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Was mich noch bewegt

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Vor allem die Persönlichkeit und Ausstrahlung von Papst Johannes Paul II. haben die Österreicher vor einem Jahr begeistert. Aber was ist von dieser Aufbruchstimmung unter den Katholiken geblieben? Vielleicht mehr als nur eine sentimentale Reminiszenz?

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Vor allem die Persönlichkeit und Ausstrahlung von Papst Johannes Paul II. haben die Österreicher vor einem Jahr begeistert. Aber was ist von dieser Aufbruchstimmung unter den Katholiken geblieben? Vielleicht mehr als nur eine sentimentale Reminiszenz?

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Vera Russwurm:

Papst allein hat gepunktet

Der Papst ist wirklicher geworden, greifbarer, näher. Der Papst als Mensch. Er war hier und für jeden — der wollte — auf ein paar Meter Distanz erlebbar. Allfein dadurch hat der Papstbesuch etwas gebracht.

Auch jetzt, knapp ein Jahr danach, ist mir seine Persönlichkeit, seine Ausstrahlung noch stark in Erinnerung. Denn schließlich ist es für mich ein großer Unterschied, ob ich über diesen obersten „Kirchenboß“ nur lese, höre und über seine diversen Aktivitäten und Reisen in andere Länder via TV erfahre, oder ob er tatsächlich österreichischen Boden betritt. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, daß unser kleines Land so hohen Besuch höchst selten bekommt.

Allerdings: Gelegenheit zur echten Auseinandersetzung mit ihm und der Kirche war damals nicht wirklich gegeben! Deshalb bleibt mir der Eindruck: Der Papst konnte durch seine Persönlichkeit bei vielen Jungen für sich punkten — nicht aber für die Kirche als Institution!

Die Autorin ist Jugendredakteurin der Kronen-Zeitung“.

Peter Kampits:

Irgendwie verändert

Institutionen unterliegen bekanntlich eigenen Gesetzmäßigkeiten. Spontanität und kurzfristige Veränderung ist nicht ihre Sache. Dies gilt in besonderem Maß von einer Institution wie der Kirche, die oft nur allzu langsam und zögernd reagiert.

Es mag ja sein, daß man im Uberschwang und der ersten Begeisterung, die das Gefühl von Katholikentag und Papstbesuch wohl in uns allen ausgelöst hat, auch die Hoffnung überborden ließ. Die Hoffnung, daß nun das ganz andere in uns Platz greifen würde, daß eine irgendwie nicht näher nennbare Erneuerung von nun an alles neu machen würde.

Inzwischen ärgert man sich weiter herum mit Kirchensteuer, Stellungnahmen der Kleriker zu Tagesfragen, dem ganzen Alltagstrott und der Schwerfälligkeit, die nun einmal die Institution „Kirche“ im besonderen auszeichnet.

Und doch: Irgendwo haben diese Tage, hat vielleicht vor allem das Charisma dieses Papstes etwas bewirkt, das man nicht näher beschreiben oder fixieren kann. Irgendwo fühlt man sich den kleinen und großen Dummheiten und Bosheiten der Welt gegenüber verändert, versteht man die gelegentlich unbeugsame Haltung dieses Papstes gegenüber den Forderungen der Progressiven besser.

Irgend etwas hat sich erneuert. Etwas Unmerkliches vielleicht. Aber war nicht gerade die Botschaft, das Evangelium, deshalb so revolutionär?

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

Helmut Zilk:

Eindrucksvoll, unvergeßlich

Ich würde sagen, mein Verhältnis zur Kirche hat sich nicht verändert, aber ich selber bin sehr bestärkt worden. Der Papst hat durch seinen Besuch in Wien Zeichen gesetzt, er hat Thesen aufgestellt, von denen ich meine, daß eine jede auch uns Politiker angeht und auch von uns Politikern immer wieder überdacht, bedacht und befolgt werden soll.

Viele seiner Worte sind mir bis heute in Erinnerung, wie z. B.

„Liebe ist stärker als Haß und Rache, und Leben ist stärker als der Tod“ oder „Kehrt um aus der Klage und Anklage zur Eigenverantwortung“ - oder: „Europa braucht kraftvolle Impulse aus der Mitte unseres Christseins und wache Herzen, um solche Impulse aufzunehmen und in die Tat umzusetzen“. '

Mit all diesen Worten hat er in eindrucksvoller und für mich unvergeßlicher Weise gezeigt, wie sehr es für uns alle darauf ankommt, immer wieder den richtigen Ton zu finden, zu mahnen, aber auch zu ermutigen, die Wahrheit auszusprechen, aber auch den Menschen einen Weg zu weisen aus ihren Ängsten und Zweifeln. Das wird mir ein Leben lang unvergeßlich bleiben.

Der Autor ist Bürgermeister von Wien.

Erhard Busek:

Das Potential nicht genützt

Die Frage, ob die Wirkung des Papstbesuches noch gegeben oder verflogen ist, wäre eigentlich an jene zu richten, die von der Pastorale her feststellen können, was geblieben ist. Persönlich hat mich die Jugendnacht im Stadion beeindruckt und verändert, weil mir erst da so richtig klargeworden ist, welch ungeheures emotionales Bedürfnis in den jungen Menschen von heute steckt.

Johannes Paul II. ist in der Lage, es zu befriedigen, auf eine ganz eigenartige Weise, die zur kritiklosen Akzeptanz seiner Vorstellungen führt, aber auch den Verdacht aufkommen läßt, daß sie von den jungen Menschen gar nicht wahrgenommen werden.

Ich glaube, daß diese emotionale Seite von der Kirche nach dem Papstbesuch nicht genutzt wurde und hier eine Chance wahrscheinlich bereits vertan ist. Geblieben ist für mich der Eindruck, daß die österreichische Kirche doch noch in der Lage ist, Menschen zu bewegen, sowohl nach der Zahl als auch dem Gemüt.

Geblieben ist auch, daß sich die österreichische Kirche hier aufgeschwungen hat, wobei sie offensichtlich nachher wieder erschlafft ist. Insofern stehe ich anders zur Kirche, als ich ihr Potential, ihre Möglichkeit, etwas zu tun, höher einschätze als vorher und gleichzeitig bedaure, daß daraus nichts gemacht wird.

Verändert hat mich das fundamentale Ereignis der Begegnung mit Karol Wojtyla: einem Mann, der höchst persönlich ein großes und zugleich auch furchterregendes Amt ausübt. Mit aller Bereitschaft der Übernahme des Leidens und der Hoffnung.

Damit stehe ich wahrscheinlich anders zu den Möglichkeiten des Papsttums als früher. Ob das allerdings genug ist — für die Kirche und für mich?

Der Autor ist Vizebürgermeister von Wien.

Elisabeth Orth:

Viele Fragen bleiben offen

Ein Jahr liegt dieses Fest schon zurück. Und ein großes, landesweites Fest war es wohl in der Hauptsache: Der Papst war zu Besuch. Der Katholikentag bot den manchmal fast vergessenen nahmen, war der — zurückgedrängte — Anlaß.

Nur Olympische Spiele beherrschten in vergleichbarer Intensität Mattscheiben, Ätherwellen und Zeitungsspalten. Der Papst in Bild und Wort und Ton und Souvenir mitten unter uns.

Es war gut und wichtig und nicht besonders schwierig, mit ihm zu feiern. Katholisches war „in“, Nichtkatholisches nahm teil, war geladen.

Auch Christus wird mitten unter uns gewesen sein in diesen festlichen Tagen. Und Christus weiß um die vielen, vielen Fragen, die nach dem Fallen dieses Festvorhangs in seiner Kirche offengeblieben sind. Deren Nicht-beantwortung und Verdrängung Angst und Not, Verzweiflung und Ratlosigkeit unter dem Kirchenvolk — Seinem Volk—weiterwachsen lassen.

Dieser Papst kann sie uns nicht beantworten. Vielleicht ein künftiger. Oder ein künftiger Katholikentag. Auch Christus hat Fragen an seine Kirche.

Die Autorin ist Kammerschauspielerin am Wiener Burgtheater.

Karl Pale:

Einmal kräftig Flagge gezeigt

Ich muß sagen, daß die Erinnerung an die Aufbruch Stimmung und die vielen positiven Aspekte, die sich rund um den Papst-Besuch ergeben haben, heute noch sehr lebendig sind.

Der spirituelle Wert von Großveranstaltungen ist schwer abzuschätzen. Aber ich glaube doch, daß vor allem die Jugend durch diese neuen Initiativen und Aktivitäten neue Impulse erhalten hat.

Auf jeden Fall war es aber auch wichtig, daß die Austria Catholica auch wieder einmal kräftig Flagge gezeigt hat, um in einer säkularisierten, materialistischen Welt zu demonstrieren, daß Religion nicht nur Privatsache ist, sondern auch eine gesellschaftspolitische Relevanz hat.

Dieses Programm verfolgt auch der Papst mit seiner klaren Politik, aus dem Vatikan hinauszugehen in die Welt, um den Menschen immer wieder zu sagen, daß keiner für sich allein lebt, sondern daß wir Verantwortung füreinander haben.

Der Autor ist Generaldirektor der Girozentrale.

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