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Bündelnde Kraft der Persönlichkeit

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Um heute über den Papstbesuch resümieren zu können, muß ich weiter ausholen, bis in das Ponti-fikat Johannes XXIII.

Ich muß gestehen, daß mir die joviale Großherzigkeit, mit der dieser Papst zum Konzil aufgerufen hatte, von allem Anfang an Bedenken verursacht hat. Die Kirche sollte an Haupt und Gliedern reformiert werden. Sehr schön. Auch ich hatte mir oft vorgestellt, daß die Kirche nur gewinnen könnte, wenn sie sich öffnen würde, doch öffnen, wohin? Ich hatte den Raum einer neuen Mystik, einer neuen Spiritualität im Sinn. Nun aber geschah ganz anderes.

Mit Staunen (und Erschrecken) stellte ich fest, wie die Kirche, ein so hochgezüchtet-hochdifferenziertes System, dem sogenannten gesunden Menschenverstand anvertraut und seinen oft mehr als hemdsärmeligen Manipulationen überantwortet wurde. Wohin, so fragte ich mich sorgenvoll, sollte diese, zwar grandios wohlwollende, doch ebenso prekäre, weil von unabsehbaren Folgen trächtige Öffnung führen?

Indessen war Johannes XXIII., als Wortführer des Aggiornamen-to (miß)verstanden, zum Liebling der Weltöffentlichkeit geworden. Von allen Seiten wurde ihm Beifall gespendet; und eben der allseitige Beifall erregte mein Mißtrauen.

Nach Johannes kam Paul VI. Er trat ein schweres Erbe an. Eine Lawine war ins Rollen gekommen, er sollte sie dirigieren, wo er doch selbst ein Zweifelnder war. Als tragischer Skrupulant hat er ausgelitten.

Sein Tod fiel in eine Zeit schwerer Krise. Nun erfolgte die Wahl Lucianis als Johannes Paul I. Ein Unbekannter, kaum profiliert; das nervöse Lachen, das diesen Papst in der Stunde der Erwählung überwältigte, war wie ein Signal; es ließ Labilität vermuten, also Schlimmes befürchten.

Doch dann, nach kurzem Ponti-fikat, eine Wendung, die ans Wunderbare streifte: eine seit Jahrhunderten unerhörte Neuigkeit: ein Papst, der kein Italiener war, eine Wahl also, die das Gehäuse der Tradition sprengte, sofern diese nur politisch-pragmatisch, also äußerlich und eigentlich a-religiös war; ein Papst aus Polen, damit aus einem schwergeprüften Land; ein Papst, der nicht wie so viele seiner Vorgänger in einem priesterlichen Kolleg auserlesen, gehegt, in einer „Königswabe“ aufgezogen und als „papa-bile“ methodisch präpariert worden war; der vielmehr gearbeitet hatte wie ein Arbeiter, der verfolgt worden war wie Millionen seiner Volksgenossen, der also gehärtet worden war durch ein hartes Leben. Mit diesem Mann, soviel war schon in der ersten Stunde zu erkennen, würde sich niemand einbilden können, ein leichtes Spiel zu haben.

Sein erster Auftritt nach der Wahl: eine vertrauenserweckende Mischung von Selbstsicherheit und Ergriffenheit. Hier trat ein Mann das schwerste Amt an, aber brachte nicht nur Würde, sondern auch Standfestigkeit mit. Hier war ein Mensch, der fähig war, ein Problem nicht nur zu durchdenken, sondern ihm auch eine Form zu geben; ein Mensch auch, der sich zu vermitteln weiß, der Charisma hat, aber nicht das elitäre, vom Irdischen abgehobene Charisma eines Pius XII., sondern ein Charisma, das sozusagen auch Erdkraft gebunden hat. In vielen Augenblicken hat dieser Papst das Gesicht eines sehr lebenserfahrenen und sehr gescheiten Bauern.

Schon nach der ersten Begegnung via Television war mir dieser Pontifex keine Überraschung mehr. Alles, was man von ihm erfuhr, seine Reisen, Reden, Enzykliken paßten nahtlos in das zuerst von ihm gewonnene Bild. Eine Überraschung waren mir allerdings im vergangenen Jahr die Wiener, die, kaum daß Johannes Paul II. angekommen war, in ihrer Masse Autorität und Charisma des Gastes anzuerkennen bereit waren.

Alles Genörgel und Gemecker zuvor — sie waren plötzlich verstummt. Ein erstaunlicher Vorgang. Kann ein einzelner Mann eine solche Strahlungskraft über eine ganze Stadt entwickeln?

Ich bin nüchtern genug, um auch nach rational faßbaren Vorgängen zu fragen. Zweierlei drängt sich auf: Wien ist an Massenaufmärsche gewöhnt. Immerhin könnten die zum Katholikentag 1983 zusammengeströmten Menschenmengen eine andere Stimmung, ein anderes Fluidum verbreitet haben als normale Massenzusammenkünfte. Der Wiener war sensibel genug, diese Andersartigkeit zu empfinden, er hat sie positiv registriert.

Doch auch die Massenmedien haben, vorab in der Berichterstattung über die große Jugendfeier im Stadion. Eindrücke vermittelt, die ungewohnt, sympathisch, vertrauenerweckend, ja rührend wirkten. Da war — im Gegensatz zu zahllosen anderen Großveranstaltungen — plötzlich eine Jugend zu entdecken, die gesittet und dabei tief bewegt, die fromm ergriffen, dabei mitgestalterisch kreativ, die beglückt und dankbar und dabei lebendig und kraftvoll erschien. Ein ungewohnter Anblick — auch auf unseren Bildschirmen, und das sonst oft so desillusio-nierte, abgebrühte Großstadtpublikum beantwortete die „neue Erfahrung“ mit einer Welle von Sympathie.

Eine Welle der Sympathie galt wohl auch der mehr als zweihun-derttausendköpfigen Menge, die in strömendem Regen auf der Donauinsel aushielt, um gemeinsam die Messe zu feiern; eine weitere Welle der Sympathie mag ausgelöst worden sein, als der Pontifex im Haus der Barmherzigkeit auch die Ärmsten der Armen besuchte und ihnen sein Mitleiden zeigte.

Selbstverständlich stand der Papst immer im Mittelpunkt der Ereignisse, und es leuchcete jedermann ein, daß alles, was hier an Gemeinsamkeit, Gutwilligkeit, an Kundgebung des Glaubens geschah, jeweils in seiner, des Papstes, Persönlichkeit seinen Brennpunkt fand.

In einer Zeit tiefer Zerklüftung, Zerstreuung, Verunsicherung wirkt die bündelnde Kraft einer starken Persönlichkeit als natürliche Autorität. In diesem Fall tritt die Aura des Amtes hinzu, ein unschätzbarer Glücksfall, anders ausgedrückt: ein Fall der Gnade. Ich möchte sagen: in diesen Frühherbsttagen des Jahres 1983 ereignete sich in Wien wieder einmal Kirche als ein öffentliches und in dieser eher ungläubigen Stadt rares, wenn nicht einmaliges Vorkommnis. Nicht nur, daß aus lange verschütteten Tiefen Erinnerung aufstieg an eine katholische Vergangenheit, die sonst so vielen abgelebt und abgelegt erscheint; für Augenblicke zeigte sich die Schubkraft einer unerwartet gegenwärtigen und damit auch in die Zukunft weisenden Lebensmächtigkeit, ein Versuch neues Vertrauen zu fassen von Mensch zu Mensch im Wirkungsfeld des Numinosen.

Selbstverständlich ging dann der Alltag über das alles hinweg. Ergriffenheit kann für gewöhnlich nicht festgehalten, Sympathien können nicht täglich neu reproduziert werden. Immerhin war ein Ereignis eingetreten, das nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Erfahrungen dieser Art wirken in infinitesimalen Dosen weiter. Es kommt auf einige an, daß sich solche Spuren nicht verlieren, daß einmaliges Ereignis fortdauerndes Er-äugnis wird.

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