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Angreifbare Heiligtümer

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Ob Wirtschaftsaufschwung oder neues Kölner Kulturzentrum, um das unsereins die Bundesrepublik Deutschland beneiden mag, nicht beneiden muß man als österreichische Katholikin die Verflechtungen deutscher Katholiken in parteipolitische Kontroversen. Der Aachener Katholikentag (10. bis 14. September) machte dies einmal mehr deutlich. Dabei geht es nicht allein um die Tatsache, daß der sich im Jänner 1987 der Wiederwahl stellende Bundeskanzler Helmut Kohl und SPD-Kandidat und Ministerpräsident des (gastgebenden) Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, bei der Katho-likentags-Hauptkundgebung Grußworte sprachen, die dezent nach Wahlwerbung klangen.

Das heißt auch nicht, daß die vier politischen Themenschwerpunkte des Katholikentages („Weltkirche“, „Europa“, „Sozialer Katholizismus“ und „Technik und Verantwortung für die Zukunft des Lebens“) - der fünfte galt den „Geistlichen Gemeinschaften“ - nicht wesentliche Bereiche der Auseinandersetzung und des Engagements von Christen sein sollen und sind. Politisch im Sinne des Evangeliums, nicht aber parteipolitisch.

Politisch waren Diskussionen um die Theologie der Befreiung als befreiende Evangelisierung, um die Herausforderung der Christen durch Massenarmut und Hunger oder um die Verwirklichung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung im Themensektor „Weltkirche“. Politisch waren Foren und Gesprächskreise zur Realisierung der Menschenrechte, zum Verhältnis von europäischer Einheit und nationaler Identität oder zur dortzulande überaus aktuellen Ausländerpolitik im Themensektor „Europa“.

Politisch wichtig war, im Themensektor „Sozialer Katholizismus“ die Position der Katholischen Soziallehre angesichts von Massenarbeitslosigkeit zu erörtern, oder den Vorrang der Arbeit vor dem Kapital, den Sozial-Hir-tenbrief der US-Bischöfe oder das Verhältnis von Soziallehre und Theologie der Befreiung. Diesem Verhältnis galt übrigens auch die einzige gemeinsame Veranstaltung des offiziellen Katholikentages mit dem sogenannten „Katholikentag von unten“, einer Basis-Initiative, der mit ihren Parallelveranstaltungen gleichsam die Rolle eines „Stachels im Fleisch“ zukommt.

Schließlich brachten auch die Vorträge über Möglichkeiten der Gen-Technologie und Fortpflanzungstechnik, über die Entwicklung der Rüstungsforschung oder über Technik am Arbeitsplatz Scheidewege menschlichen — und politischen - Handelns zur Sprache. An vielen dieser Veranstaltungen nahmen auch Politiker der CDU/CSU und SPD als Referenten oder Gesprächspartner feil.

Den Verdacht parteipolitischen Taktierens erweckt dann umso mehr die Entscheidung der Katholikentags-Verantwortlichen, des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Politiker der „Grünen“ von vornherein von einer Teilnahme auszuschließen. Die Grünen hätten „das Tischtuch zu den katholischen Laien zerschnitten“, formulierte es Hans Maier, Präsident des Zentralkomitees und bayerischer CSU-Kultusminister, indem sie den gesetzlichen Schutz des menschlichen Lebens ablehnten und Ehe und Familie in Frage stellten. Eine Gesprächsverweigerung hatte vorher schon der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner, signalisiert, indem er die „Grünen“ für Katholiken als nicht wählbar bezeichnete.

Dem Schutz des Lebens des ungeborenen Kindes war dann auch eine der fünf Großveranstaltungen in Aachen gewidmet, andere galten der Rolle Europas und der Begegnung der Jugend.

Von den etwa 35.000 Dauerteilnehmern waren zwei Drittel in der Altersgruppe unter 27 Jahren, und eine große Zahl Jugendlicher, aber auch Erwachsene, machten bei diesem Katholikentag von den Angeboten der geistlichen Zentren, der ökumenischen Gesprächskreise Gebrauch, besuchten Bibelarbeiten oder geistliche Konzerte. „Internationaler Frauentreff“ und „Jüdisches Lehrhaus“ fanden reges Interesse.

Zentrale Elemente dieses Katholikentages bildeten auch die traditionsreichen, jeweils im Sieben-Jahre-Rhythmus abgehaltenen Heiligtumsfahrten. Dem Un-terwegs-Sein der Wallfahrer, das auch im Katholikentagsmotto „Dein Reich komme“ ausgedrückt wurde, boten die Heiligtümer im Aachener Dom (Windeln und Lendentuch Christi, Leinenkleid Marias und Enthauptungstuch des Johannes) sinnenhäfte Zeichen.

Symbole und Zeichen von subjektivem Wert stellte eine kleine Schau mit den „Heiligtümern Jugendlicher“ vor: Tagebuch und Teddybär, Fahrrad und Besen waren hier unter anderem „begreifbare“ Symbole für Unbegreifliches.

Christliche Einheit, die Länder und- Kontinente umspannt, aber auch die Spaltung der Konfessionen überwinden sollte, beschwor der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Europa-Rede: „Im Gedanken der Gastfreundschaft gibt weder der Gastgeber noch der Gast das jeweils Eigene auf. In ihr wird aber das Ferne nahe, das Fremde vertraut, der Fremde wird der Nächste.“

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