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Gott braucht uns in der Politik

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„Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben!“ verkündete der 85. Deutsche Katholikentag in Freiburg. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Bayerns Kultusminister Hans Maier, nahm das Motto in seiner Rede vor der Schlußkundgebung zum Anlaß für eine umfassende Analyse, die weit über den Schauplat&hinaus Gültigkeit besitzt^

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„Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben!“ verkündete der 85. Deutsche Katholikentag in Freiburg. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Bayerns Kultusminister Hans Maier, nahm das Motto in seiner Rede vor der Schlußkundgebung zum Anlaß für eine umfassende Analyse, die weit über den Schauplat&hinaus Gültigkeit besitzt^

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Hinter uns liegen Jahre, in denen viel von Zukunft die Rede war. Große Entwürfe wurden entwickelt, von historischen Bündnissen war die Rede; Reformen beschworen ein messiani-sches Zeitalter des sozialen Ausgleichs und der internationalen Entspannung. Davon ist wenig übriggeblieben.

Zu viele babylonische Türme sind eingestürzt, als daß wir den Planern noch blind vertrauen könnten. Zukunft und Hoffnung? Für viele, auch für viele Christen, bedarf es fast einer verzweifelten Selbstermunterung, wollen sie jener Botschaft glauben.

Solche Wetterstürze des Zeitgeistes haben wir in den letzten Jahren oft erlebt. Aber diesmal scheint die Beunruhigung doch tiefer zu gehen. Sie ergreift Welt und Kirche. Ein Zeitalter der Selbstverständlichkeiten geht zu Ende. Nicht mehr selbstverständlich und unbestritten ist der Fortschritt, sind, die Erkenntnisse der iWissen, schaft, nicht mehr* selbstverständlich; ist das Wachstum der Bevölkerung oder des Sozialprodukts; nicht mehr selbstverständlich sind die Arbeitsplätze, die Lehrstellen, die Studienmöglichkeiten; nicht mehr selbstverständlich ist die lange Zeit lässig und gedankenlos genossene Sicherheit drinnen und draußen.

Wir schauen in die Zeit hinein und suchen ihre Zeichen zu erkennen: In einem reichen Land werden jährlich Zehntausende Kinder im Mutterleib getötet, weh sie unerwünscht sind. In einem reichen Land stehen Jahr für Jahr mehr Särge als Wiegen. In einem reichen Land drohen Familien arm zu werden, wenn sie kinderreich sind. In einem reichen Land muß man sich Sorgen machen um die Zukunft der sozialen Sicherung. In einem reichen Land wird von nicht wenigen die Treue in der Ehe, im Priestertum, im Ordensstand zum leeren Wahn erklärt. In einem reichen Land mangelt es an Geduld und Opferbereitschaft für Alte und Kranke, fehlt das Ja zu einem Leben, das behindert ist. In einem reichen Land, wo ein Maß der persönlichen Freiheit herrseht wie nie in unserer Geschichte, fehlt es an gemeinsamen, allgemein anerkannten Grundwerten - und damit an jenem Fundament, ohne das Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und bürgerliche Freiheit auf die Dauer verfallen müssen.

Ist dies alles selbstverständlich? Ist es ein unabweisbares Verhängnis? Sollen wir alles so gehen und treiben lassen wie in den vergangenen Jahren. Wir müssen den Zorn wieder lernen gegen diese Dinge, die Empörung gegen Ungerechtigkeit, Bequemlichkeit und Selbstsucht. Ein Volk, das sich nicht mehr empören kann, ist verloren!

Wir müssen unseren Willen, unsere Kräfte mobilisieren, damit von diesem Katholikentag eine Bewegung zum Besseren ausgeht - unübersehbar für die Mächtigen. Wir fordern die senmedien auf, über diese unsere wirklichen Nöte zu berichten und nicht Scheinprobleme hochzuspielen oder zum Abbau von Werten beizutragen. Wir verlangen von Regierungen und Parteien, daß sie uns .nicht mit kleiner Reformkost hastig über eine Legisla-turpreriode hinwegfüttern, sondern daß sie die Zukunft im Auge behalten,

auch wenn dies Verzicht in der Gegenwart bedeutet.

Die Sorge für Familie, Jugend, Erziehung muß wieder zum Mittelpunkt unserer Pohtik werden. Die Grundfragen unserer Zukunft müssen wieder den öffentlichen Rang gewinnen, den sie seit vielen Jahren verloren haben. Dafür kann man sich eine Menge von Schaustehungen und Schaukämpfen

sparen, die nur der politischen Profilierung dienen.

Unser Staat beruht auf Grundwerten. Sie tragen und prägen das gemeinsame bürgerliche Leben. Solche Gemeinsamkeit von Werten ist kein Luxus. Werte sind das tägliche Brot der Demokratie. Fehlen sie, so laufen Gesetze, Rechtsprechung, soziale Sicherung bald leer. Die schönsten Lehrpläne der Schule nützen nichts, wenn aus dem Elternhaus nicht erzieherischer Mut, erzieherische Sorge dazukommen.

Die beste Denkmalspflege kann unsere Städte und Dörfer nicht retten, wenn nicht geschichtlicher Sinn und Liebe zum Uberlieferten im Volk lebendig sind. Alle finanztechnischen Künste können die Rentenversicherung nicht dauerhaft erhalten, wenn ihre Basis - das Generationenopfer -von künftigen Generationen gar nicht mehr verstanden, geschweige denn bejaht wird.

Unsere aus Trümmern aufgebaute staatliche Gemeinschaft hat viele christliche Grundsätze und Verhaltensweisen zu Maßstäben ihrer Sozialpolitik, Rechtspolitik, Kulturpolitik gemacht. Daß niemand verhungern muß, daß ausreichende materielle Lebensmöglichkeiten bestehen, daß die Würde der Person geachtet wird, daß jeder einen angemessenen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten hat, daß die Generationen füreinander einstehen: das alles ist nicht nur gute und richtige Politik, es ist auch ein Stück realisierter christlicher Solidarität im öffentlichen Leben.

Aber besteht nicht die Gefahr, daß die Quellen dieser Solidarität verschüttet werden, wenn die begründenden Werte nicht mehr lebendig sind? Muß sich dann nicht der Sozial-und Kulturstaat in einen technischen Apparat, in eine seelenlose Attrappe verwandeln? Ein Staat, der den Schutz des ungeborenen Lebens verringert, statt ihn zu stärken; ein Staat, der Ehe und Familie nicht mehr als Lebensordnungen begreift, sondern nur noch isolierte Interessen von Männern,

Frauen, Kindern sieht; ein Staat, der die Notwendigkeit des Generationenopfers' nicht mehr begründen kann, weil er selbst nicht mehr an seine Zukunft denkt und für sie vorsorgt - ein solcher Staat mag sich vielleicht noch von Kompromiß zu Kompromiß fristen, er ist aber keine Sicherheit und keine Zukunft für die Bürger.

Aber wir sehen auch Zeichen der Hoffnung. Auch in der heutigen Zeit gibt es unzählige Menschen, die vertrauensvoll auf Gottes Zusage hin ein Ja zum Leben sagen: ein Ja zur ehelichen Treue, ein Ja zum Kind, ein Ja zum Priestertum, zum Ordensstand, ein Ja zu einem Leben der Einsamkeit und Selbstverleugnung, der Krankheit und des Verzichts. Vielleicht sind es gerade diese kleinen und stülen Zusagen und Versprechen, die Zukunft eröffnen.

Gott braucht Menschen, die anderen an die Hand gehen, die gut zu ihnen sind und ihnen helfen. Ohne Solidarität zerfällt die Gesehschaft in Individualismen und Egoismen, wird Beliebigkeit ihr oberstes Prinzip. Nicht das kunstvoll geknüpfte Netz sozialer Sicherungen genügt auf die Dauer - wir müssen ein Netz menschlicher Beziehungen schaffen, das Menschen ohne Aufdringlichkeit zusammenführt, die aus Fremdheit und Argwohn befreit, ihnen Heimat gibt. Bei aller Verschier denheit der Interessenlagen bedarf es eines Minimums an Solidarität zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und zwischen den Generationen. Wo eine Generation aus dieser Verantwortung auszubrechen versucht, wo sie nur ihre „Selbstverwhklichung“ im Blick hat, da verbaut sie die Zukunft und betrügt sie sich selbst

Gott braucht uns in der Politik. Spätestens die Herausforderung bewaffneter Anarchie hat uns klargemacht, daß wir diesen unseren Staat im täglichen Leben geduldig und offensiv vertreten und seine Grundwerte verteidigen müssen. Wenn wir nicht dazu bereit sind, weh es unbequem ist, dann

werden wir mitschuldig an weniger Freiheit, weniger Recht, weniger Menschlichkeit und weniger Zukunft.

Gott braucht uns in Europa. Europa ist Gegenstand der Hoffnung für viele Menschen dieses Kontinents - und noch mehr für die anderen, die nicht, wie die überwiegende Mehrheit der Europäer, in Freiheit und Frieden leben können.

Gott braucht uns in der Dritten Welt. Ohne unsere Solidarität können diese Länder nicht Herren ihrer politischen Entwicklung werden, können sie nicht jenes Minimum an innerem Frieden und wirtschaftlichem Wohlstand entwickeln, das die Voraussetzung der bürgerlichen Freiheit ist.

Gott braucht uns für die Zukunft der Welt. Wenn wir seinem Ruf folgen und weltweit denken und handeln, dann werden manche Binnenprobleme, die uns jetzt Sorgen machen, in die rechten Proportionen gerückt werden. Wir stehen in einer Zeitenwende. Christus schreitet durch die Zeit und ruft immer neue Menschen in seine Nachfolge. Schon bald werden die jungen Kirchen in Amerika, Afrika und Asien die Kirche Europas überflügelt haben. Immer farbiger, immer vielgestaltiger wird die eine Kirche.

So muß das letzte Wort dieses Katholikentages ein Wort des Mutes, der Ermutigung sein. Mut - das klingt uns entgegen aus den Gebeten, den Gottesdiensten, den Foren und Veranstaltungen der letzten Tage, aus den Zeugnissen der Geschichte, die wir betrachtet haben. Mut - er sei unser Begleiter auf Wanderung durch die Zeit zwischen Angst und Hoffnung.

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