „Praktizierenden” hinaus.

Aber zugleich muß auch beim Katholikentag der Öffentlichkeit des Landes deutlich vor Augen geführt werden, daß Versöhnung keinen Verzicht auf Grundsätze bedeutet. Auch nicht den Verzicht auf den umfassenden Schutz des Lebens in jeder Phase seiner Existenz. Das Zurückweichen, das Verschleiern der Gegensätze hätte auch keinen Zweck. Die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie, daß es ohne Aussprechen der Konflikte keine Chance auf Heilung gibt, gelten genauso auch für den gesellschaftlichen Bereich. Zurückweichen und Appeasement führen letztlich nur zu einer vorübergehenden Vertagung und dann zu einer Verschärfung der Konflikte.

So sehr es bei diesem Katholikentag um die Gewissens- und Gesinnungsreform, um das Umdenken des Einzelnen geht, so wenig handelt es sich um einen „unpolitischen” Katholikentag. Es geht sicher nicht um Parteipolitik. Aber Politik im eigentlichen Sinn hat ja sehr viel mit der Gemeinschaft aller Bürger zu tun. Hier trägt der Christ Verantwortung, er darf nicht von der Bühne politischen Geschehens einfach abtreten im Bewußtsein, daß Politik ja nur ein schmutziges Geschäft sei. Die Entflechtung von Kirche und Parteipolitik ist vielfach fehlinterpretiert worden als eine Einladung an den einzelnen Christen, sich nun aus dem Licht der großen Öffentlichkeit in den Schatten dier Sakristei zu flüchten. Der Katholikentag 74 soll durchaus auch als ein Aufruf an die Katholiken verstanden werden, sich wieder mehr gesellschaftspolitisch zu engagieren, eigene Modelle zu entwickeln, Alternativen vorzulegen. Dieses Engagement ist notwendig, wenn die Katholiken die Herausforderung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen bestehen sollen. Wenn sich die Katholiken aus dem Geist der Versöhnung heraus als Friedensstifter erweisen, als Menschen, die mithelfen, in allen Bereichen Entfremdung zu überwinden, dann muß dieser Katholikentag auch gesamtgesellschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen.

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