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Ein Mann namens Montini

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Mit diesem Namen wurde er vor 80 Jahren ins Pfarr-Register eingetragen. Wahrscheinlich wissen nicht allzu viele von diesem ersten Namen, denn er wird heute anders genannt: Heiliger Vater, Papst, Paul, Paul VI.. Es ist einer jener Namen, bei denen das Gesicht jener, die ihn aussprechen, meist nicht unbewegt bleibt. Das Gesicht gibt ein kleines oder lautes Signal, was sich der Sprecher vom Träger des ausgesprochenen Namens denkt.

Und da gibt es ein ironisches Lächeln, Kopfschütteln. Es gibt einen Sturzbach von klugen Bemerkungen, wie dieser Papst eigentlich alles anders machen sollte. Davon weiß der Papst. Er spürt, daß sich manches dieser Gesichter von ihm abgewandt hat. Ratschläge werden nicht wenige gegeben. Es wird ihm gesagt, er solle wie ein Titan dreinfahren. Er solle ausstoßen. Er solle endgültig Ordnung und reinen Tisch machen. Ich denke, das hat ihm weh getan.

Andere wollen aus seinem Gesicht etwas herauslesen: Härte oder Unsicherheit oder Resignation. Und merken nicht, daß sie bloß etwas hineingelesen haben.

Mitunter ist es einem gegönnt, mit ihm reden zu können und dabei sein Gesicht anzuschauen. Ganz von der Nähe. Alle Welt weiß, daß dem Papst das Gehen schwerfällt Und damit meinen viele, ihn bereits beurteilen zu können: krank, müde, alt. Als ob ein beschwingter Schritt schon den ganzen Menschen ausmachte. Sie erwarten ein Gesicht des Leidens. Ich habe es anders gesehen. Es ist ein Gesicht der Aufmerksamkeit.

Das hat mich an die Bischofssynode der letzten Jahre erinnert. Inmitten der schwarzen und roten Soutanen, inmitten der Bischöfe aus den Steppen und Slums, inmitten der Kurienkardi- näle saß er mit seinem weißen Talar. Lateinisch, französisch, spanisch gingen die Reden. Gezügelt in der Form und doch voll Vitalität der Ideen, der Hoffnungen, mitunter auch, voll Ratlosigkeit Und vorne neben dem Vorsitzenden saß Paul VI. Mit dem Ringheft und dem Kugelschreiber. Und er war aufmerksam, wenn manche andere Mühe zu folgen hatten oder sich diese Mühe gar nicht mehr machten. Er war immer aufmerksam. Er lachte mit uns, denn auch Sätze der Heiterkeit gab es. Aber er machte zugleich kein Hehl aus der Unbeugsamkeit seines Amtes und hatte für jeden ein gutes Wort zum Abschied.

Seine Unbeugsamkeit - sie hat ihm oft eine schlechte Presse beschert. Was er gesagt hat über den Fortschritt der Völker, haben viele gern und leicht vergessen. Ebenso seine Leidenschaft zum Frieden. Aber die Sache mit der Pille vergessen sie nicht. Obwohl es immer aufgeregterer Bemühungen braucht, nicht vorhergesehene Schäden zu reparieren. Und dabei hat man gar keine Zeit mehr, die noch tiefer liegenden Schäden anzusehen.

Und dann gab es die „Priesterfrage“. Es ist müßig, sich in den Papst hineinzudenken. Aber man kann sich einiges vorstellen, wie ihm zumute sein muß, wenn ihm die Namen derer vorgelegt werden, die gebeten haben, in den Laienstand zurückzukehren. Auch hier eine Flut von Ratschlägen, in Büchern, in Zeitschriften, in Reden. Er solle doch einfachen Prozeß machen. Einfach ein altes Gesetz aufheben. Und er mußte es in Kauf nehmen, belächelt und beschuldigt zu werden. Einfachhin Verantwortung hingeschoben zu erhalten, daß Gemeinden und Landstriche ohne Priester leben. Ein wenig über die Einsamkeit einer Verantwortung und einer Entscheidung nachzudenken, lohnt sich hier.

Dieses vielfältige Leid wird an ihn herangebracht. Er lebt nicht abgeschirmt. Und zugleich weiß er um seine Pflicht, alles zu tim, daß das Wort von der Auferstehung nicht mehr erlösche. Daß es mehr als Faßbares um des Himmelreiches willen gebe. Jetzt scheint eine erschöpfte Stille in der Kirche zu sein. Wohl eine Stille, in der man neu nachzudenken beginnt. In der man den Atem hat, wieder mehr nach dem Reich Gottes zu fragen, wie es wohl in dieser Welt verstanden werden könne. Eine Stille, in der man entdecken kann, daß Bücher und Reden und Predigten wahrscheinlich zu wenig sind, daß es .die konkrete Nachfolge braucht. Und die besondere Nachfolge. Und daß ohne diese besondere Nachfolge die vielen Christen nicht ihr Christentum auf die Dauer leben können. Und daß wir deswegen viele Priester brauchen. Wir können nur ein wenig ahnen, wie es einen Papst anfordert und auch verbraucht- die Pflicht, die Hoffnung zu wahren und zugleich nüchternen Blickes unbeirrbar weiterzugehen.

In den jüngsten Zeitungen steht wieder zu lesen, wie ein Papst gewählt wird und wer gewählt werden könnte.

Als Johannes Montini Papst Paul VI. wurde, hat das nicht viele überrascht. Er hat wohl selbst geahnt, daß diese Wahl auf ihn zukommt. Inmitten eines Konzüs. Mit freundlichem Lächeln wurde er ein Hamlet genannt. Aber vom ersten Tag an war er ganz Papst. Wer hätte damals geahnt, daß heute einige, die ihn eifersüchtig verteidigten,

nun sein geduldiges Schweigen als Freibrief nehmen, in der Kirche eine Kirche gegen das Konzil zu gründen? Ist das das schwerste Kreuz, das ihm jetzt noch auferlegt wird?

Wer einmal seine Lebensgeschichte schreibt, wird berichten, wie er selbst zu den Menschen aller Kontinente gekommen ist. Aber sie kommen ebenso zu ihm. Da gab es das Jahr 1975. Ansonsten hatten die Heiligen Jahre nicht immer den besten Klang in der Kirchengeschichte. Und die Skepsis war nicht gering. Zumal eine Touristenindustrie zu einer neuen Macht geworden ist, die kaum noch jemand steuern kann. Und er hat das Heilige Jahr doch gewagt. Und dann sind sie gekommen: mit dem Flugzeug und zu Fuß, mit Pilgerzügen und in den Limousinen der Reichen. Sie kamen, um Fotos zu machen, und begannen zu beten, und begannen zu singen. Sie kamen, um frommen Gemütes einmal den Papst zu sehen, und wußten dann zu Hause nicht recht, was sie erzählen sollten. Schutzlos steht er vor den Massen und bewegt sich in ihnen. Da verstehen viele, daß in dieser Schutzlosigkeit eine große Kraft liegt. Es ist eine tröstliche Begebenheit in einer Weit, deren Vokabular voll ist an Megatonnen, Überschallgeschwindigkeit, Neutronenbomben, taktischen Atomschlägen und Hinrichtungen durch Stadtguerillas.

Es hat sich viel ereignet in diesem Heiligen Jahr 1975. Ein geschäftiges Kirchenwesen von endlosen Diskussionen und Bedauerungen über Machtverhältnisse wurde wieder auf seinen Platz zurückgerückt. Kirche wurde getan und Kirche geschah. Anwesend war der gütige Geist Gottes. Ich habe schon viele Fotos von Menschen nach der Papstaudienz gesehen. Warum haben sie alle ein fröhliches Angesicht, ohne daß der Fotograf sagen mußte: bitte, recht freundlich?

Man sagt, Paul VI. sei ein Mann der großen Geste. Wie er den Boden von Mailand küßte, als er dort als Erzbischof antrat. Wie er die Tiara abgesetzt und nie mehr zurückgeholt hat. Wie er vor dem orthodoxen Bruder niederfiel, um sich zu seinen Schuhen zu neigen. Ich glaube, er tut so etwas nicht leichthin. Aber ich glaube nicht, daß es Regie ist, sondern das Wissen eines aufmerksamen Mannes, daß die gute Botschaft von Jesus Gestalt annehmen muß. Sein Amt, in das er gerufen ist, füllt er an mit den sinnhaften Beispielen der Treue eines wahren Hirten.

Das tut jenen gut, die in seinem Vertrauen Erd auf, Erd ab Hirten in ihrer Diözese sein sollen. Von Alaska bis zur Südsee, von den Staaten der politischen Beengung bis zu den Ländern brodelnden neuen Werdens. Sie wissen, sie haben einen Bruder in Rom, nicht einen Fürsten. Nicht einen nörgelnden Vorgesetzten. Sondern einen aufmerksamen Mann des Gewissens. Der mit Zähigkeit zum Konzil steht und - nicht immer selbstverständlich ist das - für die Durchführung seiner Beschlüsse sorgt. Sie wissen in Rom einen Bruder, der anscheinend in allen Sprachen das Wort „Danke“ gelernt hat. Er sagt es immer und immer wieder, radebrechend und herznah. Und er lebt dieses Wort. Wer nach Rom kommt und einen zaudernden Pessimisten erwartet, findet einen fröhlich Hörenden. Einen, der einfach danke sagt - zu Gott und zu seinen Mitchristen.

Und wo es diese Dankbarkeit gibt, steht die Tür zur Zukunft offen.

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