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WERKSTATT, MENSCH UND WAR

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D er Wiener Katholikentag hat sich ein soziales Thema gestellt. Nicht deswegen vielleicht, weil heute das Wort sozial ein Modewort geworden ist, weil heute alles und jedermann sozial ist oder zumindest zu sein vorgibt und weil auch die Kirche hier nicht rückständig erscheinen möchte. Das soziale Thema des Katho-likentagesist einmal veranlaßt durch den Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe. Das soziale Thema ist anderseits deswegen vordringlich, weil wir uns klarwerden müssen, wie wir unser Verhalten als Katholiken und Staatsbürger zu den sozialen Erscheinungen und den sozialen Kräften der Gegenwart gestalten wollen.

Der Katholikentag ist in erster Linie eine religiöse Manifestation. Unsere sozialen Ueber-Iegungen, unsere sozialen Themen und unsere sozialen Forderungen basieren auf dem christlichen Menschenbild. Daraus ergeben sich bestimmte Folgerungen für das rechte Bild einer Gesellschaftsordnung. Es handelt sich um ein Ordnungsbild, an Hand dessen wir die gesellschaftlichen Gegebenheiten unseres Landes überprüfen wollen. Dieses christliche Menschenbild, das wir als Leitbild dabei vor Augen halten müssen, ist unveränderlich und bedeutet eine feste Norm, um, die soziale Ordnung zu klären und Richtsätze aufstellen zu können. Dieses unser Menschenbild umfaßt die religiöse und weltanschauliche Selbstverantwortung, die Freiheit persönlicher Entscheidung in bezug auf die eigene Person, auf die Familie und die Umwelt, so daß ich für mich und die Meinen Vorsorgen kann.

Wenn wir die konkrete Situation bei uns ins Auge fassen, müssen wir feststellen, daß vieles diesem Leitbild nicht entspricht. Der Katholikentag hat nicht zuletzt die Absicht, durch Aufzeigen dieses Menschenbildes und die Konfrontation mit der tatsächlichen Umwelt die Fehlerquellen festzustellen und nach einer besseren Ordnung zu suchen. Wenn wir diese Konfrontation näher ins Auge fassen wollen, so ergibt sich für uns die Notwendigkeit, Richtbild und Wirklichkeit einmal für den Bereich des staatlichen Lebens gegenüberzustellen. Die Probleme des Rechts- und Kulturstaates sind letztlich Probleme, die sich aus einem einseitig gesehenen Menschenbild ergeben. In ähnlicher Weise zeigen sich in der Wirtschaft, auf ihrer betrieblichen und überbetrieblichen Ebene, Probleme und Schwierigkeiten, die ebenfalls ihre Wurzel haben in einer unrichtigen Auffassung vom Menschen. Wenn, wie es in „Quadragesimo anno“ heißt, „die Ware eine Werkstatt veredelt verläßt und nicht auch die Menschen“, so zeigt dies ein Mißverstehen des Menschen und seiner wesentlichen Aufgaben, was schließlich, wie die Geschichte gelehrt hat, mehr als einmal zur blutigen Auflehnung der Menschen geführt hat. Schließlich ist auch das Anliegen der Familie, der Mutter, der berufstätigen Frau kein anderes, als das Recht, die naturgegebene Situation dort zu bewahren, wo Verwirrung entstanden ist, deshalb entstanden, weil die geschlechtliche Ordnung nicht mehr im richtigen Licht gesehen worden ist.

Ein anderes Anliegen des Katholikentages ist ' die in rascher Entwicklung begriffene ländliche und bäuerliche Welt. Man kann hier weder die technischen Fortschritte mit all ihren neuen Möglichkeiten übersehen noch die ständige Abwanderung bestimmter Kreise des Landvolkes in die Industrie. Linser Landvolk bleibt nur dann im Dorf und kann nur dann gesund werden, wenn es sich besinnt auf seine berufliche, kulturelle und religiöse Eigenständigkeit. Die so quälende und drängende Wohnungsnot schließlich hat ihren Anspruch im Recht oder in der Not des Menschen, nicht aber in der parteipolitischen Protektion. Wenn der Katholikentag sich mit all diesen weitausholenden Fragen und Problemen beschäftigt, so ergibt sich dabei auch die Frage, wieweit das zu erwartende Ergebnis für die Katholiken eine verbindliche Verpflichtung darstellt. Das heißt mit anderen Worten, die von den einzelnen Arbeitskreisen so gründlich erarbeiteten Erkenntnisse, Vorschläge und Forderungen sollen nicht nur theoretische Feststellungen sein, sondern auch eine fruchtbare Auswirkung haben. Es wird Aufgabe des kirchlichen Hirtenamtes sein, zu erklären, wieweit vorliegende Pläne und Beschlüsse tatsächlich nur in bestimmten Situationen verwirklicht werden können oder in verschiedenen Formen realisierbar sind. Oder es kann sich herausstellen, daß vorgeschlagene Wege unvereinbar sind mit einem Menschenbild, welches wir als christlich bezeichnen.

Wir wollen hoffen, daß dieser Katholikentag, der in einträchtiger Zusammenarbeit vieler Experten und Fachleute vorbereitet wurde und zu einem großen Teil seine Bedeutung durch die Ergebnisse der verschiedenen Arbeitskreise erlangt hat, in einer zweifachen Hinsicht dauernden Gewinn bringt: einmal dadurch, daß er eine klare Zielsetzung der sozialen Verantwortung aufstellt, ferner dadurch, daß er die Grundlagen künftiger Diskussionen klärt für alle diejenigen. die diese Auffassung mit uns teilen sowie auch für jene, die nicht dieser Auffassung sind. Es wird die Arbeit des kommenden Jahres sowie der neugegründeten Sozialakademie sein, die durch den Katholikentag erkannten Anliegen durch Schulung und Diskussion zu vertiefen und weiter zu klären.

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