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Mitten in dieser Welt

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Der 82. Deutsche Katholikentag hatte sich unter seinem Präsidenten Dr. Bernd Vogel, Kultusminister von Rheinland-Pfalz, ein breites Band von Aufgaben und Themen gestellt, die die Problematik des modernen Katholizismus, seine Stärken und seine Schwächen, aufzeigen sollten. Der Demokratisierungsprozeß in der ganzen Kirche dokumentierte sich demnach sowohl in den Themenkreisen als auch in den Vortragenden. Essen war keine „Tagung der Frommen“, sondern ein „Katholikentag der Diskussion“, wobei von den Veranstaltern sicherlich bewußt Schärfen und Fehlmeinungen in Kauf genommen wurden.

Obwohl der offizielle Beginn erst für den 4. September abends angesetzt war, fanden bereits kurz vorher die Delegiertenversammlung der katholischen Verbände Deutschlands sowie zwei Arbeitstagungen über das moderne Priesterbild statt (Dogmatische Grundlagen des Priesterlichen Selbstbewußtseins — Pastorale Einordnung des priesterlichen Dienstes).

Die Delegationsversammlung der katholischen Verbände Deutschlands beriet unter ihrem Präsidenten Bernhard Servatius (Hamburg) die Schaffung einer „Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände Deutschlands“, um die gemeinsamen Aufgaben in Kirche, Staat und Gesellschaft besser erfüllen zu können. (Die Ähnlichkeit der geplanten Strukturen mit der „Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Aktion Österreichs“ ist nicht zufällig.)

Das moderne Priesterbild

Bei der Tagung über das moderne Priesterbild zeigte Prof. Karl Rahner SJ. (Münster, früher Innsbruck) den priesterlichen Konflikt zwischen Amt und Charisma auf und kritisierte unter beifälliger Zustimmung vieler Anwesender die bisherige bischöfliche Praxis des ohne Begründung gegebenen oder verweigerten'Imprimaturs. ; .

Am Abend des 4. September fand in der GRUGA-Halle die feierliche Eröffnung des 82. Deutschen Katholikentages statt, bei der in Anwesenheit des deutschen Bundespräsidenten Heinrich Lübke und seiner Gattin, der Kardinale Testa und Döpfner, des päpstlichen Nuntius Bafile sowie fast aller deutschen Bischöfe Festansprachen gehalten wurden:

von Hans Kirchhoff, dem Vorsitzenden des Lokalkomitees; vom Oberbürgermeister von Münster Dr. Albrecht Beckel, dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken; vom Oberbürgermeister der Stadt Essen Wilhelm Nieswandt; vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen Heinz Kühn und vom Bischof von Essen Dr. Franz Hengsbach.

Der geistliche Direktor des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Dr. Klaus Hemmmerle hielt die Festansprache über das Motto des Katholikentages „Mitten in dieser Welt“.

Unruhige Eröffnung

Bereits bei der feierlichen Eröffnung kam es zu einigen lautstarken Störversuchen von Vertretern eines „kritischen Katholizismus“, die sich der Abkürzung KAPO bedienten (= Katholische Außerparlamentarische Opposition). Doch die Sprechchöre („Der Heilige Geist ist längst verraten von den kirchlichen Bürokraten“ — „Brecht die Macht der kirchlichen Manipulateure“ — „Alleluja wird gesungen jetzt mit Marx- und Engels-Zungen“) vermochten die Feierlichkeit nicht wesentlich zu stören, veranlaßten jedoch den Ruhrbisdhof Dr. Hengsbach zum vielapplaudierten Zwischenruf: „Wenn Sie nicht nur links, sondern auch fromm sind: herzlich willkommen!“

Nur der Vollständigkeit halber seien die Themen angeführt, die ab Donnerstag, dem 5. September, in Forumdiskussionen oft sehr leidenschaftlich und nicht immer ganz sachlich besprochen wurden: „Diese Welt und Gottes Wort“ — „Ehe und Familie“ — „Kultur“ — „Wirtschaft und Gesellschaft“ — „Unser Staat“ — „Friede und Völkergemeinschaft"

— „Ist das neue Testament weltfeindlich?“ — „Kommt das Reich Gottes durch Evolution?“ — „Biblische Modelle des Weltverhaltens“ — „Naturwissenschaft und Glaube“ — „Die Evangelischen Räte“ — „Provokation der Welt?“ — „Ehe = 2X1

— sonst nichts?“ — „Die Familie zwischen Beruf und Freizeit“ — „Herausforderung Mischehe“ — „Ratlose Eltern — rebellische Jugend.“ • :f„Wer.mącht unsere Meinung?“ —. „Schulfrage und kein Ende?“ — „Aufstieg durch Bildung“

— „Kann Glaube sich heute noch künstlerisch ausdrücken?“ — „Der Mensch im Betrieb — Mitverantwortung — Mitbestimmung“ — „Existenzgefährdung durch Strukturwandel“ — „Gleiche Pflichten — gleiche Rechte — Die Frau in unserer Gesellschaft“ — „Der Mensch im Alter — auf dem Abstellgleis?“ —

„Katholiken in der Gewerkschaft“ — „Stiefkind Familienpolitik“ — „Unsere Demokratie in der Bewährung“

— „Verfassungspolitik in Bewegung“

— „Kirche und Staat — strittige Fragen“ — „Der katholische Christ in der pluralen Gesellschaft“ — „Friede im Atomzeitalter“ — „Wege nach Europa in Ost und West“ — „Entwicklung — ein neuer Name für Frieden“ — „Mission — Heilsdienst an den Völkerp'Sw HzyM norfož .nei

Kritische Diskussion um Ehe und Familie

Wie zu erwarten war, fand jene Forumdiskussion über „Ehe und Familie“ das stärkste Interesse und wurde von rund 6000 Personen der verschiedensten Altersstufen besucht. Überscharfe und überspitzte Formulierungen gegen die Enzyklika „Humanae vitae“ wie z. B., der

Papst verstoße gegen die Kollegialität der Bischöfe oder er vertrete ein perverses Menschenbild oder die deutschen Bischöfe hätten dem Papst eine unredliche Rückendeckung gegeben, brachten oft peinliche und beklemmende Töne in die

ernsten Diskussionen. Darüber konnte auch der Beifall, besonders der KAPO, nicht hin weg täusche?:!

Es schien gerade in der Forumdiskussion über Ehe und Familie bei vielen Teilnehmern die deutsche Eigenart wieder besonders hervor- zutrfeten, grundsätzlich anderer Meinung zu sein und alle jene für rückständig und dumm zu halten, die nach ihrem Gewissen eine, wenn im Detail oft sehr anfechtbare Entscheidung getroffen haben. Daß katholisch sein auch den Gehorsam gegen die Kirche und ihre Amtsträger in sich schließt, schien beim Essener Katholikentag oft nicht genügend erkennbar. Dazu kam noch, daß die KAPO parlamentarische Usancen auf das kirchliche Lehramt zu übertragen versuchte, und damit die Kritik an „Humanae vitae“ ins Lächerliche abdrangtą wie z. B. durch den „Mißtrauensantrag gegen den Papst“ und die Forderung nach dessen Rücktritt.

Gefahr oder Hoffnung?

Der heutigen Unsicherheit in der Kirche, dem scheinbaren Zwiespalt zwischen Aufbruch und Beharren, widmete Mario von Galli am Donnerstag, dem 5. September, seine Abendveranstaltung auf dem Essener Burgplatz mit dem Titel „Unruhe in der Kirche — Gefahr oder Hoffnung?“.

Am Freitag, dem 6. September,

fand um 15 Uhr ein Großforum statt, aus dem sich die schwierige Zusammenfassung aller Forumgespräche abklären sollte. Aber auch nur eine annähernde Zusammenfassung zu geben, würde den Rahmen dieses ersten Berichtes über Essen sprengen.

Neben diesen offiziellen Forumgesprächen fanden noch zahlreiche Vorträge, Arbeitskreise, Kundgebungen usw. statt, deren Inhalt nur für einen begrenzten Teilnehmerkreis von besonderem Interesse war wie z. B. für die Betriebsseelsorger, für" die Gemeinschaften der Familie Charles de Foucauld, für die Angehörigen der Bundeswehr, für die Kolpingfamilie, für die Quickborn- Gemeinschaften, für die Schönstatt- Bewegung, für den CV und die Katholische Deutsche Akademikerschaft, für die Heimatvertriebenen und andere Organisationen.

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